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MUSIKER: Reto Burrell: «Ich habe erfolgreich meinen inneren Keller aufgeräumt»

Der Nidwaldner Reto Burrell ist seit 20 Jahren auf der Solo-Piste. Der Rock ’n’ Roller und Singer-Songwriter erzählt über seine Freuden und Krisen, das Glück und die Musik.
«Ich werde nie ein König sein, immer ein Ritter»: Rock ’n’ Roller Reto Burrell vor seinem Proberaum in Wolfenschiessen (Bild: Boris Bürgisser (8. Februar 2017).)

Reto Burrell, «Side A & B» heisst der Titel ihres soeben erschienenen Albums: Was sind das für zwei Seiten? Die helle und die dunkle? Die mainstreamige und die alternative?

Es sind zum einen die zwei Seiten einer Schallplatte, da mein neues Album auch auf Vinyl herauskommt. Aber es ist auch eine musikalische Unterscheidung: Auf Side A spiele ich mit einer Band, auf Side B mit der akustischen Gitarre oder in Kleinstformation. Ich bin ja seit Jahren in beiden Formaten unterwegs.

Sie blicken mit dem neuen Album auf Ihre 20-jährige Solokarriere zurück: Haben sich die Träume, die Sie vor 20 Jahren hatten, erfüllt?

Ich habe mir nie gross Träume ausgemalt über Karriere und Erfolg. Das grösste Ziel war immer, dass ich von der Musik leben kann. Ich habe mit 12 Jahren meinen ersten Song geschrieben, mit 20 begann ich selber zu singen, vor 20 Jahren habe ich meine erste Soloplatte veröffentlicht und bald darauf meinen Job im Laser-CD-Shop Luzern aufgegeben. Seitdem habe ich nur noch Musik gemacht, für andere Musik geschrieben oder Songs und Alben produziert. Mein Drang war immer, Musik zu schreiben und zu spielen.

Und das hat funktioniert?

Ja, auch wenn ich nun seit drei Monaten erstmals wieder einen fixen Job habe, der nichts mit Musik zu tun hat. Das Musikbusiness ist härter geworden, ich muss meine Familie unterhalten. Deswegen arbeite ich nun 30 Prozent auf der Notschlafstelle in Luzern. Der Job gefällt mir. Er bringt mich aus der Komfortzone heraus, ich sehe tiefer in das wirkliche Leben hinein.

Was zählen Sie persönlich zu Ihren Erfolgen, woran missen Sie diese?

Es gibt verschiedene Arten von Erfolg. Einen grossen kommerziellen Erfolg hatte ich nicht. Ich konnte leben von meinen musikalischen Aktivitäten, das ist auch ein Erfolg. Ein Erfolg ist, dass die Leute, die mich kennen, wissen, das ist echt, das ist der Reto. Ich habe erfolgreich meinen inneren Keller aufgeräumt mit ehrlichen Songs, in denen ich ausdrücke, was ich fühle, was mich beschäftigt. Ich kann meine Freuden und meinen Frust aufs Papier bringen. Ich bin ein guter Singer-Songwriter und bin stolz auf die Songs, die ich schreibe. Ob sie allen gefallen, ist Geschmackssache.

Was hat Ihnen in den letzten 20 Jahren als Musiker am meisten zu schaffen gemacht?

Dass ich immer extrem gut schreiben konnte, wenn es mir beschissen ging. Das war ein Muster, dem ich verfallen war. Bis vor einigen Jahren habe ich meine Songs sehr unbewusst geschrieben. Oft habe ich darin Sachen vorweggenommen, die sich erst später zeigten. Schwierig war auch, dass ich mit einer Familie eine neue Verantwortung hatte, also vermehrt auch schreiben musste und mir keine Pause leisten konnte. Gleichzeitig wollte ich meiner Musik nicht untreu sein und meinen Qualitäten gerecht werden.

Haben Sie dieses Muster durchbrechen können, nur Musik schreiben zu können, wenn es nicht rundlief?

Ja. Seit meiner «Go»-Platte 2011 schreibe ich bewusster. Ich betrachte ein Thema von verschiedenen Perspektiven her und feile daran, mit einem starken Bewusstsein, worum es geht.

Sie verstehen Ihr musikalisches Handwerk, haben eine gute Stimme und schreiben tolle Songs: Reicht das, um glücklich zu sein?

Ha, die Jagd nach dem Glück! Ich habe sehr viele glückliche Momente, vor allem familiär. Ich fühle mich von einer starken Familie und Verwandtschaft getragen. Ich habe einen super Sohn, Ryan ist neun. Mit ihm darf ich den Alltag wieder aus Kinderaugen sehen, das ist ein Glück. Ein Glück ist auch, dass ich seit über zwei Jahren wieder neu verliebt bin.

Sie leben getrennt von Ihrer Frau?

Wir sind getrennt, aber verstehen uns gut. Wir können einander in die Augen sehen, es gibt keinen Rosenkrieg. Es ist ein grosser Vorteil, dass wir in der gleichen Gemeinde wohnen, nur ein paar hundert Meter auseinander. Ryan ist deshalb auch oft bei mir, wir sehen uns mehrmals wöchentlich. Das ist auch der Grund, warum ich noch hier bin.

