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Luzern

Wochenbett oder Ratssaal? Junge Luzerner Politikerinnen stehen vor einem Dilemma

Grüne und SP fordern eine Stellvertreter-Regelung für den Kantonsrat. So sollen längere Absenzen wie Mutterschaftsurlaub aufgefangen werden. Dank einer solchen Regelung ist der Ratssaal in Graubünden stets voll.
Geht es nach der SP und den Grünen, sollen künftig alle 120 Plätze im Luzerner Kantonsratssaal besetzt sein - notfalls mittels Stellvertretungen. (Bild: Nadia Schärli, Luzern, 28. Januar 2019)

Alexander von Däniken

Wer für den Luzerner Kantonsrat kandidiert, muss sich auf eine zuverlässige Präsenz einstellen. Schliesslich geht man nach der Wahl eine Verpflichtung ein. Aber was passiert, wenn ein Kantonsrat oder eine Kantonsrätin wegen eines Unfalls, einer Krankheit oder einer Mutterschaft länger ausfällt? Der Parlamentssitz bleibt unbesetzt, die Stimmen der Bevölkerung werden nicht korrekt abgebildet.

Kantonsrätin Rahel Estermann (Grüne, Luzern) fordert für solche Fälle eine Stellvertreter-Regelung (Artikel vom 30. Januar). Die Motion wird von der SP sowie von GLP-Kantonsrätin Claudia Huser (Luzern) unterstützt. Der Vorschlag: Fällt jemand für mindestens drei Monate durch Mutter-/Vaterschaftsurlaub oder Krankheit aus, soll jene Person die Stellvertretung wahrnehmen, welche auf derselben Liste am knappsten nicht gewählt wurde.

Umsetzung «beim besten Willen» nicht vorstellbar

Ob das Anliegen im Kantonsparlament eine Mehrheit findet, ist fraglich. Denn selbst Mitglieder der Gruppe «Frauen, Politik, Luzern» lassen sich nicht für die Unterstützung begeistern. Claudia Bernasconi, CVP-Kantonsrätin aus Greppen und Präsidentin der CVP-Frauen, hegt zwar Sympathien für die Motion, weil sich bei einer Umsetzung mehr junge Frauen für die Parlamentsarbeit finden liessen.

Allerdings kann sich Bernasconi eine Umsetzung «beim besten Willen» nicht vorstellen. Denn die Kantonsverfassung regle klar, wie viele vereidigte Parlamentarier es gibt. «Um im Parlament sitzen zu können, soll ein Stellvertreter vereidigt werden, was heissen würde, dass die abwesende Person quasi ‹abvereidigt› werden soll, um die von der Verfassung geregelte Anzahl Parlamentarier respektieren zu können.» Sonst müsse man die Verfassung ändern. «Anders geht es nach meinem Verständnis nicht», so Bernasconi. Selbst wenn die Verfassung geändert würde, wäre der Aufwand für die Organisation der Stellvertretungen unverhältnismässig.

Laut Rahel Estermann, welche die Motion mit SP-Kantonsrätin Melanie Setz ausgearbeitet hat, müsste vermutlich die Verfassung, sicher aber das Kantonsratsgesetz tatsächlich angepasst werden. Wie genau, sollen die folgenden Diskussionen zeigen. Estermann dazu:

«Oft wird über den zu tiefen Frauenanteil gesprochen. Jetzt bietet sich die Gelegenheit, eine pragmatische Lösung für eines der Hindernisse zu finden.»

Von einer Stellvertreter-Regelung hätte SP-Kantonsrätin Sara Agner bereits Gebrauch machen können. Die 31-Jährige ist in dieser Legislatur Mutter geworden. Glücklicherweise fiel die Geburt in die Sommerpause 2017. «So habe ich nur an der Junisession gefehlt», sagt die Dagmersellerin. Trotzdem wird sie die Motion unterstützen. Denn wer im Mutterschaftsurlaub Parlamentsarbeit verrichtet, gefährdet den Erhalt der Mutterschaftsentschädigung. «Das betrifft das Sozialversicherungsrecht und müsste auf Bundesebene gelöst werden.»

Auf kantonaler Ebene komme deshalb nur die Stellvertreter-Lösung in Frage. Denn die Mutterschaft und das Ausüben eines Amts sollen vereinbar sein. Sara Agner weiss:

«Schwangerschaft bei Politikerinnen ist noch ein Tabu-Thema.»

Stellvertreter-Regelungen kennen bereits die Kantone Neuenburg, Jura, Wallis und Graubünden. In Letzterem ist die Regelung historisch, erklärt Domenic Gross, Sekretär der Bündner Standeskanzlei. Seit 1972 gibt es einen entsprechenden kantonalen Erlass, seit 2004 ist die Stellvertreter-Regelung sogar in der Kantonsverfassung verbrieft. «Schon Jahrzehnte zuvor haben die früheren Kreise eigene Stellvertreter-Regelungen gehabt.»

Die Kreise wurden zu Regionen; deren politische Bedeutung ist aber hoch geblieben. So wird die Vertretung eines Tals höher gewichtet als die Parteizugehörigkeit eines Ratsmitglieds. Konsequenterweise wählen die Bündner im Majorzsystem neben den 120 Ratsmitgliedern auch 107 Stellvertreter – deren Parteizugehörigkeit nicht mit jener des Parlamentariers aus der Region übereinstimmen muss. Entsprechend kann man sich – anders als in Luzern – im Vorfeld nicht sicher sein, ob ein Geschäft tatsächlich durchkommt. Trotzdem habe die Stellvertreter-Regelung nie Anlass zu Kritik gegeben, so Gross. Im Gegenteil: «Der Ratssaal ist immer voll besetzt.»

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