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Zug

«Seitenblick»: Vom Gümmelen und vom Südtirol

Herrgott, ich fahre Velo. Sie sagen: selber Schuld. Ich sage: Sie haben recht.

Nennen Sie mich einen Lügner, aber ich sage es jetzt: Ich lebe am Limit. Also an den Wochenenden. Im Sommer. Zwischendurch. Und die Chance ist gross, dass Sie, die oder der das hier liest, meine Schwester oder mein Bruder im Geiste sind. Dann nämlich, wenn Sie sich an einem sonnigen Sonntag zwischen März und Oktober auch schon auf die Strasse getraut haben. Mit dem, Gott bewahre: Velo.

Vielleicht haben Sie sich auch schon in eine Umgebung gewagt, die lebensfreundlich ist wie die Marsoberfläche; sich in einen sozialen Raum begeben, in dem Sie gewisse Leute gleich schätzen wie eine Magen-Darm-Grippe.

Und möglicherweise haben Sie die gleichen Erlebnisse wie ich machen dürfen: etwa im Wallis auf einem Baustellenabschnitt von einem Lastwagen überholt werden, der sich auch nicht vom leidigen Thema Gegenverkehr abbringen lässt, Sie so schnell wie möglich nicht mehr sehen zu müssen. Oder Sie haben sich bei der Überlegung ertappt, dass auf der Strecke Rothenthurm–Schwyz unter Velofahrern der Konsens gelten muss: Gewonnen hat, wer unten in einem Stück ankommt.

Wer weiss, vielleicht haben Sie sich sogar auch schon meiner persönlichen Lieblingsmühsamkeit gestellt: dem Grepperstutz hinter Weggis, wo Sie sogar die Wahl haben: Lassen Sie sich lieber vom normalen Strassenverkehr überfahren? Oder sind Sie mutig und nehmen den Veloweg, auf dem Sie nie wissen, hinter welcher der Ausfahrten ein Autoscheinwerfer hervorlinst, an denen der Weg vorbeiführt?

Ja, das ist überspitzt. Nein, niemand zwingt mich zum Gümmelen. Und ja: Wenn ich Auto fahre, fluche auch ich über diese verdammten Velofahrer. Sie sehen: Wir alle haben recht und niemanden stellt die Situation zufrieden. Was also tun?

Am besten flüchten Sie aus der «Velowüste Schweiz», wie Sie ein Bekannter letztens genannt hat. Als Alternative würde ich Ihnen das Südtirol empfehlen. Den Etsch-Radweg vom Reschenpass nach Bozen zum Beispiel – ein einziges Band der Ruhe, das entlang dem namensgebenden Fluss und parallel zum Autoverkehr durch Wälder, Ebenen und Obstplantagen führt und an dem Sie Ortschaften wie Meran passieren, in denen es sich wunderbar baden, essen und trinken lässt.

Ich war kürzlich eine Woche da und kam bestens erholt zurück. Auch, weil ich weder einen Autofahrer genervt noch einen davon gesehen hätte. Wie das nur sein kann?

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