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Luzern

Unterm Mikroskop: In der Luzerner Pathologie werden jährlich bis zu 90'000 Proben untersucht

Seit 1919 werden in der Pathologie Luzern Gewebeproben aus der ganzen Zentralschweiz begutachtet. Zum 100-Jahr-Jubiläum des Instituts blicken wir mit Chefarzt Joachim Diebold zurück und in die Zukunft.
Assistenzärztin Valentina Allmann präpariert eine Gewebeprobe aus dem Unterleib einer Patientin. (Bilder: Eveline Beerkircher, Luzern, 15. November 2019)
Das Institut, links auf dem Bild, wurde 1933 in Betrieb genommen. 
Chefarzt Joachim Diebold (58) untersucht pro Jahr etwa 20'000 Gewebeproben. 
Das Pathologische Institut am Luzerner Kantonsspital zählt heute 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 
Hier werden die mikroskopischen Gewebeschnitte, die vier Tausendstel Millimeter dünn sind, fertiggestellt.

Yasmin Kunz

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Ein etwas stechender Duft schlägt einem entgegen, wenn man das 1933 erbaute Haus betritt. Das liegt keinesfalls am alten Bau, sondern am Formalin – eine farblose, wässrige Lösung, die zur Konservierung von Gewebe eingesetzt wird. Wir befinden uns in der Pathologie des Luzerner Kantonsspitals.

Wer jetzt an Leichen und Obduktionen denkt, liegt nicht ganz falsch. Noch etwa 100 Autopsien werden hier jährlich durchgeführt. Aussergewöhnliche Todesfälle werden jedoch in der Rechtsmedizin in Zürich begutachtet. Joachim Diebold, Chefarzt Pathologie, sagt: «Wir kümmern uns hier vorwiegend um Krankheiten von lebenden Menschen. Das ist der Unterschied zwischen Pathologie und Rechtsmedizin.» Das Hauptthema sei die Krebsdiagnostik. Ein anderer Bereich beinhaltet zum Beispiel die Diagnosestellung von entzündlichen Krankheiten im Magendarmtrakt.

Das Pathologie-Institut befindet sich auf dem nördlichen Spitalareal oberhalb der Friedentalstrasse. Heuer feiert es sein 100-jähriges Bestehen. Rein äusserlich hat sich kaum etwas verändert seit dem Neubau von 1933. Zuvor – von 1919 bis 1933 – befanden sich die Institutsräume im Keller der Chirurgischen Abteilung der kantonalen Krankenanstalt in Luzern.

Massiver Zuwachs: Von 639 auf 90'000 Fälle jährlich

Dass das Institut vom Kellergeschoss in das jetzige Gebäude im Bauhausstil einziehen konnte, ist Helene Kloss zu verdanken (siehe Artikel am Ende des Textes). Von 1919 bis 1947 leitete sie die Pathologie in Luzern. Der Keller als Arbeitsplatz reichte ab 1930 nicht mehr aus, zumal die Zahl der Untersuchungen zwischen 1919 und 1930 um das Zehnfache – von 639 auf 6611 Fälle pro Jahr – stieg.

Die Dimensionen haben sich seither krass geändert. Heute werden pro Jahr 90'000 Fälle behandelt, dafür produzieren die Mitarbeiter des Instituts eine halbe Million Objektträger. Davon landen etwa 20'000 Proben unter dem Mikroskop von Joachim Diebold. Nicht nur bei komplexer Fragestellung. «Ich mache das, was meine Mitarbeitenden auch machen, reguläre Arbeit», sagt der 58-Jährige, der das Institut seit zwölf Jahren führt. Dennoch schätze er, wenn ihm seine Kollegen bei Unsicherheiten den Fall vorlegen. Diebold, der mit seiner Frau in Horw wohnt, ist ein ausgewiesener Experte bezüglich Brustkrebs-Diagnostik. Doch er beurteilt auch Proben aus dem Magendarmtrakt, der Lunge, der Haut und weiteren Organen. Oder wie er es sagt:

«Unser Spektrum reicht von der Untersuchung der Hautwarze bis zum Hirntumor.»

Ganz selten liegt gar Gewebe von einem Herz auf seinem Tisch. Die Ergebnisse der Proben bespricht der Mediziner mit den Ärztinnen und Ärzten aus unterschiedlichen Fachgebieten wie etwa den Onkologen. «Das interdisziplinäre Zusammenarbeiten ist im Endeffekt für die Patientinnen und Patienten sehr gewinnbringend. Aus der Pathologie liefern wir die exakten Fakten: um welche Krebsform es sich handelt, wie weit fortgeschritten der Tumor ist, welche Therapien aufgrund der molekularpathologischen Analysen im aktuellen Stadium sinnvoll sind.» Mit den anderen Zentralschweizer Spitälern, die ihre Proben nach Luzern schicken, sei man oft via Videokonferenz im Austausch. Die Luzerner Pathologie deckt mit den Spitälern Zug, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden die gesamte Zentralschweiz ab.