Wohin zöge es sie sonst?

Nach Kalifornien. Ich bin im Herzen ein California Kid. 2008 lebten wir in Los Angeles. Ryan war anderthalb Jahre alt. Mir gefallen das Klima, die Leute, die Stimmung dort. Ich denke schon, dass ich in Kalifornien leben könnte.

Sie sympathisieren mit Kalifornien. Ihre Musik lässt die landschaftlichen Weiten der USA assoziieren. Wie aber halten Sie es mit Amerika und seiner Trump-Zukunft?

Die Wahl war eine riesige Enttäuschung für mich. Spannend wäre Bernie Sanders gewesen. Wenn ich in den USA bin, habe ich immer eher offen und links denkende Menschen getroffen. Die alternative Szene ist dort riesig gross, vor allem in der Unterhaltungsbranche. Vielleicht ist die Wahl von Trump ein Schritt zurück, um zwei Schritte vorwärtszukommen.

Was fasziniert Sie, abgesehen vom kalifornischen Klima, an den USA?

Mir gefällt die «Stand up»-Mentalität. Los, weiter gehts! Von diesem Denken könnte sich die Schweiz ruhig etwas abschneiden. Wir sind ein feines Land, aber dieses Go-Feeling haben wir einfach nicht so drauf. Eventuell geht es uns zu gut und sind wir zu bequem. Dieses Immer-weiter-Gehen ist amerikanisch, das prägt auch die Musik. Der Rock ’n’ Roll ist nicht umsonst in den USA entstanden. In unserer Kultur kannte man die gelegentliche «Stubete», aber man hat hier nie professionell Musik gemacht.

Ist es in der Schweiz überhaupt möglich, in Ihrem Stilbereich zu punkten und Tausende zu begeistern?

Ich glaube, dass alles möglich ist, nur habe ich keine Ahnung, wie. Ich bin ja kein schlechter Americana-Act, mit starken Classic- Rock- oder Westcoast-Einflüssen. Das ist vergleichsweise ein Nischen-Stil, auch wenn ich in Deutschland oder in den Beneluxstaaten oft mit Bruce Springsteen, Ryan Adams oder Tom Petty verglichen werde. Einmal kündigte mich ein Konzertveranstalter an mit: «Du bist der Neil Young, den man sich leisten kann.» Ich meine nicht, dass meine Musik gleich klingt wie bei diesen Künstlern. Aber wir sind trotzdem im gleichen Boot: Wir spielen Gitarre, schreiben Songs und drücken aus, was uns beschäftigt.

Sie können als Musiker von der Musik einigermassen gut leben. Reicht Ihnen das?

Ich habe nie Wert auf möglichst viel Geld gelegt und mich auch nie gross darum gekümmert. Ich staune manchmal, wie wenige Bands es wagen, voll auf die Musik zu setzen und ihr Ding auszuleben. Ich denke, dass viele junge Musiker das gar nicht mehr wollen und von vorneherein lieber auf einen Job setzen, um nebenher Musik machen zu können. Ich habe damals meinen Job geschmissen. Ich wollte mit beiden Beinen auf der Bühne stehen.

Es werden immer weniger CDs gekauft, die jungen Leute hören oft nur noch einzelne Tracks oder streamen sich durch die neusten Angebote: Wie betrifft Sie das?

Auf der Einnahmenseite merke ich es schon, nicht nur beim Tonträgerverkauf. Die Ticketpreise sind mittlerweile so hoch, dass die Leute ihr Geld eher für ein paar grosse Acts ausgeben und dafür auf kleine und mittlere verzichten. Trotzdem betrifft es mich weniger als die meisten Pop Acts. Ich spreche ein Publikum an, das noch mit CD oder Vinyl aufgewachsen ist.

Sie klingen hoffnungsvoll.

Es bringt nichts zu klönen. Wenn der Musikmarkt kaputt ist, heisst das nicht, dass auch die Musik kaputt ist. Die Kreativität in den Musikszenen ist immer noch sehr hoch. Ich denke, es wird wieder eine Musikrevolution kommen. Es kann nicht sein, dass die Musiker wie die Bauern nur mit Subventionen überleben. Als Starthilfe ist das gut und wichtig, aber als Musiker möchte ich mein Geld selber verdienen.

Haben Sie sich angesichts der schwierigen Marktbedingungen auch schon überlegt, die Gewichte des Brotverdienens etwas zu verschieben?

Mit 40 Jahren habe ich mich in dieser Sache erstmals hinterfragt. Ich musste mir sagen: Ich schreibe uneingeschränkt gerne Musik, ich produziere gerne, ich arbeite oft mit jungen Leuten. Aber ich bin nicht der totale Musikfan, der Platten sammelt und bei dem sich alles im Leben um Musik dreht. Ich denke schon, dass ich etwas anderes machen könnte. Doch wenn es um mein Können geht, bin ich halt doch der Rock ’n’ Roller. Das strahlt für mich einfach eine Intensität aus.

