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Wenn der Tod allgegenwärtig ist: Mehr Beerdigungen und Besuche auf dem Friedhof Baar

Der Herbst ist die Zeit des Todes, noch heute haben Allerheiligen und Allerseelen eine grosse Bedeutung. Auf dem Friedhof Baar zeigt sich das an der steigenden Anzahl Beerdigungen und an veränderten Bedürfnissen von Toten und Lebenden.
Friedhofsleiter Alois Koch führt Bestattungen meist erst durch, wenn die Trauergemeinde gegangen ist. (Bild: Patrick Hürlimann, Baar, 18. Oktober 2019)
Friedhofsleiter Alois Koch schliesst er ein Grab, in der eine Urne bestattet wurde. (Bild: Patrick Hürlimann, Baar, 18. Oktober 2019)

Laura Sibold

Laura Sibold

Orange-braune Blätter säumen den Weg zum Friedhof Kirchmatt in Baar, auch auf den Wegen neben den Gräbern haben Bäume herbstliche Spuren hinterlassen. Alois Koch, Leiter der Friedhöfe Baar und Allenwinden, nimmt’s gelassen. Erst heute Morgen hat er Laub zusammengerecht, doch die Blätter fallen ununterbrochen. Das sei der Lauf der Dinge, Blätter fallen, Leute müssen gehen, sagt Koch und blickt über die Grabreihen. Kurz vor Allerheiligen sind fast alle Gräber schon zurechtgemacht und mit Blumen oder Tannennadeln dekoriert. «Allerheiligen ist für uns auf dem Friedhof noch immer der wichtigste Tag im Jahr», sagt Koch. Sein Arbeitskollege Kurt Arnold, der damit beschäftigt ist, das Friedhofsgebäude zu putzen, stimmt ihm zu. Allerheiligen sei wichtig, aber nicht mehr so wie vor 25 Jahren. «Früher mussten wir am 1. November einen Parkdienst organisieren, weil so viele Menschen auf den Friedhof kamen. Der Andrang hat mittlerweile massiv abgenommen.» Er glaube aber nicht, dass insgesamt weniger Leute auf die Gräber kämen. Vielmehr verteilen sich die Besuche heute auf mehrere Tage rund um Allerseelen und den Ewigkeitssonntag, so Koch und geht auf ein Gemeinschaftsgrab zu.

Ein unscheinbares, 20 Zentimeter breites Grab in der Erde, weniger als einen halben Meter tief: Es ist an diesem regnerischen Herbsttag Alois Kochs Arbeitsplatz. Hier findet bald eine Beisetzung statt. Eine 94-jährige Frau wird neben ihrem Ehegatten beerdigt, der schon vor einigen Jahren verstorben ist. Koch platziert ein schlichtes Holzkreuz vor dem Grab, daneben drei grosse Blumenkränze und einen schwarzen Urnenständer. «Es ist eine reformierte Bestattung, daher brauchen wir heute weder Weihwasser noch Weihrauch», erklärt der Baarer Friedhofsleiter.

Über 90 Prozent der Toten werden heute kremiert

Es ist dieses Jahr bereits die 117. Beerdigung auf den Friedhöfen Baar und Allenwinden und die 62. Bestattung im Gemeinschaftsgrab. Die Anzahl Beerdigungen hat in Baar in den vergangenen drei Jahren zugenommen. Zu erklären ist dies primär mit der wachsenden Anzahl Einwohner. «Darüber hinaus werden auch Gemeinschaftsgräber immer beliebter», sagt Koch und deutet auf die grosse Steinplatte in der Mitte des Grabes, auf der die Namen der Verstorbenen stehen. Als er vor 15 Jahren als Friedhofsleiter angefangen habe, seien gut ein Viertel aller Beerdigungen Erdbestattungen gewesen. Heute werden über 90 Prozent der Verstorbenen kremiert. Die Hälfte davon wünscht sich eine Beerdigung im Gemeinschaftsgrab, ein Viertel im Urnengrab und etwa zehn Prozent in einer Urnennische. Über die Gründe kann Alois Koch nur spekulieren. «Die Menschen sind heute wohl weniger sesshaft als früher. Wenn die Familie über die Schweiz verstreut wohnt, gestaltet sich der Unterhalt eines Grabes aufwendiger.» Bei einem Gemeinschaftsgrab erübrigen sich diese Arbeiten, genauso wie im vor zwei Jahren eingeführten Friedwald, wo Angehörige die Asche ihrer Verstorbenen selber verstreuen können.

«Zudem hat sich in unserer schnelllebigen Zeit das Verhältnis zum Tod verändert. Er ist nicht weniger präsent, wird aber weniger thematisiert.»

Während sich die Trauergemeinde versammelt, zündet der Friedhofsleiter in der Abdankungshalle die Kerzen an und schaltet die Lautsprecher ein. Mittlerweile sind der Organist und die Pfarrerin eingetroffen. Den Toten zu gedenken, sei noch heute sehr wichtig – bei den Katholiken am 2. November an Allerseelen, bei den Reformierten am Ewigkeitssonntag, der am 24. November ist, betont Vroni Stähli, reformierte Pfarrerin im Pfarramt Baar-Ost und Neuheim. «Was manchmal aber vergessen geht: Auf dem Friedhof liegen nicht nur Grabsteine. Hier liegen Menschen begraben, die unsere Welt zu dem gemacht haben, was sie heute ist.» Kurz darauf läuten die Glocken der Kirche St.Martin die Beerdigung ein, die Trauergemeinde begibt sich in die Abdankungshalle. Alois Koch hat sich umgezogen. In Anzug und weissem Hemd steht er im Hinterraum und lauscht den Worten Vroni Stählis. Auch in der Predigt spielt die herbstliche Zeit eine grosse Rolle. Sie liest gerade das Gedicht «Herbst» von Rainer Maria Rilke vor:

«Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.»











Im Herbst sei der Tod schon präsenter, sinniert Koch neben dem Lautsprecher stehend. Ein Totengräberspruch besagt: Wenn das Laub kommt und geht, sterben auch die meisten Leute. «Da ist schon etwas dran, denn im Oktober und November finden auf den Friedhöfen auch die meisten Beerdigungen statt», bestätigt Alois Koch.

Begräbnis findet erst nach der Zeremonie statt

Sobald die Abdankung vorbei ist, begleitet er die Trauergemeinde mit der Pfarrerin ans Grab. Während der Zeremonie bleibt die Urne auf dem Ständer. Das eigentliche Begräbnis findet erst statt, nachdem die Angehörigen den Friedhof verlassen haben. Das sei in der Gemeinde so Brauch, ausser es werde von der Familie anders gewünscht, erklärt Alois Koch. Der Friedhof sei zudem heute mehr eine Parkanlage, in der die Leute länger verweilen. «Wir nehmen uns auch Zeit, um den Trauernden zuzuhören. Das wird geschätzt.»

Nachdem am Gemeinschaftsgrab auf dem Friedhof Kirchenmatt wieder Ruhe eingekehrt ist, holt er Karette, Schaufel und Rechen. Er leert die Urne ins kleine Grab, füllt es mit Erde auf und platziert die Grasnarbe wieder darauf. Nur ein kleiner blauer Punkt neben der Bepflanzung weist noch darauf hin, dass hier jemand beerdigt wurde. Alois Koch nimmt seinen Rechen und begibt sich zur nächsten Grabreihe. Laub zusammenkehren, ist angesagt.

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