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Luzern

Streit um Spange Nord: Herrschen in Luzern bald Zürcher Verhältnisse?

Egal ob Tempo 30 oder «Spange Nord» – bei Verkehrsangelegenheiten geraten Stadt und Kanton Luzern zunehmend aneinander. Solche Zustände sorgen andernorts schon länger für rote Köpfe.
Geplante Verkehrsführung der Spange Nord in Luzern.
Martin Abele, Präsident Grüne Stadt Luzern. Bild: PD
Auf der vierspurigen Zürcher Rosengartenstrasse - einer Transitstrasse mitten in der Stadt - wollten Anwohner und das Stadtparlament zwei Fussgängerstreifen. Doch der Kanton sagte Nein - aus Sicherheitsgründen.

Roman Hodel

Roman Hodel

Roman Hodel

Der Autobahnzubringer «Spange Nord» spaltet Stadt und Kanton Luzern. Letzterer plant das Projekt und ist von dessen Notwendigkeit überzeugt. Der Stadtrat dagegen – und mit ihm ein Grossteil der betroffenen Quartierbevölkerung – bekämpft es (mehr dazu hier). Dass sich Stadt und Kanton Luzern in der Verkehrspolitik in gewissen Punkten uneins sind, ist nicht neu. So fordern Quartierbewohner und Stadtpolitiker seit Jahren Tempo 30 etwa auf der Basel- und der Bernstrasse, beides Kantonsstrassen – bislang vergeblich.

Neu ist aber: Die Fronten sind verhärtet wie nie zuvor. Für den Präsidenten der Stadtluzerner Grünen, Martin Abele, sind dies vertraute Töne. Der 56-Jährige hat bis vor drei Jahren in Zürich gewohnt und sagt: «Die ganzen Diskussionen rund um die Spange Nord erinnern mich an das nie realisierte Zürcher Expressstrassen-Ypsilon.» Der Bund, gütig unterstützt vom Kanton, plante in den 1970er Jahren den Zusammenschluss dreier Autobahnen im Zentrum von Zürich. Die Stadtzürcher Bevölkerung wehrte sich heftig und am Ende erfolgreich dagegen.

«Immer gleich ideologisch aufgeladen»

Mittlerweile existieren mit der Nord- und Westumfahrung Alternativen. Ähnliches passiert momentan auch in Biel. Dort will der Bund eine Autobahnlücke mitten durch die Stadt schliessen. Das Projekt ist umstritten, weil Hunderte Bäume und Dutzende Häuser dafür weichen müssten. Dass links dominierte Städte und ihr bürgerlich dominiertes Umland gerade bei Verkehrsfragen zunehmend aneinandergeraten, hat Martin Abele in Zürich auch während seiner neun Jahre als Stadtparlamentarier zur Genüge mitbekommen – von Tempo 30 über Parkplatzabbau bis zu Strassenprojekten. «Verkehrsdebatten waren immer gleich ideologisch aufgeladen und endlos», sagt er. Was passiert, wenn Stadt und Kanton nicht derselben Meinung sind, zeigen diese drei Beispiele:

  • Spurabbau: Die Stadt Zürich plante 2013 auf einer Kantonsstrasse am Bellevueplatz den Abbau einer Spur. Der Kanton befürchtete Staus und sagte Nein. Daraufhin zog die Stadt vor Gericht. Der Streit zwischen der damals zuständigen Stadträtin Ruth Genner (Grüne) und dem zuständigen Regierungsrat Ernst Stocker (SVP) eskalierte. Am Ende gab das Verwaltungsgericht der Stadt Recht. Der Kanton akzeptierte das Urteil zähneknirschend. Stocker sagte: «Ärgerlich ist es vor allem deshalb, weil der Kanton solche Strassen zum grössten Teil finanziert.»
  • Fussgängerstreifen: Das Zürcher Stadtparlament genehmigte 2010 einen Projektierungskredit für zwei Übergänge auf der vierspurigen, innerstädtischen Rosengartenstrasse, einer Kantonsstrasse. Der Kanton sagte Nein und begründete dies mit der Sicherheit. Bergabfahrende Lastwagen oder Cars müssten allenfalls stark abbremsen, das sei zu gefährlich. In den betroffenen Quartieren ärgerte man sich noch lange darüber, dass der Kanton sich in solche städtischen Angelegenheiten einmischen darf.
  • Velostrassen: Im Regionalen Richtplan wollte eine Mehrheit des Zürcher Stadtparlaments Vorgaben zu Velostrassen, mehr Grünraum und möglichst wenig Autos verankern. Es hiess den revidierten Richtplan deutlich gut. Doch der Regierungsrat strich diverse Punkte wieder. Linke Parteien tobten und selbst bürgerliche Politiker wunderten sich. Der Stadtrat verzichtete trotzdem auf eine Beschwerde mit Verweis auf den «Ermessensspielraum des Regierungsrats».

Für Politgeograf Michael Hermann handelt es sich bei den Beispielen zwar (auch) um typische Machtkämpfe zwischen der rot-grün dominierten Stadt und dem bürgerlich dominierten Kanton. Hauptaspekt seien jedoch unterschiedliche Interessen und Sichtweisen. Ein Umstand, der für jede grössere Stadt gilt – sei es nun Zürich oder eben Luzern. «Mobilität ist für alle wichtig, doch in der Stadt kumuliert sich das Ganze, weil ja nicht nur jene unterwegs sind, die hier wohnen», sagt Hermann.

Städte sind wieder selbstbewusst

Durch die stark wachsende Mobilität lebt die Mehrheit der Bevölkerung einer Region oder eines Kantons nicht mehr in der Kernstadt, arbeitet und/oder verbringt aber die Freizeit hier. «Entsprechend hoch ist das Verkehrsaufkommen mit Begleiterscheinungen wie Lärm.» Gleichzeitig wohnt eine wachsende Minderheit des Kantons (wieder) in der Kernstadt – und hat automatisch andere Bedürfnisse als Pendler. So verzichten Kernstädter zunehmend aufs Auto. Ein Trend, der laut Hermann weltweit auszumachen ist. Hinzu komme das wiedererlangte Selbstbewusstsein: «Städte sind hip und stehen auch finanziell wieder gut da.»

Trotz zum Teil unterschiedlicher Interessen hält Michael Hermann aber nichts von zwei Halbkantonen, wie dies da und dort immer mal gefordert wird: «Das ist gerade aus städtischer Sicht ein Chabis, weil beide Seiten aufeinander angewiesen sind.» Als Beispiel nennt er Basel-Stadt und -Land. «Hier würden ja ausgerechnet die Städter eine Fusion wieder befürworten – doch die Landschaft will nicht.» Eine überregionale Optik sei wichtig und man komme nicht darum herum, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.

Davon ist auch Martin Abele überzeugt. Er sagt: «Man muss in Luzern wieder mehr aufeinander hören und vor allem sollten die Bevölkerungsinteressen im Vordergrund stehen.» Möglicherweise würde das Rontal laut Martin Abele vom Bypass und der damit verbundenen Spange Nord «kurzfristig» profitieren, «aber muss es auf dem Buckel der Stadtbevölkerung sein?» Er ist überzeugt, dass der Kanton bei diesem Projekt Zugeständnisse machen wird, «in der heutigen Form hat es kaum Chancen».

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