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Kolumne Stadtentwicklung

Theaterbauten sind lebensnotwendige Organe jeder Stadt

Welche übergeordnete räumliche und funktionale Bedeutung hat das Neue Luzerner Theater für die Stadt? Der Autor geht diese Frage nach.

Die Diskussion um das neue Theater in Luzern hat sich am Bild festgebissen. Das verstellt allerdings den Blick auf die zentraleren Fragen, die eigentlich an ein Neubauprojekt für ein Theater der nächsten Generationen gestellt sein müssten: diejenigen nach der Bedeutung des Theaters und nach seinem Stellenwert im städtischen Gefüge. Es geht um die identitätsstiftende Bedeutung einer solchen Institution und um eine Verpflichtung zum Weiterbauen an den für unsere Gesellschaft relevanten Institutionen.

So stellen sich die Architekten des Siegerprojekts den Neubau vor. Dieses wird derzeit überarbeitet.
Bild: Visualisierung: zvg

Als Architekt möchte ich hier auf diese übergeordnete Bedeutung eingehen, soweit sie die spezifische Rolle des Theaters für das Wirken einer Stadt funktional, aber insbesondere auch räumlich prägt.

Die Rolle des Theaters in der Gesellschaft

Das Theater, als Liveperformance, ist ein Gefäss der Aktion, konkret der direkten Interaktion zwischen Bühne und Zuschauerraum, und ein wichtiges Instrument des sozialen Diskurses. Es ist der zivilgesellschaftliche Kochtopf, ein Ort, an dem unser Demokratieverständnis diskutiert wird und an dem man als Gemeinschaft auch sich widersprechende Ansichten anhört. Auch wenn dem Theater der Hinweis auf eine privilegierte Position der Bildungselite als Kritik anhaftet, ist es doch ein Instrument einer diskursiven Vernunft, die Jürgen Habermas als das tauglichste Mittel einer kooperativen Meinungs- und Willensbildung bezeichnet.

Das Theater als städtischer Ort

Im Grundsatz ist der Theaterraum von seiner Formgebung nicht abhängig; eine Aufführung ist praktisch überall möglich. Dennoch ist der Theaterbau zum Teil der städtischen Infrastruktur geworden. Theaterbauten sind lebensnotwendige Organe jeder Stadt. Es erstaunt wenig, dass die idealisierte antike Stadt Griechenlands daraus ein repräsentatives Symbol gemacht hat, das zum Corporate Design und Zeichen der Herrschaftsansprüche geworden ist. Diese Funktion hat sich im Verlauf der Zeit vielfach gewandelt. Die Idealisierung wurde ab der Mitte des 20. Jahrhunderts gerade in Bezug auf die Stadt umfassend infrage gestellt: Aus der Forderung nach urbaner Diversität leitete sich der Anspruch an ein Theater mit hoher funktionaler Mannigfaltigkeit ab.

Dem gegenüber lässt sich aber auch beobachten, dass das Theater gerade dort seine grösste Wirkung erzielt, wo es vielfältig genutzte städtische Räume bespielen kann. Mein persönlicher Blick in die nahe Zukunft sieht in Zeiten des digitalen Overkills eine gesteigerte Bedeutung für das Theater als Institution: Es wird zum Rückzugs- und Reflektionsort, zur analogen Hochburg, wo Deepfakes dazugehören, aber im kollektiven Diskurs entlarvt werden können.

Das Neue Theater in Luzern

Das bestehende Gebäude des Luzerner Theaters mag einen abschottenden Ausdruck vermitteln – der Standort aber signalisiert Eingebundenheit: Es steht unmittelbar neben den politischen, parlamentarischen Gefässen des Kantons, in der Nähe des Stadtparlaments und neben der Jesuitenkirche. Auch die öffentliche Verwaltung ist – mindestens im Moment noch – nahe. Und zentral sind die Bezüge zu den Freiräumen: Die Quaianlage der Bahnhofstrasse wird ihre öffentliche Rolle weiter stärken, vom Markt bis zur nationalen Veloroute und als Verknüpfungsachse zur Reuss, zum Bahnhof und zum See.

So bleibt der Standort die grosse Qualität, zentral und eingebunden an der Schnittstelle zwischen der politischen Öffentlichkeit, der Freizeitnutzung, dem innerstädtischen Shopping und der touristischen Vereinnahmung.

In diesem Sinne muss die räumliche Wirkweise des Theaters ins Bewusstsein einfliessen. Diese ist bei weitem nicht auf die Aufführungen in den Sälen beschränkt, sondern auf die Interaktion mit dem gewöhnlichen Leben, und dabei mit der bewussten Rolle als zivilgesellschaftlicher Resonanzkörper. Unterhaltung ist hier nicht einfach nur eine konsumgetriebene Freizeiterrungenschaft, sondern vielmehr Draht zu einem offenen gesellschaftlichen Diskurs.

Hier sind denn auch die grossen Qualitäten des Siegerprojektes des Wettbewerbes für das neue Theater Luzern zu sehen. Nicht nur geschlossene Räume der Aufführung, sondern ein öffentlich zugängliches Foyer Public als alltäglicher Begegnungsraum, wo sich die Aktivitäten der Theaterschaffenden dem Besucher offenbaren, wo aber die ungezwungene Begegnung möglich ist und wo – analog dem Bourbaki – ein nicht nur kommerziell getriebener Aufenthalts- und Arbeitsort ermöglicht wird.

So bleibt die zentrale Frage: Welchen Wert kann die räumliche Konfiguration für unser städtisches Leben generieren? Wenn dieser hoch genug ist, dann muss sich das Gebäude nicht vor der Herrlichkeit der Jesuitenkirche ducken, und dann wird der Verlust des freien Blickes auf die Reuss zur Nebensache.

*Dieter Geissbühler, Hochschule Luzern, Co-Leiter CAS Baukultur

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