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Uri

780 Jahre alt und fast so viele Varianten: Das Urner Wappentier im Wandel der Zeit

Seit seinem ersten Erscheinen im 13. Jahrhundert hat sich der Uristier vom Auerochsen zum Hausrind gewandelt. Eine heutige Version besinnt sich jedoch wieder auf ihre Wurzeln zurück.
Abzeichnung des ältesten bekannten Urner Wappensiegels um 1245. (Quelle: Marion Sauter, «Die Kunstdenkmäler des Kantons Uri, Band III»)
Rückgezüchtete Auerochsen werden ausgewildert. (Bild: Diether Endlicher/AP/Keystone (Seehausen D, 8. Dezember 2005))
(Quelle: Hans Muheim, «Das Rathaus von Uri in Altdorf»)
(Quelle: Hans Muheim, «Das Rathaus von Uri in Altdorf»)
(Quelle: Hans Muheim, «Das Rathaus von Uri in Altdorf»)
    (Quelle: Schweizerische Bundeskanzlei, «Wappen, Siegel und Verfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Kantone»)
(Quelle: Marion Sauter, «Die Kunstdenkmäler des Kantons Uri, Band III»)
Urner Siegel von 1685. (Quelle: Marion Sauter, «Die Kunstdenkmäler des Kantons Uri, Band III»)
So sieht ein Siegelstempel von 1748 aus. (Quelle: Marion Sauter, «Die Kunstdenkmäler des Kantons Uri, Band III»)
(Bild: Sven Aregger (Göschenen, 26. April 2007))
(Bild: Christian Tschümperlin (Erstfeld, 31. August 2019))
(Quelle: Hans Muheim, «Das Rathaus von Uri in Altdorf»)
(Quelle: Kanton Uri)
(Bild: Urs Hanhart (Altdorf, 8. März 2020))
(Bild: Remo Inderbitzin (Meien, 7. Februar 2003))
(Bild: Markus Zwyssig (Erstfeld, 31. August 2019))
(Bild: Florian Arnold (Flüelen, 15. Juli 2015))

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Lucien Rahm

Er wird morgen Samstag wohl noch häufiger zu sehen sein, als sonst schon: der Uristier. Das Wappentier des Kantons ist auf gelbem Grund dargestellt, die Heraldiker sprechen sogar von Gold. Auf Wimpeln und Fahnen ist er als Symbol eines der drei Urkantone schweizweit eine beliebte 1.-August-Dekoration. In den rund 780 Jahren, seit denen er nachweislich schon als offizielles Symbol verwendet wird, hat sich das Aussehen des Urner Auerochsen mehrmals gewandelt und unterschiedlichste Formen angenommen.

Die erste bekannte Darstellung befindet sich auf einem Urner Landessiegel aus dem Jahr 1249. Nachweisbar ist es bereits seit 1243, entstanden sein könnte es auch bereits nach 1231. Das Spezielle daran: Zu sehen ist das Tier darauf nicht, wie heute üblich, von vorne, sondern von der Seite. Bereits trägt der Stier den Nasenring. Der bis zu 180 Zentimeter hohe Auerochse, der damals im heutigen Urner Gebiet gelebt haben soll und seit 1627 ausgestorben ist, «ist also kein eigentliches Wildtier mehr, sondern bereits vom Menschen gebändigt». So beschreibt der Grafiker und Autor Karl Iten die Bedeutung des Rings in seinem Werk «Der Ur» – wie der Auerochse auch noch genannt wird.

«Die Überlieferung weiss zu berichten, ein Papst habe den Urnern für ihre Hilfeleistung den Nasenring in ihrem Wappen verliehen, weil sie die Wildheit des Landes durch Urbarmachung und die Wildheit der Sitten durch Annahme des Christentums besiegt hätten», zitiert Iten den Urner Historiker Friedrich Gisler. Gemeint ist mit Urbarmachung die Umwandlung von naturbelassenen in landwirtschaftlich nutzbare Flächen.

