notifications
Aussichten

Wer verteidigt den digitalen Wettbewerb, wenn nicht die EU?

Super-Apps und Plattformen vereinigen immer mehr Funktionen auf sich und bedrohen dadurch den Wettbewerb im Cyberspace. China will nicht, die USA kann nicht, die Schweiz ist zu klein: Nur die EU verteidigt den digitalen Wettbewerb wirksam.

Christoph Hauser.

Chinesinnen und Chinesen brauchen die App WeChat für alles Mögliche: Um Nachrichten zu verschicken, um zu bezahlen, um Taxis zu bestellen, um verschiedenste Dinge einzukaufen und vieles mehr. Mit einer sogenannten Super-App wie WeChat lassen sich fast alle Einkaufs-, Finanz- und Kommunikationsbedürfnisse abdecken. WeChat organisiert das Leben vieler Menschen in China weitgehend.

Praktisch!, mag man sich auf den ersten Blick denken. Unheimlich ist es aber vor allem, wenn Menschen sich von einer einzigen Super-App abhängig machen. Das haben jene Chinesinnen und Chinesen schmerzhaft zu spüren bekommen, die sich im Herbst gegen die chinesische Führung auflehnten, und deren WeChat-Konto in der Folge gesperrt wurde. Sie waren damit auf einmal aus ihrem sozialen und digitalen Leben ausgesperrt. Es bräuchte spätestens dann Alternativen, doch Whatsapp, Telegram oder Signal sind in China gesperrt. Es kommt der Führung zupass, wenn sie ihre Untertanen über monopolistische Apps kontrollieren kann.

Das Beispiel zeigt: Für den Erhalt von Freiheit und Wettbewerb braucht es geeignete Regeln. Monopole sind selbst in der Ökonomie unbestrittenes Beispiel dafür, dass der Markt zuweilen Eingriffe braucht, wenn der Wettbewerb spielen soll. John D. Rockefeller wurde mit der Standard Oil Company, einem Monopol für Erdölraffinerien, zum ersten Milliardär der Weltgeschichte. Bald jedoch, nämlich 1890, wurde in den USA das erste Gesetz erlassen, mit dem die Macht des Monopols begrenzt wurde. Die US-Aufsichtsbehörde FTC tut, was sie kann, um digitale Monopole im Zaum zu halten, doch wird sie dabei oft in Gerichtsverfahren verwickelt, und noch griffigere gesetzliche Grundlagen sind vom zerstrittenen Parlament der USA derzeit nicht zu erwarten.

Bleibt die EU, die sich dem Problem der geschlossenen Plattformen annimmt. Beim Datenschutz hat die EU bereits eine Vorreiterrolle gespielt. Die Europäische Datenschutzgrundverordnung, die bald fünf Jahre in Kraft ist, hat sich angeblich inzwischen auf die Gesetze von bis zu 160 Ländern ausgewirkt. Auch in der Schweiz begegnen wir dem Datenschutz als Konsumierende oder Unternehmen praktisch täglich. Letztes Jahr wurden in Brüssel weitere Regelungen erlassen, die die Macht von Super-Apps und Plattform-Monopolen kontrollieren sollen.

Das Gesetz über digitale Märkte strebt an, dass der Marktzugang im Cyberspace stets für alle offen bleibt, notabene auch für KMU. Der Wettbewerb soll auch dann spielen, wenn Super-Apps und grosse Plattformen zu sogenannten Online-Gatekeepern geworden sind. Google darf zum Beispiel fremde Dienstleistungen nicht abblocken, oder Whatsapp dürfte es nicht verhindern, dass man Links zu einem Wettbewerber verschickt. Es gibt seit Herbst im Silicon Valley sogar ein extra Büro der EU, um den Tech-Giganten die Bedeutung dieser Regulierung zu erklären.

Je stärker sich unser soziales und wirtschaftliches Leben ins Digitale verschiebt, desto wichtiger wird es, dass wir uns auch im Cyberspace so selbstverständlich frei bewegen können, wie wir es im Analogen bei einem Einkaufsbummel tun. Das Gesetz über digitale Märkte aus Brüssel ist dazu da, Werte wie Freiheit und Wettbewerb im digitalen Zeitalter zu schützen.

Könnte die Schweiz aus eigener Kraft ein Gesetz über digitale Märkte einführen? Nein, dazu ist ihr Markt schlicht zu klein und unbedeutend. Die Tech-Giganten würden es ignorieren oder den Schweizer Markt nicht mehr bedienen. China will nicht, die USA kann nicht. Man nennt es auch den «Brüssel-Effekt», dass eigentlich nur ein geeintes Europa willens und fähig ist, Freiheit und Wettbewerb im digitalen Raum zu schützen.

Die digitale Transformation ist ein globales Thema, genau gleich wie die Klimakrise, die Energiemärkte oder der Weltfrieden. Wir in der Schweiz dürfen der EU ruhig auch mal dankbar sein, dass sie sich diesen zentralen Themen entschlossen stellt.

Professor für Wirtschaftspolitik an der Hochschule Luzern und Leiter des Kompetenzzentrums Management & Law.

Kommentare (0)