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St. Urban

Psychiatrie im Wandel – vor 150 Jahren wurde die erste «Irrenanstalt» des Kantons Luzern gegründet

1873 machte die erste psychiatrische Heilanstalt im Kanton ihre Pforten auf. Am Donnerstag wurde dieser Meilenstein der institutionellen Psychiatrie mit einem Jubiläumsanlass gefeiert.

Was heute als Begriff undenkbar gilt, bedeutete vor 150 Jahren ein wichtiges Ereignis für psychisch kranke Menschen. 1873 wurde mit der ersten «Irrenanstalt» des Kantons Luzern in St. Urban der Grundstein für die stationäre institutionelle Psychiatrie gelegt. Anlässlich dieses runden Geburtstags fanden am Donnerstag in St. Urban die Jubiläumsfeierlichkeiten statt.

Alte Klosteranlage St. Urban, in der die erste «Irrenanstalt» im Kanton Luzern untergebracht war.
Bild: Bild: PD 

Regierungspräsident und Vorsteher des Gesundheits- und Sozialdepartement Guido Graf würdigte in seiner Ansprache vor den zirka 150 geladenen Gästen die Bedeutung der Luzerner Psychiatrie (Lups). «Die Lups hat sich all die Jahre weiterentwickelt und beweist immer wieder aufs Neue, wie innovativ sie ist», so Graf. Er erwähnte auch die schwierigen Zeit während der Pandemie, die bis heute andauere. Erfreulich sei, dass sich der Umgang mit psychischen Krankheiten gewandelt und sich die gesellschaftliche Akzeptanz verbessert hätten. Diese Entwicklung sei unter anderem auf die gute und kompetente Arbeit der Fachpersonen zurückzuführen. «Für diese wichtige, anspruchsvolle und wertvolle Arbeit danke ich der Lups», so Graf.

Jürg Meyer, Verwaltungsratspräsident der Luzerner Psychiatrie AG gab den Dank an Graf zurück und überreichte dem abtretenden Regierungsrat einen Blumenstrauss mit den Worten: «Guido, du bist jederzeit willkommen hier», worauf im Saal heiteres Gelächter ertönte.

«Bis weit ins 19. Jahrhundert haarsträubende Zustände»

Jochen Mutschler, Chefarzt Stationäre Dienste, zeigte den Gästen die Entwicklung der Psychiatrie auf. «Im Kanton Luzern herrschten bis weit ins 19. Jahrhundert haarsträubende Zustände bei der psychiatrischen Versorgung», sagte er. Geisteskranke blieben in ihren Familien, kamen ins Bürgerspital Luzern oder wurden in Armenhäusern untergebracht.

Stefan Kuhn, Leiter Pflegedienst, Jochen Mutschler, Chefarzt Stationäre Dienste und Peter Schwegler, CEO und Vorsitzender der Geschäftsleitung (von links).
Bild: Bild: Susanne Balli (St. Urban, 22. Juni 2023)

Allmählich vollzog sich ein Wandel. In ganz Europa entstanden im 19. Jahrhundert grosse psychiatrische Kliniken, wie es in der Jubiläumsausgabe «Blickwinkel», dem Magazin der Luzerner Psychiatrie, heisst. Die erste solche Heilanstalt im Kanton Luzern wurde nach aufwendigen Umbauten im ehemaligen Zisterzienserkloster in St. Urban eröffnet und war für das Einzugsgebiet von der Zentralschweiz bis ins Mittelland zuständig.

Alkoholismus und ökonomische Sorgen

Der erste Direktor der Anstalt, Rudolf F. Fetscherin (1875-1889), zählte zu den Ursachen für psychische Erkrankungen vor allem Alkoholismus, dessen Hauptübel er im Kartoffelschnaps sah, doch auch Geschäftsschwierigkeiten, ökonomische Sorgen und Armut.