Die nachfolgenden bekannten Darstellungen zeigen den Uristier dann alle frontal. Rund 70 Jahre nach dem Siegel kommt ein Banner zum Einsatz, welches die Urner in der Schlacht bei Morgarten mit sich trugen. Zusammen mit den beiden anderen Urkantonen zogen sie damit 1315 gegen die Habsburger in die Schlacht. Das knapp 1,5 Meter hohe Stoffstück zeigt den schwarzen Kopf eines Auerochsens vor gelbem Hintergrund. Das aufgenähte Tierhaupt ist ausgestattet mit den arttypisch langen Hörnern, welche jene heutiger Rinder in ihrem Ausmass übertreffen. Über den Augen scheinen sich – in mittlerweile wohl verblasstem Rot – Brauen zu befinden. Etwas, worüber ein Rind an sich nicht verfügt. Womöglich dienten die roten Augenpartien dazu, den Stier noch angsteinflössender wirken zu lassen. Auch zu sehen sind der Nasenring, die zwischen den Zähnen hervortretende Zunge sowie einige Stirnlocken, die durch die gegen obenhin wellenförmige Stirn angedeutet werden. Den Möglichkeiten der damaligen Zeit entsprechend, kommt das Ganze noch relativ asymmetrisch daher:

Die vier weiteren Urner Kriegsbanner aus dem Mittelalter – sie hängen heute im Bannersaal des Urner Rathauses in Altdorf – zeigen den Stier auf sehr ähnliche Weise. Nur auf demjenigen, welches 1386 in der Schlacht bei Sempach mitgeführt wurde, streckt der Ur seine Zunge nicht heraus. Dafür verfügt er über leicht grössere Ohren:

Etwas anders präsentiert sich später auch das Banner, welches die Urner 1512 von Papst Julius II. als Geschenk erhielten. Für ihre Beteiligung an der Vertreibung der Franzosen aus Oberitalien im Sommer des gleichen Jahres liess der Papst die besondere Flagge anfertigen, um die Urner für ihren Einsatz zu belohnen. Auch die anderen der damaligen Zwölf Orte der Eidgenossenschaft waren mit von der Partie und erhielten eine solche Spezialflagge – später bekannt geworden als Juliusbanner. Auf dem urnerischen Exemplar ist ein Stierkopf aufgemalt, der keine Zähne mehr, dafür eine um so breitere Zunge präsentiert. Der Nasenring ist hier nicht rot, sondern in Silber und Gold gehalten (laut Friedrich Gisler sei er in früheren Wappen gelb, später rot dargestellt worden). Die Hörner zeigen etwas weniger zielstrebig nach oben, und mit der Symmetrie klappt es mittlerweile besser:

Hörner werden stetig kleiner

«Während frühere Darstellungen des Urner Wappens noch ganz eindeutig Wildstiere darstellten, veränderte sich dieses Bild vor allem in der neueren Zeit immer mehr in Richtung des heutigen Hausstieres», schreibt Iten in seinem Buch. Das zeige sich vor allem an der Kopfform und den kürzeren Hörnern in moderneren Wappen.

Diese Entwicklung lässt sich ein Stück weit anhand der Wappensiegel beobachten, welche in Uri seit dem 13. Jahrhundert Verwendung fanden. So ist beispielsweise auf einem Siegelstempel von 1489 noch der klassische Ur-Kopf mit den langen Hörnern zu sehen. Erstmals auf einem Siegel, streckt der Stier dabei seine Zunge heraus:

Ab dann werden die Hörner stetig kleiner, und auch die Kopfform fällt bisweilen etwas breiter aus. Insbesondere auf einem Siegel von 1774, das bis 1842 im Einsatz war, erinnert der Stierkopf dann stark an das heutige Hausrind:

Auch die Zähne verabschieden sich langsam aber sicher aus dem Wappen. Um 1685 noch klar zu sehen, sind sie 1748 noch leicht angedeutet, bevor sie zumindest in den Siegeln nicht mehr aufzutauchen scheinen. Bereits zuvor wurde das Gebiss aber schon nicht mehr konsequent dargestellt.