Das Institut zählt heute 50 Angestellte. Das Ärzteteam besteht aus elf Fachpathologen und drei bis vier Assistenzärzten. Bevor eine Probe untersucht werden kann, muss das entnommene Gewebe – zum Beispiel ein Teil der Lunge – präpariert werden. Je nach Grösse wird es zerschnitten und dann in Kapseln gelegt. Bei unserem Besuch in der Pathologie bereitet Assistenzärztin Valentina Allmann eine Gewebeprobe aus dem Unterleib einer Patientin auf. Sie legt das Material in eine Kapsel, damit die Probe entwässert, in Paraffinwachs eingebettet und geschnitten werden kann, bevor sie in die Färbemaschine gelangen.

Proben werden 30 Jahre aufbewahrt

Damit die rund 500'000 Objektträger immer der richtigen Person zugeordnet werden, arbeitet die Pathologie mit Barcodes. Damit sei garantiert, dass sie nicht verwechselt werden, so Diebold. Nach Abschluss des Untersuchs werden die Objektträger für 30 Jahre archiviert. «Das stellt einen nicht zu unterschätzenden Wert für die Patientensicherheit dar», sagt er. «Es kann sein, dass ein Patient 20 Jahre nach einer Krankheit, erneut erkrankt. Dadurch, dass seine Proben noch vorliegen, können zum Beispiel Vergleiche gezogen werden. Woran leidet er heute? Was hatte er früher? Dabei können unter Umständen Zusammenhänge entdeckt werden, welche für den Patienten wichtig sind.» Der Vater dreier erwachsener Kinder und dreifacher Grossvater fügt an:

«Wir bilden sozusagen die Krankengeschichte der Zentralschweiz ab.»

Folglich war es ein logischer Schritt, das 2009 gegründete Zentralschweizer Krebsregister bei der Pathologie anzugliedern.

Detailliertere Ergebnisse dank neuer Methoden

Die technischen und digitalen Fortschritte in der Medizin machen auch vor der Pathologie nicht Halt. So wurden etwa die klassischen Färbemethoden in den 80er- und 90er-Jahren durch die Enzymhistochemie, Elektronenmikroskopie und dann durch die Immunhistologie ergänzt. Was kompliziert tönt, ist vereinfacht dargelegt der Nachweis von Proteinen im Gewebe. Das wiederum führt zu einer genaueren Diagnose.

2007 erreichte man mit der Molekularpathologie einen weiteren Meilenstein. Dabei können Fehler im genetischen Bauplan der Krebszelle entdeckt werden. Diebold: «Jeder Krebs durchläuft unterschiedliche Stadien. Mittels Erbgutanalyse der Krebszellen können wir die Tumorzellen sehr genau charakterisieren, was Ansatzpunkte liefert, wie sie in ihrem Wachstum eventuell gestoppt werden können.» Die neuen Untersuchungsmethoden liefern detailliertere Ergebnisse über die Krebsart und sein Stadium. Vor 20 Jahren kannte man etwa drei Lungenkrebsarten, heute sind es deren 20. Diese Fortschritte beeinflussen auch die Behandlung. Laut Diebold hat sich das Wissen über die biologischen Grundlagen von Krebserkrankungen in den letzten Jahren enorm vergrössert.

Computer könnte bald das Mikroskop ablösen

Weitere Fortschritte ortet der Chefpathologe in der Digitalisierung. Er ist überzeugt, dass sein Mikroskop in Zukunft durch einen Bildschirm ersetzt wird. «Die künstliche Intelligenz erreicht den pathologischen Alltag. Sie macht uns aber noch lange nicht überflüssig, sondern unterstützt uns.» So seien bereits Systeme entwickelt worden, wo der Computer erkennen kann, ob es sich bei den Gewebeproben um Krebs handelt oder nicht. Er sagt aber:

«Für die genaue Analyse braucht es aber nach wie vor das Auge der Pathologen.»

Das Rekrutieren von Pathologen sei schwierig, so Diebold, der sich bald nach dem Studium für diese Fachrichtung entschieden hat. «In der Pathologie arbeiten wir nicht direkt mit den Patienten. Das dürfte für viele ein Grund sein, diesem Fach wenig Beachtung zu schenken.» Er habe diesen Kontakt allerdings nie vermisst. Dass ihn das Schicksal von Patienten deshalb kaltlässt, wäre ein falscher Schluss.

«Wenn ich sehe, dass eine junge Person an einem schlimmen Krebs erkrankt ist, dann macht mich das betroffen.»

Dass er aber nur ihre Daten habe und kein Gesicht dazu, sei für ihn auch Schutz. «Wir müssen höchst genau arbeiten, Emotionen haben da wenig Platz.»

Um den Nachwuchs kümmert sich Diebold selber: «Da wir über mehrere Assistenzarztstellen verfügen und die angehenden Mediziner ausbilden, tragen wir unseren Teil dazu bei.» Er hoffe natürlich, dass die Assistenzärztinnen und -ärzte sich «so wohl fühlen wie ich, damit uns die eine oder der andere treu bleibt». Für den Chefarzt Joachim Diebold ist nämlich klar: Er will noch lange Pathologe sein.

Hinweis: Joachim Diebold, Hedwig Trinkler und Aldo Colombi haben zum Jubiläum ein Buch verfasst: 100 Jahre Pathologie Luzern. Das Werk ist bei BoD (www.bod.ch) für 20.50 Franken erhältlich. Dieses befasst sich vor allem mit Helene Kloss.

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