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Olympische Spiele Tokio

«Tränen fliessen wohl später»: Immenseerin holt erste Schweizer Medaille

Nina Christen, die kürzlich nach Immensee gezogen ist, sorgt mit Bronze über 10 Meter mit dem Luftgewehr für die erste Schweizer Medaille bei den Olympischen Spielen in Tokio. Die 27-Jährige Nidwaldnerin ist eine Pionierin im Schweizer Schiesssport.
Nina Christen feiert ihren Sieg der Bronze-Medaille über 10 Meter mit dem Luftgewehr. (Keystone)
Nina Christen posiert mit ihrer Medaille bei den Olympischen Spielen in Tokio. (Keystone)
Seit 2016 trainiert Nina Christen im Nationalen Leistungszentrum in Magglingen.
(Anthony Anex / KEYSTONE)

Simon Häring, Tokio

Gleich in der ersten Medaillenentscheidung bei den Olympischen Spielen in Tokio sorgt die Schützin Nina Christen für die erste Medaille. Sie holt über 10 Meter mit dem Luftgewehr Bronze. Nach der Qualifikation war sie noch auf Rang 7 gelegen. Die 27-jährige Christen galt als Anwärterin auf die Medaillen. Allerdings nicht über 10 Meter, sondern über die 25 Meter.

Der Medaillengewinn hat sich abgezeichnet. 2016 hatte Cristen bei ihren ersten Olympischen Spielen in Rio de Janeiro Rang 6 belegt, 2019 gewann sie erstmals im Weltcup und wurde Europameisterin. Im Ranking in ihrer Paradedisziplin, dem Dreistellungsmatch über 50 Meter, lag sie vor Tokio im dritten Rang. Dort werden am nächsten Samstag Medaillen vergeben.

Zwar kommt Christen, die aus Wolfenschiessen im Kanton Nidwalden kommt und heute in Immensee lebt, aus einer Schützenfamilie, besuchte aber erst im Alter von 11 Jahren einen Jungschützenkurs. Erst 2015 machte sie den Sport zum Beruf, brach ihr eben erst begonnenes Biologiestudium ab, als sie einen der drei Ausbildungsplätze im neu eröffneten Nationalen Leistungszentrum in Magglingen erhielt. Sie ist damit eine Pionierin im Schweizer Schiesssport.

Erst die zweite Olympia-Medaille einer Schützin

Es ist die 22. Schweizer Olympia-Medaille im Schiessen, aber erst die zweite einer Frau nach Heidi Diethelm Gerber 2016 in Rio de Janeiro. Die Ostschweizerin hatte damals mit Bronze über 25 Meter mit der Pistole ebenfalls für die erste von am Ende 7 Schweizer Medaillen gesorgt.

Frühe Schweizer Erfolge bei Olympischen Spielen sind ein Indiz für einen Medaillenregen. Bestes Beispiel dafür ist Sydney 2000. Damals sorgten Brigitte McMahon und Magali Messmer im Triathlon bereits am zweiten Tag für Gold und Silber. Am Ende resultierten 9 Medaillen, so viele wie seit Helsinki 1952 (14 Medaillen) nicht mehr. 2008 in Peking holte Fabian Cancellara mit Silber im Strassenrennen am zweiten Tag die erste Medaille. Bis zum Ende gab es zwei Mal Gold (Cancellara im Zeitfahren, Stan Wawrinka und Roger Federer im Doppel), Silber durch Cancellara und vier Mal Bronze (die Equipe der Springreiter, Karin Thürig im Zeitfahren, Nino Schurter im Mountainbike und Sergei Aschwanden im Judo).

Das sagt Nina Christen zu ihrem Erfolg

Nina Christen ist eine Frau, die das Rampenlicht nicht scheut. Auf dem Podest wirft sie sich kurz in Pose, zeigt den Fotografen ihre Bronzemedaille. Dem Rummel, der nun auf sie niederprasselt, wird sie nicht ausweichen. Im Sieger-Interview ein paar Minuten nach der Medaillenübergabe wirkte sie souverän.

Nina Christen, können Sie Ihre Emotionen schon einordnen?

"Ich weiss noch nicht so richtig, wohin mich die Emotionen tragen. Auf dem Podest war das Gefühl, die Medaille gewonnen zu haben, real. Momentan ist es wieder nicht wirklich fassbar."

Sie wirken auch gefasst, Freudentränen fliessen jedenfalls keine.

"Auf dem Podest war ich nahe dran. Aber jetzt kommt immer wieder etwas auf mich zu, das lenkt ab. Die Tränen werden wohl später noch fliessen."

Thomas Bach, der höchste IOC-Präsident und höchste Sportfunktionär, hat Ihnen die Medaille auf dem Kissen präsentiert. Sie haben kurz mit ihm gesprochen. Was hat er gesagt?

"Er hat mir auf Deutsch gratuliert und gesagt, dass er sich für mich freut. Das fand ich toll. Das gibt mehr Nähe, als wenn einer Englisch spricht."

Hier in der Schiessanlage ausserhalb von Tokio ist es ruhig. Einzig ein paar Funktionäre klatschen, schwingen eine Fahne oder stossen einen Jubelschrei aus. Das war wohl in Nidwalden anders, oder?

"Ich weiss es nicht. Bestimmt sassen sehr viele vor dem TV. Mein Handy jedenfalls überquillt."

Ich habe gehört, in den Trainings in den Tagen zuvor hätte Sie nur mässig getroffen.

"Ja, es scheint so, als hätte ich den Wettkampf gebraucht, um noch besser zu werden."

Auch der Auftakt zum Final klappte nicht nach Wunsch. Haben Sie eine Erklärung?

"Die Treffer lagen alle ein bisschen zu hoch. Dies deutet auf eine veränderte Körperspannung hin. Ich bin nicht richtig ins Zentrum runter gefahren. Dann klappte es aber."

Ja, ein fetter Treffer folgte dem anderen. Waren die zwei Schüsse, als es gegen die Norwegerin um Platz 4 oder Bronze ging, die zwei schwersten, die Sie in ihrer Karriere bislang abgeben mussten?

"Ich weiss nicht, ob es die zwei schwersten Schüsse meiner Karriere waren. Ich bin aber mega stolz, dass ich es geschafft habe, in dieser Situation zwei so tolle Treffer zu setzen. Der Druck war jedenfalls enorm gross. Ich habe schon vieles erlebt. Aber das war extrem."

Just als Bronze in trockene Tücher gelegt war, folgte gleich ein schlechter Schuss. Zufall oder nicht?

"Es war nicht das Nachlassen der Konzentration, weil die Medaille nun fix war. Aber der Pulsschlag ging in diesem Moment derart hoch, dass die Laufmündung stärker schwankte. So wird es schwierig."

Nun folgt im Dreistellungsmatch mit dem Kleinkaliber-Gewehr noch die eigentliche Spezialdisziplin. Bleibt genug Zeit zur Erholung in Anbetracht des Rummels, der nun folgen wird?

"Ich denke schon. Ich habe jetzt zwei Tage frei, dann folgen die Trainingstage, das sollte reichen. Wir leben hier den von wichtigen Wettkämpfen gewohnten Rhythmus." (sda)

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