Am Freitagabend, 12. September, erhielt ich einen Anruf vom Älpler unserer Schafherde auf der Alp Furgi in Engelberg. Ein Wolf sei auf der Weide gesichtet worden, sagte er. Die Alp Furgi ist wegen ihres steilen und unwegsamen Geländes eine «nicht schützbare Alp» (kann nicht eingezäunt werden). Der Älpler bat uns Bauern deshalb, die Tiere so rasch wie möglich ins Tal zu holen. Am Samstag, noch vor unserer Ankunft, folgte die traurige Nachricht: Sechs Schafe fehlten in der Herde. Zwei wurden vom Wolf gerissen, und bei den übrigen vier vermissten Tieren ist bislang unklar, ob sie bei der Flucht in eine Schlucht gestürzt sind.
Als wir vor Ort ankamen, war die Herde völlig verstört und nur schwer zusammenzutreiben. Später stellte sich heraus, dass eines der getöteten und drei der vermissten Tiere zu meiner Herde gehörten. Der Verlust unserer vier Schafe ist schmerzhaft. Die Auswirkungen dieses Vorfalls gehen aber weit über die toten Tiere hinaus. Unsere ganze Herde ist traumatisiert. Selbst zehn Tage nach dem Vorfall ist den Tieren der Stress und die Angst noch anzumerken – sogar zurück im heimischen Stall. Noch heute erschrecken sie, wenn ich den Stall betrete. Ich klopfe inzwischen vorher vorsichtig an die Stalltür, um ihnen Zeit zu geben, sich zu sammeln.
Besonders tragisch: Nur drei Tage nach dem Wolfsangriff erlitt eines unserer Schafe eine Fehlgeburt. Laut Tierarzt und Bestätigung des Labors war akuter Stress die Ursache – nicht eine bakterielle Erkrankung. Diese Erfahrung zeigt, wie tiefgreifend die Auswirkungen eines Wolfsangriffs sind – nicht nur für die Tiere, sondern auch für die Bauern und Älpler. Wenn sich niemand mehr getraut, Tiere auf die Alp zu bringen, droht die Alpwirtschaft verloren zu gehen und mit ihr unsere schöne und gepflegte Berglandschaft.