notifications
Uri

Trotz Rollstuhl: Urner lässt sich nicht bremsen – und fliegt für Hilfsprojekt nach Haiti

Seit dreieinhalb Jahren ist Fabian Kieliger querschnittgelähmt. Mitte November reist der 30-Jährige nach Haiti, um dort Menschen mit einer Behinderung während drei Monaten beim Aufbau einer Bäckerei zu helfen.
Fabian Kieliger beim Backen in der Wohnung seiner Freundin. (Bild: Manuela Jans-Koch (Oberkirch, 11. Oktober 2018))
Fabian Kieliger ist gelernter Bäcker – sei Wissen will er nun weiter geben. (Bild: Manuela Jans-Koch (Oberkirch, 11. Oktober 2018))

Carmen Epp

Carmen Epp

«Seit 12. April 2015 ausser Betrieb» – diesen Schriftzug findet man nicht etwa an einer Ladentür oder einem Arbeitsgerät. Er prangt auf dem rechten Unterschenkel von Fabian Kieliger. Seit jenem Tag ist der Urner querschnittgelähmt, das Tattoo ein Ausdruck dessen, wie offen, humor- und auch hoffnungsvoll der 30-Jährige damit umgeht.

Der Unfall ereignete sich in Zermatt, wo der Urner nach seiner Zweitausbildung als Koch arbeitete. Kieliger hatte seinen freien Tag in den Bergen verbracht, als ihn der Küchenchef abends telefonisch um Mithilfe bat. Also stieg er aufs Velo und fuhr damit ins Tal.

Ein Sturz verändert das Leben des 26-Jährigen

Was dann geschah, daran kann sich Kieliger nicht erinnern. Den Bremsspuren zufolge verlor der Urner auf der Talfahrt die Kontrolle über sein Velo und landete in einem Bachbett, wo er von einem Mann gefunden wurde. Die Air Zermatt flog den Verletzten Inselspital Bern. Wenige Stunden später, auf der Intensivstation, setzt Kieligers Erinnerung wieder ein: «Ich lag im Bett und spürte, dass etwas mit meinen Beinen nicht stimmte», erzählt er. «Sie waren wie eingeschlafen, ich konnte sie nicht bewegen. Da wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert sein muss.»

Das bestätigte denn auch die Diagnose der Ärzte: Kieliger hatte sich beim Unfall nicht nur ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zugezogen und sechs Rippen gebrochen. Auch seine Wirbelsäule war verletzt. Ein Brustwirbel wurde beim Sturz derart zertrümmert, dass er in einer sechsstündigen Operation entfernt und mit einer Prothese ersetzt werden musste. Die Folgen jedoch blieben irreparabel: Kieliger ist seit dem Sturz vom achten Brustwirbel abwärts gelähmt.

Damit hatte sich das Leben des damals 26 Jahre jungen Mannes auf einen Schlag verändert. Im Schweizerischen Paraplegikerzentrum (SPZ) in Nottwil musste er «quasi von null beginnen, alles wieder neu lernen», wie er sagt. Während sechs Monaten erholt er sich dort vom Unfall, baut Muskeln auf und lernt, mit seiner Querschnittlähmung und dem Rollstuhl umzugehen.

Letzterer eröffnet ihm gar ein neues Hobby: Rollstuhlsport. Im SPZ dreht er mit Gleichgesinnten blitzschnelle Runden, trainiert regelmässig Kondition und Oberkörper. Und auch sonst lässt sich Kieliger von seiner Querschnittlähmung nicht bremsen. So flitzt er gerne mal auf einem Monoski die Skipiste hinunter, steigt in einen Quad oder fährt Kart in Zermatt. Und am Openair Gampel liess sich Kieliger gar mitsamt Rollstuhl von der Menge vor die Bühne tragen – wie ein Rockstar.

Er steckt seine Energie in ein Hilfswerk auf Haiti

Schlug ihm denn das Schicksal, das ihn in so jungen Jahren ereilte, nicht auf die Psyche? «Nein», sagt Kieliger. Er habe schon immer das Beste aus einer Situation gemacht, so auch nach dem Unfall. «In Selbstmitleid zu versinken ist verlorene Energie.» Die will er stattdessen in die Zukunft investieren – und zwar nicht nur in seine: Am 12. November fliegt Kieliger nach Haiti, um dort während drei Monaten «HaitiRehab» zu helfen. Der Verein hat im Norden des karibischen Inselstaats eine Bäckerei gebaut, in der behinderte Menschen eine Anstellung finden und ein Einkommen verdienen können. Nachdem der Bau bis Ende Oktober stehen soll, wird Kieliger als gelernter Bäcker das lokale Personal – acht bis zehn Menschen mit einer Behinderung – schulen, im Team das Klein- und Produktionsmaterial beschaffen, die Abläufe planen, Kunden generieren und die Produktion hochfahren.

Bis es so weit ist, hilft Kieliger bereits von der Schweiz aus. Auf seinem Facebook-Profil rief er kürzlich zu Spenden auf für das erste Back-Equipment vor Ort. Die Resonanz war enorm: Der Beitrag wurde fleissig kommentiert, über 100 Mal geteilt und erhielt fast 200 «Gefällt mir»-Angaben. Dank seines Aufrufs auf Facebook haben bereits zahlreiche Personen für das «Starter Package» gespendet. Kieliger hofft noch auf weitere Spenden. «Nur so können wir auch die weiteren Ziele erreichen», fügt er an. Wenn alles rund läuft, sollen in der Bäckerei dereinst nicht nur Arbeits-, sondern auch Ausbildungsplätze angeboten werden.

Bedingungen für Motivation schaffen

Auch wenn sein Einsatz nicht ohne ist und alleine die Reise ihm als Rollstuhlfahrer einiges abverlangt, reist Kieliger mit einer gehörigen Portion Zuversicht nach Haiti. Dort dürfte nicht nur sein Können als Bäcker zum Gelingen des Projekts beitragen, sondern auch seine positive Einstellung zum eigenen Schicksal.

Als Motivator sieht sich Kieliger jedoch nicht. Man könne nur immer sich selber, nicht aber andere Menschen motivieren, ist er überzeugt. «Das einzige, was man tun kann, sind Bedingungen zu schaffen, in denen sich die Menschen selber motivieren können.» Genau das hofft er mit seiner Hilfe in Haiti zu schaffen.

Kommentare (0)