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Von Stromstimulation der Zunge bis hin zu ausgeklügelten Hörgeräten: Am «Hearing Forum» wurden diverse Methoden zur Tinnitus-Linderung diskutiert

Die Forschung sei in gewisser Hinsicht enttäuschend, die Kommunikation mit den Patienten verbesserungswürdig. Am zweiten «Hearing Forum Andermatt» sprachen Experten über die Schwierigkeiten der Tinnitus-Forschung – aber auch über vielversprechende Behandlungen.
HNO-Chefarzt Thomas Linder (Mitte) diskutiert mit Referenten des «Hearing Forums». (Bild: Lucien Rahm (Andermatt, 10. September 2021))
Berthold Langguth (Mitte) sprach von enttäuschenden Ergebnissen im Bereich der Tinnitus-Medikamente. (Bild: Lucien Rahm (Andermatt, 10. September 2021))

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Ist Tinnitus mittlerweile heilbar? Unter anderem dieser Frage widmete sich die zweite Ausgabe des «Andermatt Hearing Forums», das am Freitag im Urschner Hauptort stattfand. Um die 15 Prozent der Bevölkerung seien vom Problem betroffen, führte Co-Moderator und Referent Tobias Kleinjung aus, der als Hals-Nasen-Ohren-Chefarzt am Unispital Zürich wirkt. Diese Zahl liess sich auch ungefähr im Saal beobachten, als auf die Frage, wer von den knapp 60 Anwesenden an einem Tinnitus leide, etwa sieben die Hand hoben.

Am reich befrachteten Vortragsanlass wurden diverse Ansätze vorgestellt, mit denen der Tinnitus heute angegangen wird. Dabei ging es nicht nur um das klassische Permapfeien im Ohr, andere störende Geräusche wie ein Rauschen oder Pochen wurden ebenfalls miteinbezogen. Je nachdem kann zum Beispiel Botox bei gewissen Ohrgeräuschen zur Anwendung gelangen. Beim sogenannten Myoklonus – einer andauernden Folge von Muskelzuckung, die für Betroffene auch im Ohr wahrnehmbar ist – können mit dem Stoff, wenn in den richtigen Muskel gespritzt, Erfolge erzielt werden.

Co-Moderator Thomas Linder, HNO-Chefarzt am Luzerner Kantonsspital und Mitbegründer des Forums, bestätigte mit einem Beispiel aus seiner Praxiserfahrung, dass Botox bei richtigem Einsatz einen solchen Myoklonus beheben kann. Einer elfjährigen Patientin habe man so zur Behebung ihres Ohrgeräuschs verholfen, nachdem die Durchtrennung zweier Sehnen im Mittelohr zuvor keinen Erfolg gebracht habe.

Mit einem Rauschen gegen den Tinnitus

Eine mögliche Hilfe gegen einen Tinnitus könne die Verstärkung von Umgebungsgeräuschen mittels eines Hörgeräts sein, damit der Betroffene seinen Fokus weg vom Tinnitus und hin auf seine Umgebung lenkt, erläuterte Maren Stropahl vom Schweizer Hörgerätehersteller Sonova. Dabei kann auch ein sogenannter «Noiser» zum Einsatz kommen, der beispielsweise ein gewisses Grundrauschen erzeugt. Allerdings empfehle sich ein Hörgerät zu diesem Zweck nur, wenn gleichzeitig auch ein generelles Hörproblem bestehe.

Berthold Langguth, Professor an der Universität Regensburg, hatte wenig Euphorisierendes zu vermelden, als er über mögliche Medikamente gegen den Tinnitus sprach. «Viele Medikamente sind schon ausprobiert worden, aber die Ergebnisse sind relativ enttäuschend.» Es gebe derzeit kein Präparat, das kurz vor der Zulassung stehe, obwohl die rund 15 Prozent der Bevölkerung, die vom Problem betroffenen sind, für die Pharmafirmen an sich interessant wären. Auch im neurologischen Bereich seien die Erfolge überschaubar, fuhr Langguth fort. Die «grosse Ausnahme» seien Hörimplantate, die der australische Produzent Cochlear herstellt, mit denen jemand «praktisch tinnitusfrei» werden könne.

Langguth sprach sich für die Kombination verschiedener Ansätze aus, um zu einem Erfolg zu gelangen. Die Idee eines Wettbewerbs, bei welchem diverse Forschungsteams um eine bessere Lösung kämpfen – analog der Segelmeisterschaft America’s Cup – schien Langguth ein Instrument zu sein, um die Forschung vielleicht etwas vorantreiben zu können.

Elektroimpulse auf die Zunge

Einen nochmals anderen Therapieansatz präsentierte Hubert Lim von der Universität Minnesota, der direkt aus den USA zugeschaltet wurde. Mit einem Gerät, welches Patienten selber zu Hause verwenden können, liessen sich sichtbare Verbesserungen hinsichtlich des Tinnitus erreichen, wie Lim mit Forschungsergebnissen aufzeigte. Dabei werden einem bestimmte Klangmuster über einen Kopfhörer aufs Ohr gespielt. Gleichzeitig wird durch eine spezielle Vorrichtung, die man in den Mund nimmt, ein leichter elektrischer Impuls auf die Zunge übertragen.

Nach den ersten zwölf Wochen regelmässiger Anwendung der Therapie seien bereits Verbesserungen feststellbar, so Lim. In der Schweiz sei das Gerät nun seit kurzem erhältlich, hiess es von den Moderatoren. Von den anwesenden Fachleuten hatte aber noch niemand Erfahrungen damit gesammelt, wie die entsprechende Frage ans Publikum zeigte.

Kommunikation «deutlich verbesserungsfähig»

Die Tinnitus-Bewältigung in der Schweiz sei aber trotz allem aktuell nicht ganz befriedigend, stellte Antje Welge-Lüssen, Chefärztin am Universitätsspital Basel, in ihrem Referat fest. Denn es gebe hierzulande noch zu wenig Therapieangebote, welche wirklich verschiedene Fachrichtungen einbinden würden. Ausserdem halte sie die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten bezüglich Tinnitus für «deutlich verbesserungsfähig». Die Dauer, bis ein Patient in eine interdisziplinäre Sprechstunde überwiesen wird, hält Welge-Lüssen zudem für zu lange. Trotz bereits vorhandener Therapien gegen den Tinnitus scheint also noch einiges an Potenzial vorhanden zu sein.

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