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Wert von Korporationen untersucht

Die Schweiz gilt als Paradebeispiel der genossenschaftlichen Kultur. Historiker erklären, wie es zur Gründung von Allmendgenossenschaften kam, und wie Korporationen ihre Aufgaben künftig erfüllen sollen.
Im Ring vermittelt die Korporationsgemeinde Uri alle zwei Jahre den Korporationsbürger das physische Erlebnis des Dazugehörens. (Bild: Christof Hirtler)

Christof Hirtler

Mit dem Buch «Die Verfassung der Allmende» wurde die amerikanische Umweltökonomin und Nobelpreisträgerin Elionor Ostrom weltberühmt. Sie kam bei ihren Forschungen zum Schluss, dass für eine nachhaltige Bewirtschaftung von lokalen Allmenden die zum Teil jahrhundertealten Korporationen in vielen Fällen staatlichen Organisationen oder privaten Firmen überlegen sei.

Die Schweiz gelte als Paradebeispiel der genossenschaftlichen Kultur: «Wer verstehen will, warum es die Schweiz noch gibt, muss ihre genossenschaftliche Geschichte kennen», sagt der Forscher Daniel Schläppi vom Historischen Institut der Universität Bern. «Denn gemeinsamer Besitz und kollektiv genutzte Ressourcen haben das Land zusammengehalten.» Das Prinzip des gemeinschaftlichen Wirtschaftens beschränkte sich aber nicht nur auf die Nutzung von Alpen und Wäldern: Genossenschaften bauten Trinkwasserversorgungen, Entwässerungsanlagen und Hochwasserverbauungen. Auch Handwerker, Säumer oder Schiffsleute organisierten sich genossenschaftlich.

Erfolgsgeschichte hat ihre Schattenseiten

Die Genossen sorgten zu ihren Alpen und Wäldern mit dem pragmatischen Ziel, das «Gemeineigen» gütlich zu verwalten und dauerhaft zu erhalten. Entscheidungen wurden von Gruppen getroffen und getragen. Die Genossen verstanden es aber, den Kreis der Nutzniesser möglichst klein zu halten. Zuzüger, Hintersassen ohne Besitz, hatten keine Rechte und waren von der Nutzung der Allmende weitgehend ausgeschlossen. Den armen Genossen war es oftmals gestattet auf der Allmende Obst und Nüsse zu ernten oder Kartoffeläcker und Gärten anzulegen. Die Nutzungsregeln wurden meistens in Abstimmungen festgelegt. Der politische Einfluss der Allmendgenossen beschränkte sich auf Allmendangelegenheiten. In den Regierungen sassen aber reiche, einflussreiche Familien.

Mit dem Einmarsch französischer Truppen 1798 begann die Zeit der Helvetischen Republik – ein Export der Französischen Revolution. Neben den Nutzungskorporationen, heute heissen sie Bürgergemeinden, schufen die helvetischen Räte auf Gemeindeebene die Einwohnergemeinden. Sie waren die ersten modernen Gemeinden auf dem Gebiet der Schweiz, in der alle Schweizer Bürger gleichberechtigt waren. Auch Tagelöhner, Hintersassen und Ausländer erhielten das Bürgerrecht. Nicht angetastet wurden die zahllosen Gemeinde-, Korporations- und Genossenschaftsgüter – einerseits, weil mit starkem Widerstand zu rechnen war, andererseits, weil sie für das Funktionieren vieler Abläufe zu jener Zeit unentbehrlich waren.

Projekt vergleicht Uri mit anderen Kantonen

Das Projekt «Scales» an den Universitäten Bern und Lausanne untersucht die Regulierung von kollektiven Ressourcen in der Schweiz von 1750 bis heute. Historiker, Sozialanthropologen, Humangeographen, Politologen und Agrarökonomen wollen anhand von fünf nationalen Fallbeispielen, in Chur, im Bleniotal (TI), in Sarnen, im Val d’Anniviers (VS) und in Uri die Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Arten des kollektiven Ressourcenmanagements untersuchen. So fragt man sich etwa: Wie gelingt es Genossenschaften, das Gemeineigen zu verwalten und dauerhaft zu erhalten? Welches sind ihre Regelwerke? Welches sind die Anpassungsstrategien?

