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Uri

Urner Antiquar schwärmt: «Bücher beflügeln meine Fantasie»

Der Seedorfer Alois Arnold erschliesst Einblicke in das aussterbende Geschäft des Antiquars.
Der Seedorfer Antiquar Alois Arnold in seinem literarischen Wunderreich.  (Bild: Christian Tschümperlin (Altdorf, 5 März 2020))
Antiquar Alois Arnold aus Seedorf. (Bild: Christian Tschümperlin (Altdorf, 10 März 2020))
Im Antiquariat verbergen sich so einige alte Schätze. (Bild: Christian Tschümperlin (Altdorf, 5 März 2020))

Christian Tschümperlin

Christian Tschümperlin

Christian Tschümperlin

Das Buch als Medium steckt in der Krise. 2019 wurden in der Deutschschweiz 14 Millionen Bücher gekauft, 2013 waren es noch 20 Millionen. Die Buchhandlungen reagieren mit Preiserhöhungen und können so 2019 ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahr leicht steigern, wie der Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband mitteilt. Ein geringer Teil des Rückgangs dürfte auf das Aufkommen von E-Books zurückzuführen sein. Laut dem Bundesamt für Statistik lasen 2014 15 Prozent von den 83 Prozent, die Bücher lesen, mindestens einmal pro Jahr ein E-Book. Weit gravierender dürfte aber eine andere Entwicklung sein: Der Leserrückgang ist auf veränderte Lebens- und Konsumgewohnheiten zurückzuführen, wie das Marktforschungsinstitut GfK 2018 für den deutschen Markt herausfand. So würde das wachsende Angebot an Freizeitaktivitäten die Zeitknappheit verstärken und die Abhängigkeit von digitalen Medien zu einem Informationsüberfluss und zu Konzentrationsschwierigkeiten führen.

Eine ungebrochene Faszination übt das Buch auf den Seedorfer Antiquar Alois Arnold aus. An einem verregneten Morgen empfängt der 67-Jährige unsere Zeitung in seinem Buchlager beim Möbel Bär in Altdorf. Der Eingang wirkt unscheinbar. «Ich bin gerne inkognito hier», sagt er. Auf über 200 Quadratmetern hat er sich sein literarisches Reich erschaffen. Wer hier wirkt, hat den Duft alten Papiers tief verinnerlicht. «Ein Buch ist für mich ein Erlebnis. Man kann es anfassen, den Bucheinband bewundern, riechen und darin stöbern. Einmal in der Hand, werden alle Sinne geweckt. Bücher beflügeln meine Fantasie und sind ein Glücksmoment», sagt er.

In dem Raum reihen sich Regale dicht aneinander, die vor Büchern fast überquellen. Dünne und dicke Titel, manche davon sehr dick, eine rote Bibel von 1962 etwa mit 1339 Seiten, alte und neue Exemplare, «How to be Swiss» von 2016 zum Beispiel. Hauptsache die Bücher sind schön und geben etwas her. Einen Katalog führt der Antiquar nicht, er habe alles im Kopf. Auf einer Tour durch die Regale kann man sich des Eindruckes nicht entziehen, dass Alois Arnold selber so etwas wie ein wandelndes Lexikon ist.

Stolz präsentiert er eine vergriffene Ausgabe von Eduard Renners Werk «Goldener Ring über Uri», das 2016 zum fünften Mal herausgegeben wurde. Das Buch gilt als bedeutender Bestandteil des Urner Kulturschatzes. Bergarzt Renner erschliesst darin faszinierende Einblicke in das von archaischen Gebräuchen geprägte magische Weltbild der Urner Bauern und Bergler, dessen Wurzeln bis in die heidnische Zeit zurückreichen. Neu herausgeben hat das Werk Eduard Renners Enkel, der Künstler Urs Huber. Dieser hat in den letzten Jahren im ganzen Gotthard-Kanton «Tanzende Toggäli-Figuren» aufgestellt, die an die Vertrautheit mit seelischen Mächte erinnern sollen. Hubers spirituelle Suche führte ihn bis zu den Hopi-Indianern, deren Glaube er in dem dicken Klassiker «Ein weisser Indianer übermittelt Hopi-Dialekt» zusammenfasste. Darin heisst es etwa in bunten Lettern: «Kein Gott hat den Menschen erschaffen, das Lebensgefäss Mensch entwickelte sich aus Seelen-Frequenzen, um Dimensionen wahrzunehmen.»

Sicher aufbewahrt hat Arnold auch einige der über 50 Werke von Ernst Zahn, einem ehemaligen Restaurantbetreiber aus Göschenen und Ex-Präsidenten des Schweizer Schriftstellerverbandes, der nicht nur wegen seiner schwulstigen Sprache in Vergessenheit geriet. Oder Werke des Buchgestalters und Fotografen Karl Iten, der sich mit Büchern wie «Uri Land am Gotthard» oder «Essen und Trinken im alten Uri» bis heute im Gespräch hält.

«Oft versuche ich, Lücken zu füllen. Man erhält neue Hinweise auf andere Bücher und Autoren. Man kommt nie zur Ruhe.»

Seine Verrücktheit nach Büchern vergleicht Arnold mit einem Orientierungs- oder Staffettenlauf. Das eine führt zum anderen. «Besitzt man das Buch eines Autors, sucht man nach weiteren Büchern desselben Autors.» Besonders faszinieren ihn Lücken und Zwischentöne. «Oft versuche ich, Lücken zu füllen: einer Reihe oder eines Themas. Man erhält neue Hinweise auf andere Bücher und Autoren. Man kommt nie zur Ruhe», sagt er. Bücher, die keiner kennt, auch verrückte Bücher, oder Bücher, die mit ihren Covers eine besondere Sprache sprechen, ziehen ihn in den Bann. Wer solche Bücher schreibt, dem bringt Arnold seine grösste Wertschätzung entgegen.

Von sich selbst sagt Arnold, dass er Bücher sammelt, seit er lesen kann. Alles begann mit Karl May. «Ich habe seine Werke gekauft und gegen andere Bücher zu tauschen begonnen.» Während der Lehre war er nebenbei auch als «Bücheragent» für den SVB Verlag in Luzern unterwegs: In dieser Funktion besuchte er mit einer Auswahlsendung zweimal im Jahr in der Gemeinde Mitglieder und nahm Bestellungen auf. Später arbeitete und reiste der heute pensionierte, ehemalige Aussendienstmitarbeiter in Australien und Amerika. Grössere Paketsendungen wurden schon damals über See und Landweg ins Urnerland heimgeschickt und verursachten da und dort Beschwerden angesichts des Gewichts der auszuliefernden Pakete.

Was aus seiner Sammlung einmal werden soll, darüber hat sich Arnold bereits Gedanken gemacht. Vielleicht fülle er einen Lastwagen und fahre damit nach Deutschland, wo der Markt grösser sei. Dass sein Wissen so eines Tages in Vergessenheit gerät, damit kann er leben. «Irgendwann muss man einen radikalen Schlussstrich ziehen.»

Auf Anmeldung kann man in Alois Arnolds Antiquariat vorbeischauen. Eine Website ist im Aufbau: www.chramuri.ch. Viele Titel sind bereits online.

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