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Zugs Grüne Nationalrätin Manuela Weichelt im Interview: «Es braucht überall Frauenquoten»

Als erste Zuger Nationalrätin kämpft Manuela Weichelt-Picard für Gleichstellung. In der Schweiz gehe es zu langsam vorwärts, findet sie.
Manuela Weichelt freut sich über die Aktivitäten und Ausstellungen zum Frauenstimmrecht, die nun stattfinden. Es sei wichtig, dass für das Thema sensibilisiert werde. (Bild: Stefan Kaiser (Zug, 25. Februar 2021))
Im Herbst 2019 schaffte Manuela Weichelt den Sprung in den Nationalrat. (Bild: Stefan Kaiser (Zug, 20. Oktober 2019))

Interview: Rahel Hug

Interview: Rahel Hug

Es brauchte einen langen Atem bis zur Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler Ebene. Noch viel länger aber dauerte es, bis Zug seine erste weibliche Vertretung nach Bern schickte. Am 20. Oktober 2019 wurde mit Manuela Weichelt-Picard die erste Zuger Nationalrätin gewählt. Die ALG-Politikerin spricht über das Frauenstimmrecht und Gleichstellungsthemen.

50 Jahre Frauenstimmrecht: Ist das für Sie ein Grund zum Feiern oder eher ein Armutszeugnis?Manuela Weichelt: Es ist beides. Zum einen finde ich es im Vergleich zu Neuseeland, wo das aktive Wahlrecht 1893 eingeführt wurde, tatsächlich ein Armutszeugnis. Andererseits ist es ein Grund zum Feiern, dass wir es nach so vielen Versuchen doch geschafft haben in der Schweiz. Ich freue mich über all die Aktivitäten und Ausstellungen, die nun stattfinden. Es ist wichtig, dass für das Thema sensibilisiert wird.Als das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, waren Sie ein kleines Kind. Wie wurden Sie in Bezug auf Frauenrechte sozialisiert?Ich bin in einer sehr traditionellen Familie aufgewachsen, meine Mutter war zuhause und mein Vater wollte nicht, dass seine Frau erwerbstätig ist. Als junge Frau habe ich Frauenbiografien gelesen, zum Beispiel von Marie Curie oder Emilie Kempin-Spyri, die als erste Schweizerin als Juristin promovierte. Als Vorstandsmitglied der Schülerorganisation bin ich als Jugendliche ebenfalls mit Gleichstellungsthemen in Kontakt gekommen. Und 1991, als der erste Frauenstreik ausgerufen wurde, habe ich als Stationsleiterin in einem Regionalspital den Streik organisiert. Haben Sie als junge Frau Benachteiligung erlebt?Als ich in den 1990er-Jahren von Zürich nach Zug gezogen bin, war ich wieder das «Fräulein». Die Schulen haben noch lange Briefe an die Familien verschickt, bei denen nur der Name des Vaters verwendet wurde. Als mein Mann und ich heirateten, mussten wir ein Gesuch stellen und sogar dafür bezahlen, dass mein Name der Familienname sein durfte. Gegen solche Diskriminierungen habe ich mich stets gewehrt.Als Zuger Regierungsrätin waren Sie als Frau alleine in einem Männergremium. Gibt es Dinge, die Sie gestört haben?Es war zum Teil anstrengend. Denn der Blickwinkel ist anders, wenn man als Mädchen aufgewachsen und dann noch in einem typischen Frauenberuf gelandet ist. Eine Akzeptanz für die Anliegen des anderen Geschlechts zu erreichen, ist sehr schwierig, wenn man die einzige Frau ist. Konkret: Immer wenn es um Lohngleichheit, familienergänzende Kinderbetreuung oder Frauen in Kaderpositionen ging, spürte ich, dass Gleichstellungsfragen für Männer einfach weniger wichtig sind.Mussten Sie als Frau mehr arbeiten als