19. und 20. Jahrhundert: Vom Hausstier zurück zur Ursprungsform

Im 19. Jahrhundert nähert sich das Wappentier dann noch mehr an das Aussehen des Hausstieres an. Eine mehr oder weniger fotorealistische Darstellung aus dieser Zeit wird schliesslich zu einem mehrerer Wappen, die der Kanton auf offiziellen Drucksachen verwendet. Auch die Schweizerischen Bundesbahnen haben diese Variante 1953 mit leicht gebogener Behornung an eine ihrer Lokomotiven Ae 6/6 Uri montiert:

Ebenso befindet sich im neuen Giruno-Zug, der nach dem Kanton Uri benannt ist, im Innern besagtes Wappen:

Dass neben dieser Variante auch noch andere Formen des Wappens auf Drucksachen des Kantons Verwendung fanden, veranlasste die Kantonsverwaltung 1987 dazu, bei einem Altdorfer Werbestudio ein neues visuelles Leitbild in Auftrag zu geben, um ihren optischen Auftritt zu vereinheitlichen.

Der 2001 verstorbene Autor Karl Iten forderte bereits in seinem Buch von 1981, «dass der Kanton Uri ein richtiges, offiziell gültiges, aus dem ursprünglichen Geist heraus gestaltetes Uristier-Wappen für die heutige Zeit gestalten» lassen soll. Der alte Auerochse der frühen Darstellungen sollte also auf offiziellen Dokumenten des Kantons wieder aufleben, so die Forderung.

Just jener Karl Iten durfte die Neugestaltung des Kantonswappens sechs Jahre später gleich selbst in die Hand nehmen – als einer der drei Grafiker des beauftragten «Studio 3». Und so entschieden sich die drei sogleich dagegen, auf die mittlerweile etablierte naturgetreue Hausrind-Variante zurückzugreifen. Die Begründung:

«Die bisher auf den Drucksachen verwendeten Uristier-Darstellungen sind durchwegs nicht sehr überzeugende Schöpfungen, die sich immer mehr vom Ur-Uristier mit den langen Hörnern wegentwickelt haben und zum biederen, landwirtschaftlich geprägten Zuchtstier gemacht worden sind, so wie sie heute an jeder Viehprämierung zu sehen sind.»

Um dem Kanton ein «klares», «kraftvolles», «zeitgemässes» und dennoch nicht modisch-kurzlebiges, sondern eben zeitloses Logo zu verpassen, nahm das Grafikstudio eines der mittelalterlichen Schlachtenbanner als Basis für ihre Neukreation. Auf diese Weise sei der neue Wappenstier auch «heraldisch hieb- und stichfest», heisst es im damaligen Konzept. Die Wahl fiel auf das Banner von 1443, welches unter anderem bei Zürich und Winterthur aufs Schlachtfeld geführt wurde:

Diese Vorlage haben die drei Grafiker dann lediglich um ihr Gebiss erleichtert, haben ihr das Rot entzogen und ihr Symmetrie verliehen. Platziert in einem Quadrat mit runden Ecken entstand schliesslich das offizielle Kantonslogo, welches bis heute in Verwendung ist:

Ab 1978 hat der Kanton dieses Logo schrittweise eingeführt, sobald noch vorhandene Druckwaren aufgebraucht waren.

Auch andere Varianten sind nach wie vor gebräuchlich

Mittlerweile ist die Neuauflage des Bannerwappens auch in Form von Fahnen etabliert (dann wiederum mit Zunge und Nasenring in Rot) und so in Flaggenshops erhältlich. Und am Urner Rathaus in Altdorf hängt mittlerweile ebenfalls die modernisierte Urversion:

Nach wie vor im Umlauf ist aber auch jene Ausführung, die an den Kopf eines Hausstieres angelehnt ist und fast so reduziert daherkommt, wie die Kreation von Iten und seinen Kollegen – jedoch um einiges grimmiger dreinschaut. Sie ist auf zahlreichen Fahnen oder beispielsweise auch an der Aussenseite des neuen SBB-Zuges Giruno zu finden:

Eine offizielle Version des Wappens, wie sie in anderen Kantonen definiert ist, gibt es in Uri übrigens nicht. «Der Kanton Uri hat kein Wappengesetz, das den ‹offiziellen› Stier definiert», schreibt die Urner Standeskanzlei auf Anfrage. «Auf die Flaggen darf jeder den Stier drucken, den er möchte.» Zu sehen sein muss lediglich ein mit Nasenring bewehrter Stier auf gelbem Grund. So darf sich das Wappentier also weiterhin in unterschiedlichsten Varianten präsentieren.

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