«Wichtig sind die Korporationen für die Entstehung und Erhaltung der Kulturlandschaft», erklärt Tobias Haller, Professor für Sozialanthropologie an der Universität Bern. «Die Allmenden haben zudem einen hohen immateriellen und identitätsstiftenden Wert.» Die staatlichen Entschädigungen für die Kulturlandschaftsleistungen in der Schweiz seien zwar weltweit einzigartig, würden aber eine gefährliche Sicherheit suggerieren. «Der generelle Strukturwandel von der Agrar- hin zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft reduziert den Wert von Gütern aus kommunalrechtlicher Produktion», so Haller weiter. «Heute haben landwirtschaftliche Produkte kaum mehr einen materiellen Wert.» Um die Allmenden, Alpen und Wälder in der Schweiz dauerhaft zu erhalten, brauche es die Bereitschaft der Bevölkerung und der Politik, die Land- und Alpwirtschaft auch in Zukunft zu subventionieren und mitzutragen.

Korporationen kümmern sich um Alpen und Wälder

Die Korporation Uri ist die grösste Landbesitzerin: 70 Prozent der Urner Kantonsfläche, 754 Quadratkilometer Land, gehören der Korporation Uri. Ihre Geschichte reicht zurück ins 13. Jahrhundert. Aus verschiedenen lokalen genossenschaftlichen Organisationen, die Weiden und Wald nutzen sowie Wege und Stege bauen, entwickelte sich das Land Uri. Die Rechtssetzung über die Alpen und Wälder stand dem Land Uri zu, die oberste Gewalt lag bei der Landsgemeinde. Die Allmendgenossenschaft und das Land Uri waren eins. Das heisst, dass nur Allmendgenossen Landleute waren und politische Rechte hatten. Das 19. Jahrhundert wurde für Uri eine Zeit der grossen Umwälzungen. Die Eidgenössische Bundesverfassung von 1848 gewährte allen Schweizer Bürgern Niederlassungsfreiheit und Rechtsgleichheit, die Sonderstellung der Korporationsbürger entfiel. Die Aufgaben zwischen Kanton, Gemeinden und der Allmendgenossenschaft wurden mit der Kantonsverfassung von 1888 definitiv geregelt. Die Korporationen Uri und Ursern erhielten das Recht auf Selbstverwaltung und kümmern sich seither hauptsächlich um die Nutzung ihrer Alpen, Wälder und Gewässer.

Strukturwandel stellt grosse Herausforderung dar

Der Rückgang der Bauernbetriebe und die Entvölkerung des Urner Oberlands stellt die Korporation Uri vor neue Herausforderungen. Sie reagiert mit verschiedenen Massnahmen: So fördert sie die rationelle Bewirtschaftung der Urner Alpen. Sie unterstützt mit Beiträgen den Bau von zentralen Käsereien, Kleinkraftwerken, Wasserversorgungen, Alpgebäuden oder Erschliessungsstrassen. Sie ermöglicht den Auftrieb von grösseren Viehherden pro Alpbetrieb. Mit dem Kauf von Land im Talboden sichert sie wertvolles Kulturland für die Landwirtschaft. Mit gezielten Rodungen und dem Einsatz von Ziegen bekämpft sie die Einwaldung und Verbuschung ihrer Alpen. Aufgabe von Alpen, die Bedrohung von Schafherden durch Grossraubtiere oder Regeländerungen bei neuen Bewirtschaftungsformen, wie Mutterkuhalpen, sind weitere Herausforderungen.

Über bisherige Hauptgeschäfte hinauswachsen

«Die Korporation Uri muss sich heute vermehrt legitimieren, das heisst der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung beweisen, dass es sie heute noch immer braucht», erklärt die Historikerin Rahel Wunderli, die innerhalb des Projekts «Scales» das Fallbeispiel der Korporation Uri bearbeitet. «Der sinkende Anteil an Bauern innerhalb der Korporation führt auch zu einer grösseren Durchmischung der Räte in beruflicher Hinsicht.» Für die Korporation Uri bedeute dies, dass sie über ihre bisherigen Hauptgeschäfte hinaus tätig sein muss, um ihre Existenz auch gegenüber diesen Bevölkerungsgruppen zu legitimieren. Sie tue dies in erster Linie mit Sponsoring im kulturellen Bereich. «Ob und wie es gelingen kann, diesen gesellschaftlichen Trend mit dem bisherigen Kerngeschäft, nämlich der Verwaltung von Alpen und Wäldern zu kombinieren, wird für die Korporation Uri eine der wichtigsten Zukunftsfragen», so Wunderlin.

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