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Nidwalden

Corina Caduff – Sterben und Tod öffentlich gestalten

Das Sterben und der Tod sind tabu – oder doch nicht? Die jüngste Kulturforschung widerlegt diese Vorstellung: Die Kulturwissenschaftlerin Corina Caduff erklärte in Stans in einem fesselnden Referat, wie das Thema Aufschwung erfuhr.
Corina Caduff bei ihrem Referat. (Bild: PD)

Sabine Graf,Intendantin lit.z

Erfahrungen mit unheilbaren Krankheiten und mit der professionellen Begleitung des Lebensendes durch Palliative Care werden zunehmend in den Medien besprochen; auch in Film, Literatur und bildender Kunst ist das Lebensende allgegenwärtig. Corina Caduff forscht im Rahmen des interdisziplinären Projekts «Sterbesettings.ch» an der Hochschule Bern. Ihr Referat setzte den Fokus auf die neue Gattung «Autobiografische Sterbeliteratur» und die Bestattungspraxis im Wandel.

Die Konjunktur der autobiografischen Darstellung im Umgang mit dem Tod ist eng mit den sozialen Medien verknüpft: Das Internet bietet einen neuen sozialen Sterberaum, in welchem sich Sterbende selbst artikulieren und darüber öffentlich sprechen können, sei es in Form von Text- oder Videoblogs, die sie in Echtzeit senden. Literarische Autorinnen und Autoren, die mit der Todesdiagnose konfrontiert sind, befassen sich in ihren letzten Büchern hingegen mit einer Rückschau auf ihr Leben, thematisieren Ängste, protokollieren und reflektieren auch die gesellschaftliche und soziale Dimension des Todes.

Traditionelle Bestattungsrituale verändern sich

Caduff stellt einen genderspezifischen Umgang mit dem sterbenskranken Körper fest: Wird dieser bei männlichen Autoren abgelehnt, von sich gewiesen oder auch sexualisiert, betten ihn weibliche Autobiografien stärker in einen «umfassenden Resonanzraum der psychischen Befindlichkeit und des sozialen Umfelds» ein. Bei allen jedoch bleibt das individuelle Sterben prekär und fragil. Mit dem schwindenden Einfluss der Kirche und dem Aufkommen der Digitalisierung verändern sich auch die traditionellen Bestattungsrituale. Unsere überindividualisierte Gesellschaft fördert und fordert neue Formen; seien es Gemeinschaftsgräber, Waldbestattungen, Friedhöfe für Fussballfans oder auch digitale Friedhöfe im Netz.

Corina Caduff gehört zu den Pionierforscherinnen der Thematik: «Wir leben in einer Zeit, die mit Sterben und Tod sehr lebendig umgeht», ihr Vortrag zeigte aber auch höchst aufschlussreich, wie dringlich es für alle von uns ist, das Sterben ins Leben zu integrieren: «Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen, mitten in uns.» (Rainer Maria Rilke, 1875–1926)

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