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Luzern

Präsidentin der Schweizer Paraplegiker-Stiftung will ambulante Angebote ausbauen

Seit 100 Tagen präsidiert Heidi Hanselmann die Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Die St. Galler Altregierungsrätin sagt, wohin sie die Gruppe mit Sitz in Nottwil und 1,8 Millionen Gönnern hinführen will.
Heidi Hanselmann, Präsidentin der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, vor dem Haupteingang des Paraplegiker-Zentrums in Nottwil. (Bild: Dominik Wunderli (Nottwil, 2. September 2020))

Alexander von Däniken

Auf Heidi Hanselmanns Schreibtisch liegt noch ein Karabinerhaken mit einem verknoteten Stück Seil. Die anderen hat die neue Präsidentin der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) den Mitarbeitern geschenkt. Die Bergsteigerin hat an ihrem Amtsantritt am 1. Juni signalisiert, dass die ganze Paraplegiker-Gruppe wie eine Seilschaft unterwegs ist: Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort die richtige Massnahme zu treffen, das ist entscheidend. Für externe Unterstützung sollen Kontakte sorgen, die Hanselmann in ihrem Handy gespeichert hat. Die 58-Jährige war für die SP 16 Jahre Regierungsrätin im Kanton St. Gallen, beendete ihre politische Karriere Ende Mai als Regierungspräsidentin und Präsidentin der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen- und direktoren.

Sie waren für das Wohlergehen von 500'000 St. Gallern verantwortlich, nun vertreten Sie die Schweizer Paraplegiker-Stiftung mit 1,8 Millionen Gönnern. Wie kam es dazu?Heidi Hanselmann: Die Institution in Nottwil war mir beruflich schon bekannt. Als klinisch tätige Logopädin habe ich die fachliche Expertise sehr geschätzt. Später haben sich weitere Berührungspunkte ergeben, als Stiftungsrätin der Rega und Gesundheitsdirektorin. Im Oktober letzten Jahres habe ich kommuniziert, dass ich nicht mehr zu den Wahlen antreten werde – und kurz darauf kam eine Anfrage der Nominationskommission der SPS, ob ich mir das Mandat vorstellen könne.Sie kamen also zuerst auf eine Bewerbungsliste?Genau, das Prozedere dauerte etwa ein halbes Jahr. Dass ich mich mit Mitbewerbern messen musste, war mir sehr sympathisch. Es zeigte mir, dass professionell evaluiert wird, wer fachlich und menschlich passt. Über die definitive Zusage habe ich mich sehr gefreut. Für mich schliesst sich aufgrund der früheren Begegnungen mit dieser tollen Institution ein Kreis.Die Stiftung ist das Dach einer Gruppe mit Tochtergesellschaften (siehe Kasten). Haben Sie bereits den Durchblick?Einen Überblick habe ich mir schon verschafft, Einblicke konnte ich auch gewinnen. Aber für den Durchblick brauche ich noch etwas Zeit. Bis Ende Jahr möchte ich jede Tochterinstitution besucht haben und mir vor Ort ein Bild machen. So erfahre ich am besten, wo der Schuh drückt.Wissen Sie bereits, wo Sie den Hebel ansetzen wollen?Da stehe ich wie gesagt erst am Anfang. Im ambulanten Bereich sehe ich aber schon viel Potenzial. Im Zentrum stehen immer die Betroffenen und die Frage, wie wir sie am besten unterstützen können. Das muss nicht immer eine Reise nach Nottwil bedeuten – zumal das gerade für Querschnittgelähmte mit viel Aufwand verbunden ist. Der stärkere Fokus auf den Wohnort der Patienten lässt sich schweizweit übertragen. So gibt es zum Beispiel die Idee, in der Ostschweiz ein Ambulatorium für Querschnittgelähmte aufzubauen. Aus Ihren Ausführungen schliesse ich ein gesundes Selbstbewusstsein für die Paraplegiker-Gruppe.Das ist so. Es gibt aber auch noch drei weitere auf Querschnittlähmung spezialisierte Kliniken in der Schweiz: in Basel, Sion und Zürich. Zwei Drittel der stationären Behandlungen im direkten Zusammenhang mit einer Querschnittlähmung werden in Nottwil durchgeführt. Das SPZ Nottwil hat zu Recht einen hervorragenden Ruf. Das hat mir kürzlich auch wieder ein Patient bestätigt. Er sagte mir, hier leiste man den Extra-Kilometer, er erhalte genügend Zeit und eine umfassende Betreuung – von der Erstbehandlung zur Integration in ein neues Leben – lebenslang.Gerade bei einem späteren Teil, namentlich bei der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV), gab es viel Unruhe.Ich bin ich zuversichtlich, dass sich die Situation beruhigt. Die SPV hat mit Olga Manfredi eine neue Präsidentin und mit Laurent Prince einen neuen Direktor. Ich habe mich mit beiden getroffen und feststellen dürfen, dass wir dasselbe wollen: Die Bedürfnisse der Querschnittgelähmten müssen im Zentrum unseres Handelns stehen.Ihr Vorgänger Daniel Joggi hat den Teilorganisationen der Gruppe wie der SPV viel Freiraum gegeben. Setzen Sie jetzt auf Zentralismus?Die dezentrale Organisation ist richtig. Nun gilt es, die Abstimmung untereinander zu vereinfachen und die Kommunikation zu beschleunigen.

