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Uri

Das Geheimnis der Schweiz

Ralph Aschwanden sinniert über den Leim, der die Schweiz zusammenhält.
Ralph Aschwanden (Bild: PD)

Es ist Zeit für ein (nicht vollständig ernst gemeintes) Plädoyer für das grösste Schweizer Kulturerbe schlechthin. Es handelt sich um nichts weniger als den eigentlichen Kern der Schweiz. Er ist das Geheimnis hinter unserer Stabilität, unserer Konsensdemokratie. Er ist der wahre Grund, warum in unserem Bundesrat so unterschiedliche Weltanschauungsparteien wie die SP und die SVP gemeinsam regieren können. Er ist ganz einfach das, was die Schweiz im Innersten zusammenhält: der Apéro.

Gemäss unbestätigten historischen Forschungen handelte es sich 1291 auf dem Rütli gar nicht um die Gründungsversammlung der Schweiz, sondern eher um einen Apéro, an dem grundlegende Probleme der Talschaften Uri, Schwyz und Unterwalden gemütlich diskutiert werden sollten. Der Apéro würde damit gar am Anfang der nationalkonservativen Version der Schweizer Geschichte stehen. Da es den Rütlischwur 1291 wohl gar nicht gegeben hat, ist wohl auch die Apéro-Geschichte ins Reich der Legenden zu verweisen. Dennoch hat die Kulturform des Apéros in den vergangenen Jahrhunderten viele Formen durchlebt. Klassisch-zurückhaltend mit Weisswein, Orangensaft und Mineral. Im bürgerlichen Milieu etwas breiter mit Rotwein, Bier und Apfelsaft. In gehobenem Ambiente zuweilen auch mit Prosecco, Rohschinken, gebackenen Häppchen, Urner Alpkäse und natürlich viel Brot und Früchte (dann als sogenannter «Apéro riche»).

Jeder Anlass, jede Feier und jede längere Sitzung endet mit einem Apéro. Besser gesagt, endete mit einem Apéro – bis Corona kam. Seither ist es vorbei mit dem gemütlichen Ausklang. Und das ist schade, denn der Apéro bringt uns auf Augenhöhe, lässt uns Differenzen vergessen und wird – im besten Fall – zur Ideenschmiede und zum Ort, wo Kompromisse entstehen. Es ist leider wissenschaftlich nicht erwiesen, an wie vielen Apéros relevante Probleme der Schweiz gelöst wurden. Es dürften aber annähernd so viele gewesen sein, wie das Bundesparlament innerhalb ordentlicher Sitzung gelöst hat.

Der Verlust des Apéros dürfte damit einer der grössten Verluste für die Schweizer Demokratie im Zeitalter von Corona sein. Kein virtuelles und digitales Cüpli-Anstossen kann einen veritablen Apéro-Schmaus nur ansatzweise ersetzen. Die Folgen sind offensichtlich: angespannte Diskussionen, verhärtete Fronten im Bundesparlament, kaum mehr entspannte Diskussionen über die eigene Meinungsblase hinaus. Die Wiedereinführung des Apéros tut also dringend not: Dann liesse sich beispielsweise das «Diktatur-Problem» der SVP bei einem Gläschen Weisswein zwischen Marco Chiesa und Alain Berset klären.

Ich freue mich auf jeden Fall wieder darauf, wenn eine Feier, ein Fest oder eine längere Sitzung einen unbeschwerten, gemütlichen und informellen Abschluss finden kann. Der Austausch ennet der Traktanden, der Formalitäten und der Parteilinien ist etwas, was mir persönlich fehlt. Und dessen Wiedereinführung hoffentlich dazu führen wird, die derzeit gereizte Stimmung zu «ent-spannen».

Ralph Aschwanden, Vorsteher Amt für Kultur und Sport

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