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Sisikon

Klippenspringer: «Man muss die Angst ausblenden können»

Am Wochenende stürzt sich die Weltelite der Klippenspringer in den Urnersee – mit dabei ist auch ein Schweizer. Im Interview spricht Matthias Appenzeller (24) über seinen geplatzten Olympiatraum, seine Motivation und die Vorfreude auf Sisikon.
Matthias Appenzeller aus Rupperswil freut sich auf den Wettkampf in Sisikon und möchte mit guten Leistungen überzeugen. (Bild: Romina Amato/Red Bull)

Philipp Zurfluh

Er ist furchtlos: Nun steht der eloquente Modellathlet Matthias Appenzeller aus Rupperswil am Samstag und Sonntag im Rampenlicht. Zum ersten Mal darf er an den Red Bull Cliff Diving World Series seine Fähigkeiten vor Tausenden von Schaulustigen unter Beweis stellen – mitten in der internationalen Klippenspringerszene. Der 24-Jährige wird unter anderem einen dreifachen Salto vorwärts mit zweieinhalbfacher Schraube zeigen. Trotz leichter Nervosität macht sich beim Jus-Studenten Optimismus breit.

Matthias Appenzeller, Klippenspringen ist eine Extremsportart. Aus schwindelerregender Höhe wird mit bis zu 90 Stundenkilometern die Wasseroberfläche durchbohrt. Für eine aussenstehende Person schwer vorstellbar. Wie stark ist bei Ihnen das Gefühl der Angst präsent?
Man darf keine Angst haben, aber es braucht Respekt. Ich muss volles Vertrauen in meine Fähigkeiten haben, sonst kann etwas schief gehen. Eine gewisse Unsicherheit schwingt vor allem Anfang Saison mit, wenn man noch keine Trainingssprünge absolviert hat.

Sie haben von den Organisatoren der Red Bull Cliff Diving World Series eine Wildcard erhalten. Wie kam es dazu?
Ich habe ein Bewerbungsvideo eingeschickt. Dass sie sich für mich entschieden haben, ist eine grosse Ehre. Ich freue mich, zum ersten Mal in meiner Karriere von einer Red-Bull-Cliff-Diving-Plattform zu springen.

Was verbindet Sie mit Sisikon?
Das Training findet häufig in der Nähe statt. Der Vierwaldstättersee und die dortige Umgebung zählen meiner Meinung nach wirklich zu den idyllischsten Gegenden in der Schweiz. Die Landschaft mit den vielen Bergen ist einfach atemberaubend.

Sie haben als Siebenjähriger mit dem Turmspringen begonnen, waren Mitglied der Schweizer Wassersprung-Nationalmannschaft und erreichten an den Jugend-Europameisterschaften den 4. Rang. Warum haben Sie vor ein paar Jahren zum Klippenspringen gewechselt?
Ich hatte grosse Pläne und wollte auch mal an den Olympischen Spielen teilnehmen. Doch Verletzungspech und eine extreme Erwartungshaltung liessen meinen Traum platzen, ich musste meine Ambitionen begraben. Ich war am Boden zerstört und wollte alles hinschmeissen. Familie und Freunde haben mir aber den nötigen Halt gegeben. Mit dem Klippenspringen habe ich ein neues Hobby gefunden. Mir wurde bewusst, dass der Aufwand für eine Profikarriere zu gross ist. Man muss auf Sponsorensuche und täglich trainieren, denn die Konkurrenz schläft nicht.

Wie ging es dann weiter?
Nach dem Turmspringen habe ich mit dem Jus-Studium einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden, wobei ich natürlich versuche, das Klippenspringen so oft wie möglich einzubauen. Das Studium hat aber Priorität. In der Schweiz ist es leider nicht möglich, vom Klippenspringen zu leben.

Worin besteht die Schwierigkeit, einen perfekten Sprung aus 27 Metern zu zaubern?
Man muss die Angst komplett ausblenden können. Wichtig ist der Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Wenn der Absprung funktioniert, passen meistens auch die Drehungen und das Eintauchen.

Kann grundsätzlich jeder Mensch ein Klippenspringer werden?
Eher nicht. Gewisse Voraussetzungen müssen gegeben sein. Vorstellungskraft und Mut sind gefragt. Körperspannung, Koordination und Belastbarkeit sind weitere Faktoren.

Wie kann man sich als Klippenspringer überhaupt auf einen Wettkampf wie in Sisikon vorbereiten?
Mehr als drei Sprünge pro Tag hält der Körper nicht aus. Man muss sich Folgendes vor Augen führen: Der Körper ist einer starken Belastung ausgesetzt. Wenn ich ins Wasser eintauche, bremse ich innerhalb von vier Metern von 85 auf 0 km/h ab. Der Körper wird voll zusammengestaucht. Besonders beansprucht werden dabei der Rumpf und die Beinmuskulatur.

Was geht Ihnen auf der 27-Meter-Plattform kurz vor dem Absprung durch den Kopf?
Ich nehme die Umgebung nicht mehr wahr und gehe den Sprung im Kopf durch. Andere Gedanken haben keinen Platz.

Zurzeit kommen Sie ohne Trainer aus. Ist das eigentlich ein Nachteil?
Es wäre eine zusätzliche Unterstützung, aber ich bekomme Hilfe und Feedbacks von anderen Springern, obwohl wir Konkurrenten sind. In der Szene herrscht eine familiäre Atmosphäre.

In Sisikon bekommen Sie es mit den weltbesten Athleten zu tun. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Primär möchte ich in der Szene Luft schnuppern, mich an das hohe Niveau herantasten und von den anderen Teilnehmern lernen. Das Resultat ist am Schluss zweitrangig. Wenn mir die vier Sprünge gut gelingen, bin ich mehr als zufrieden. Es wird ein spezieller Wettkampf, da mich meine Familie und viele Freunde vor Ort unterstützen.

Wie geht es nach Sisikon für Sie weiter?
Falls ich den Veranstalter mit meinen Leistungen überzeugen kann, geben sie mir vielleicht nochmals eine Wild Card für einen weiteren Auftritt an den Red Bull Cliff Diving World Series. Ansonsten ist der World-Cup in Abu Dhabi mein nächster Stopp. Dort will ich mich für die WM im nächsten Jahr qualifizieren.
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