Ihre männlichen Kollegen, um gehört zu werden?Ich denke, ich musste meine Dossiers besser kennen, ja. Im Nationalrat ist es anders: Viele weitere Frauen politisieren mit Ihnen. Wie äussern sich die Unterschiede?Vieles ist selbstverständlich: Zum Beispiel die Themen Lohngleichheit oder sexuelle Diskriminierung. Vieles muss nicht noch erklärt werden, eine andere Frau weiss in der Regel genau, wovon man spricht. Und die Abstimmungsergebnisse verändern sich: Das zeigt sich zum Beispiel bei Umweltfragen.Wieso ist es wichtig, dass in einem politischen Gremium beide Geschlechter vertreten sind?Die Gremien vertreten das Volk und das Volk besteht zu etwas mehr als der Hälfte aus Frauen. Dieser Teil ist sonst schlicht untervertreten. Statistiken zeigen, dass geschlechterdurchmischte Teams erfolgreicher sind.Was halten Sie von Frauenquoten?Ich befürworte sie. Die Politik besteht aus Quoten. Etwa auf nationaler Ebene: Jeder Politiker, jede Politikerin wurde aufgrund einer Quote gewählt. Man schaut ja nicht, wer der oder die Beste in der Schweiz ist, sondern die Kantone haben alle ihre berechnete Vertretung. Das ist auf allen Ebenen so. Aus meiner Sicht braucht es überall Frauenquoten. Sie haben letztes Jahr einen Vorstoss eingereicht zum Thema Diskriminierung und Sexismus bei der Nationalbank. Wie setzen Sie sich als Nationalrätin konkret für die Gleichstellung ein?Ich bin zum Beispiel mit dem Präsidenten der ETH Zürich zusammengekommen, denn sowohl an der ETH als auch an der EPFL (Ecole polytechnique fédéral de Lausanne, Anm. der Red.) fühlen sich die Professorinnen diskriminiert, an der ETH ist es jede vierte. In der Subkommission der Geschäftsprüfungskommission EFD/WBF schauen wir zudem sämtliche Personalbefragungen an und legen einen Schwerpunkt auf Prävention von sexueller Belästigung und Diskriminierung in der Bundesverwaltung. In einem weiteren Vorstoss habe ich die Frage aufgeworfen, wie der Bund bei Krisen- und Beratungsstäben eine angemessene Vertretung der Geschlechter gewährleisten will. Was muss sich aus Ihrer Sicht dringend ändern, damit wir echte Gleichstellung erreichen?Drei Punkte: Die Renten, die Lohngleichheit und die Individualbesteuerung. Es kann nicht sein, dass ein Drittel aller Frauen keine Pensionskasse hat. Und wenn eine Frau eine hat, ist die Rente im Durchschnitt viel tiefer als bei einem Mann. Die Lohnschere ist wieder weiter aufgegangen, wie kürzlich der «Equal Pay Day» gezeigt hat. Hier braucht es endlich mehr Transparenz und Kontrolle.Bei den letzten nationalen Wahlen wurden so viele Frauen wie noch nie gewählt, jüngere Wählerinnen gingen stärker an die Urne. Macht Ihnen das Hoffnung?Meine Freude über die Ergebnisse war riesig. Im Nationalrat war es ein grosser Schritt nach vorne, mit dem Resultat im Ständerat war ich nicht so zufrieden. Die Wahlen insgesamt stimmten mich positiv, doch ich finde, es könnte etwas schneller gehen. Wir sind auf dem Weg, aber es gibt noch viel zu tun.

Manuela Weichelt-Picard (53) verfügt über einen Master in Public Health, ist ausgebildete Sozialarbeiterin und Pflegefachfrau. Sie war von 1994 bis 2002 Kantonsrätin und von 2007 bis 2018 Regierungsrätin. Seit 2019 ist sie Nationalrätin. Weichelt ist verheiratet und hat zwei Töchter. Sie wohnt in Zug.

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