«Generell gibt es noch Schnittstellen, die ich in Nahtstellen umwandeln möchte.»

Aber immer unter der Prämisse, dass es für die Betroffenen und die Mitarbeitenden stimmt.Nahtlos war auch Ihr Stellenwechsel mitten in der Coronazeit.Schon von St. Gallen aus habe ich mitverfolgt, wie schnell und gut in Nottwil ein Coronanotspital entstanden ist. Da möchte ich allen Mitarbeitenden ein Kränzchen winden. Meinerseits konnte ich mich nach Beendigung meiner Zeit als Regierungsrätin kurz aber gut erholen. Ich habe im Juni auch das Mandat als Präsidentin der Eidgenössischen Nationalparkkommission übernommen. Dabei habe ich die Gelegenheit genutzt, in der Natur abzuschalten und mich in das neue Amt «einzuwandern». Während gut zwei Wochen habe ich sämtliche Wanderrouten im Nationalpark unter die Füsse genommen. Dass es auch in Nottwil zuweilen hart werden kann, bin ich mir bewusst. Ich bin es mir als Höhen-Bergsteigerin gewohnt, auch mal mit dünner Luft auszukommen.Apropos Berge: Hier in der Zentralschweiz gibt es viele davon. Hegen Sie bereits Umzugspläne?

Tatsächlich wäre die Region für Bergtouren prädestiniert. Aber ich fühle mich in der Ostschweiz sehr wohl und kann im Zug gut arbeiten. Die Lust am Unterwegssein wurde mir wohl in meiner Kindheit mitgegeben: Mein Vater war Polizist und hat alle fünf Jahre an einem anderen Ort gearbeitet, was früher üblich war. (lacht)

Wo sehen Sie die Stiftung und die Gruppe in zehn Jahren?Da ist wie erwähnt die Realisierung des wohnortnahen ambulanten Angebots. Dann ist es mein Ziel, die Gruppe zur ersten Anlaufstelle der Schweiz im Zusammenhang mit Fragen und Behandlungen in Bezug auf Querschnittlähmung zu entwickeln. Also auch bei Akutbehandlungen für Querschnittgelähmte, die heute oft in Spitälern ohne Infrastruktur für Querschnittgelähmte durchgeführt werden. Dazu wird auch eine intensivere Forschung mit Partnern bei der Robotik und Digitalisierung an Bedeutung gewinnen. Zudem ist mir wichtig, dass wir eine attraktive Arbeitgeberin sind und bleiben. Der Fachkräftemangel betrifft auch uns – die Gruppe soll deshalb auch für künftige Mitarbeitende bei der Stellensuche die Nummer eins sein.
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