Kann man ein Leben lang ein Rock ’n’ Roller sein?

Es ist ein Lifestyle, den man lebt oder nicht lebt. Und das hat nichts mit Absturz oder Drogen zu tun, man kann auch anders Grenzen erfahren. Ich überlasse es Chris von Rohr, ein Buch darüber zu schreiben. Wenn ich eines schreiben würde, wären die Seiten leer. Was will ich predigen, das muss jeder Leser und jede Leserin selber erfahren. Metallica sind ein Paradebeispiel, diesen Lifestyle zu leben, ohne Abstürze haben zu müssen. Sehr viele alte Bands sind seriös. Sonst könnten sie das Ganze gar nicht so durchziehen.

Träumen Sie davon, einmal den Song zu schreiben?

Ich habe schon unzählige solcher Songs geschrieben! Was daraus wird, lässt sich nicht beeinflussen. Springsteen hat «Born in the USA» auch nicht mit der Absicht geschrieben, dass daraus ein Hit wird. Handkehrum kenne ich viele Künstler, die hervorragende Songs geschrieben haben, die niemand kennt. Oft ist es auch die Situation, die einen Song zum Evergreen macht, etwa, wenn er im Kontext mit einem grossen Sport-Event oder einer Werbung ins Ohr flutscht. Deswegen gibt es ja auch so viel bekannte Songs, die furchtbar schlecht sind.

Haben sich Ihre musikalischen Interessen nie verschoben? Oder haben Sie auch Neues entdeckt, das Sie begeistert?

Meine Vorlieben sind immer noch der harte Rock und Metal und nicht das, was ich selber spiele. Hardcore Punk und Metal haben mir immer gefallen. Mit 12 Jahren wollte ich ein Heavy-Metal-Gitarrist sein. Aber ich bin kein Flitzefinger und kein Sänger mit einer Schreistimme. Über Hardcore-Punk, Grunge und Indie-Rock bin ich zu Americana gekommen. Ich mag Americana, obwohl ich es selber gar nicht so häufig höre.

Was sagen Ihnen elektronische Musik und Hip-Hop?

Ich höre kaum Rap und Hip-Hop, ich finde das oft langweilig. Elektronische Musik ist gut, aber es darf nicht dazu gesungen werden. Guten Elektro finde ich schon noch geil. Ich würde gerne einmal am «Burning Man»-Festival teilnehmen.

Wie eng arbeiten Sie mit Ihren ebenfalls musikalischen Brüdern zusammen?

Gar nicht. Mit Rene alias Coal habe ich bei seinen ersten Platten mitgemacht. Mit Philipps neuer Band teilte ich kürzlich die Bühne, das hat sehr Spass gemacht. Wir respektieren uns alle, wir sind wirkliche Brüder. Im März werde ich zusammen mit Famous October, dem Duo von Rene und seiner Frau, im Bogen F in Zürich auftreten, darauf freue ich mich extrem.

Sie arbeiten im eigenen Studio Echopark. Wie muss man sich das vorstellen?

Das Studio ist meine Werkstatt. Es liegt im zweiten Stock eines ehemaligen Schulhauses in Wolfenschiessen. Dort nehme ich auf, produziere meine Sachen und auch die Musik anderer Künstler.

Sie legen den Schwerpunkt auf «handgemachte Musik», wie Sie sagen. Was heisst das?

Ich muss den Menschen spüren. Heute wird Musik zum Teil eher designt als komponiert. Ich habe gerne, was ein Musiker herausholt, was er erzählt, was von ihm selber kommt. Für mich ist jedes Wort in einem Text wichtig. Es muss Tiefe haben.

Müsste man angesichts der Zustände in der Welt nicht eine viel heftigere und verzweifeltere oder auch bösere Musik machen?

Musikalisch nicht unbedingt, aber textlich ja. Das Politische in der Musik ist ein wenig verloren gegangen. Aber als Schweizer kann ich nicht Amerika anpissen, das fände ich falsch. Wenn schon, müssten wir uns mit dem System hier kritischer auseinandersetzen. Es gäbe schon Themen.

Was machen Sie sonst gerne im Leben ausser Songs schreiben und Musik spielen?

Ich verbringe meine Zeit gerne mit der Familie, vor allem mit dem Sohn und meiner Freundin. Ich wandere gerne und lese mal ein Buch. Ich liebe Endzeit-Geschichten, auch im Film. Den Kampf ums Überleben, das begeistert mich. Ich werde nie ein König sein, immer ein Ritter.

Wo gehen Sie in Luzern gerne in den Ausgang?

Ich gehe immer noch gerne in die Schüür, auch wenn ich dort oft der Älteste bin. Auch das Treibhaus finde ich eine schöne Location. Sehr gerne bin ich in der Bar 58, obwohl ich Nichtraucher bin. Vielleicht spielt da auch ein wenig Nostalgie mit. Das Vorgängerlokal, die Bar 57, war für mich das geilste Lokal, das es in Luzern gegeben hat.

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