Neue Behandlungsmethoden, die damals aufkamen, gelten aus heutiger Sicht zum Teil als problematisch. So wurden von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre viele Zwangsmassnahmen getroffen. Mit dem Einzug der Psychopharmaka in den Klinikalltag änderte sich dies. Und der Ausbau der intensiven und aktiven Betreuung der Patientinnen und Patienten sowie erste Schritte zur ambulanten Psychiatrie bedeuteten auch eine Öffnung der Klinik. Im Jahr 1965 wurden in Sursee, Willisau, Schüpfheim und St. Urban ambulante Beratungsdienste für entlassene Patientinnen und Patienten eingerichtet. In den 70er-Jahren begann der Ausbau der Sozialpsychiatrie mit dem Schwerpunkt auf ambulanten und dezentralen Angeboten. Heutzutage gilt die offene Psychiatrie als Grundhaltung, «ambulant vor stationär» hat sich etabliert.

Jährlich behandelt die Lups rund 14'000 Menschen

Zurück zu den Anfängen: Bei der Gründung der ersten Luzerner «Irrenanstalt» standen 200 Betten zur Verfügung, im Eröffnungsjahr 1873 hatte es zu Beginn 97 stationäre Patientinnen und Patienten. Deren Zahl nahm innerhalb von 100 Jahren drastisch zu: Im Jahr 1900 wurden in St. Urban bereits 450 stationäre Patientinnen und Patienten versorgt, 1970 waren es sogar 600 bis 700. Heute verfügt die Klinik St. Urban noch über 232 Betten, 51 Betten befinden sich in Luzern. Insgesamt behandelt die Luzerner Psychiatrie an ihren verschiedenen Standorten jährlich rund 14'000 Menschen ambulant und stationär.

«Pionierarbeit leistete die Lups beim sogenannten Home Treatment», sagte Kerstin Gabriel Felleiter, Chefärztin Ambulante Dienste, am Donnerstag. Home Treatment bedeutet nichts anderes als Hausbesuche, also eine psychiatrische Behandlung daheim bei den Patientinnen und Patienten. Home Treatment wird im Kanton Luzern flächendeckend angeboten.

Auch auf der Seite der Mitarbeitenden bei der Lups hat sich die Zahl eindrücklich entwickelt. Bei der Gründung im Jahr 1873 waren 23 Mitarbeitende in der Anstalt St. Urban beschäftigt, heute arbeiten 754 Personen in der Klinik St. Urban. In der gesamten Luzerner Psychiatrie sind es über 1400 Mitarbeitende.

Gravierender Fachkräftemangel

Peter Schwegler, CEO und Vorsitzender der Geschäftsleitung, zeigte in seiner Rede einige Mythen und Fakten der Lups auf. So werde heute der kleinste Teil der Patientinnen und Patienten zwangseingewiesen, der grösste Teil komme freiwillig in die Behandlung. «Jede zweite Person erkrankt einmal im Leben psychisch und 50 Prozent der IV-Renten erfolgen aufgrund psychischer Erkrankungen», so Schwegler. Er erwähnte auch den gravierenden Fachkräftemangel, besonders im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Bereich, den auch die Lups spüre.

Um der steigenden Nachfrage in der Psychiatrie gerecht zu werden, wurden im letzten Jahr 15 zusätzliche Stellen zur Entlastung der Wartezeiten im ambulanten Bereich geschaffen. Weitere rund 35 zusätzliche Stellen folgen dieses Jahr. In den vergangenen Jahrzehnten wurden auch kontinuierlich in die Gebäudestrukturen investiert und Neubauten erstellt. Allein am Standort St. Urban sind es rund 100 Millionen Franken, die in die Erneuerung (Neubauten Haus C und Wohnheim Sonnegarte) sowie in die Sanierung (unter anderem Gesamtsanierung Haus B, neue Therapieräumlichkeiten) investiert wurden oder in diesem Jahr noch investiert werden.

Verwendete Quelle: Blickwinkel. Das Magazin der Luzerner Psychiatrie AG. Jubiläumsausgabe, Nr. 16, Juni 2023

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