Zum Fest

Der Sempacher Pfarrer Hans Weber erzählt, weshalb Weihnachten für ihn ein Fest des Wandels ist

Ein «frohes Fest» wünschen wir uns gegenseitig – und streben besonders in diesen Tagen nach friedlicher Harmonie. Der Sempacher reformierte Pfarrer Hans Weber versteht Weihnachten allerdings auch als Zeit der Um- und Aufbrüche.
Hans Weber beim Wunschbaum von Rudolfs Weihnacht in der Stadt Luzern.
Foto: Dominik Wunderli (18. 12. 2025)

Die Weihnachtszeit ist für mich nur selten «friedlich und still». Es ist eine stimulierende, zuweilen wilde Fahrt auf dem Karussell der Eindrücke und Gefühle. Ich drehe meine Runden auf das grosse Fest zu, mit Blinksternen in den Schaufenstern, Glitzer-Rentieren in den Vorgärten und dem Klangteppich von «Jingle Bells» & Co. als Kulisse. Und auch mein gewohntes Berufskarussell dreht sich weiter – zum Beispiel im Bereich der Seelsorge. Nicht alle können den adventlichen Zauber spüren und geniessen. Ich treffe viele Menschen, die im Zuge der Individualisierung unserer Gesellschaft, des ökonomischen Drucks im Gesundheitswesen sowie der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten auf der Rennbahn des Lebens ihren Schwung und ihre Träume verloren haben. Weihnachten aber sagt uns: Gottes Hilfe kommt nicht dann, wenn alles geordnet ist. Sie kommt gerade dann, wenn Wege sich verzweigen und wenn wir nicht wissen, wohin sie führen. So hat Weihnachten also nicht a priori einen hohen Kuschelfaktor, sondern sie ereignet sich vielmehr im Umfeld von Umbrüchen und Aufbrüchen.

Umbrüche und Aufbrüche gibt es immer wieder auf unserem Lebensweg. Bei Übergängen des Lebens ist die Devise «Augen zu und durch» manchmal ein schlechter Ratgeber, denn dabei kommt oft die Seele zu kurz. Mit «Seele» meine ich ganzheitliche Verbindungen der biologisch-körperlichen, psychologischen, spirituellen und sozialen Dimensionen.

Als Pfarrer versuche ich zu helfen. Um der Seele Sorge zu tragen, braucht es nicht einen Pfarrer – oder zumindest nicht immer. Sie können das nämlich auch! Mein Tipp aus Erfahrung: Fragen stellen und zuhören! Die offene Frage «Was wünschst Du Dir?» öffnet oft die Seele. Das sieht man eindrücklich auf den vielen Wunschzetteln am Baum von Rudolfs Weihnacht in der Stadt Luzern. Rein materielle Anliegen sind dort selten.

Auch als reformierte Kirche sind wir laufend durch Um- und Aufbrüche gefordert. Gerade während dieser Weihnachtszeit gibt es Momente des Loslassens – auch bei mir: Die reformierte Bergkirche auf Rigi Kaltbad wird an privat verkauft. Ich werde somit am kommenden Neujahrstag zum letzten Mal die zur Tradition gewordene «Bergpredigt» halten. Auch der beliebte ökumenische Fernseh-Gottesdienst auf Tele 1 wird nur noch einmal in die weihnachtlichen Stuben gesendet. Er wurde als Ersatzprogramm in Corona-Zeiten initiiert. Ich durfte bei der Premiere an Ostern mit einer grün-schimmrigen Gummiraupe vor laufender Kamera predigen.

In den vielen Reaktionen auf diese Umbrüche schwingt Wehmut mit. Ein Kirchengebäude, das Generationen empfing, wird künftig eine andere Aufgabe erfüllen, und ein beliebtes Gottesdienstformat kommt zu seinem Abschluss. Aber diese Veränderungen sind kein Zeichen von Schwäche. Sie sind ein Zeichen von Verantwortung. Wer Altes loslässt, schafft Raum für Zukunft. Das gilt politisch und gesellschaftlich, und das gilt auch für das kirchliche Leben. Strukturen dienen meistens nur eine gewisse Zeit lang gut. Dann dürfen sie sich wandeln. Wenn wir einen Kirchenraum aufgeben, verlieren wir nicht die Kirche. Wenn ein Format endet, endet nicht die Gemeinschaft.

Die Botschaft, die uns trägt, tragen wir weiter. Aber wir nehmen den Wandel ernst. Wir müssen nahe an den Menschen und nahe an der Realität ihres Umfelds sein. Darum setzen wir unsere Ressourcen dort ein, wo sie heute gebraucht werden. Unsere Kirche bleibt lebendig, weil sie beweglich bleibt. Wir bleiben beweglich und finden neue Formen, neue Räume und neue Ausdrucksweisen. Und hier sind wir nun wieder mitten in unserem Weihnachtsthema:

Weihnachten beginnt im Atemzug zwischen gestern und morgen. Der Stall war nicht eigentlich ein Ort der Ankunft, sondern mehr ein Ort des Übergangs und des Aufbruchs. In diesem Stall war es dreckig, muffig und es zog durch die Ritzen. Zwischen Stroh und Sternenlicht, fernab aller Sicherheiten und Gewissheiten, kam ein Kind in unsere Welt– zart und verletzlich. Die Eltern waren unterwegs, fernab ihrer Pläne. Nichts war geordnet, nichts war abgeschlossen. Nichts war fertig und gut in dieser Nacht. Nichts war so, wie man es sich gewünscht hätte. Und doch: Genau dort, mitten im Umbruch, öffnet sich Gott für die Welt. Er kommt nicht dorthin, wo alles perfekt ist. Er kommt dorthin, wo Menschen sich fragen, wie es weitergeht, dorthin, wo wir uns neu sortieren müssen, und dorthin, wo wir Mut brauchen, um Schritte ins Unbekannte zu tun. So ist Weihnachten für mich ein Fest des Wandels. Im Wandel entsteht meist mehr Neues als in stabilen Zeiten. Wo wir vertrauensvoll loslassen, schaffen wir neuen Raum (auch für das Göttliche).

Ich wünsche Ihnen eine gute Weihnachtszeit – mit Offenheit für das, was sich verändern darf, und mit Zuversicht für den Weg, der vor Ihnen und Ihren Liebsten liegt.

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