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Luzern

«Man kann mit psychischer Beeinträchtigung ein gutes Leben leben»

Lukas Huppenbauer hat eine Drogensucht und einen Klinikaufenthalt hinter sich. Heute berät er in Luzern Leute, denen es ähnlich geht.
Mit seiner Erfahrung will er anderen helfen: Lukas Huppenbauer. (Bild: Alex Spichale (Brugg, 21. Januar 2021))

Maja Reznicek

Wann er sich dafür zu interessieren begann, weiss Lukas Huppenbauer nicht mehr. «2017 war ich das letzte Mal in der Klinik. Da habe ich wohl von der Weiterbildung gehört», sagt der 57-Jährige und zieht an seiner Zigarette. «Damals wurde mir klar, dass meine grösste Kompetenz die Krisenbewältigung ist.»

Heute ist Huppenbauer ein sogenannter Peer beim Luzerner Netzwerk Traversa für Menschen mit psychischer Erkrankung. Er, der Krankheit und Genesung selber erlebt hat, berät nun Betroffene, Angehörige und Fachpersonen. Er fügt mit einem Lachen an: «Dafür bringe ich über 40 Jahre Erfahrung mit.» Denn schon früh im Leben kämpfte Lukas Huppenbauer mit psychischen Problemen. Mit 14 Jahren entwickelte er eine Drogensucht, wurde später zusätzlich Alkoholiker. Er ging trotz Depressionen, Sucht und andauernder Schmerzen unterschiedlichsten Tätigkeiten nach, war unter anderem Buchhändler, Hauswart sowie Yoga-Lehrer.

«Man kann mit psychischer Beeinträchtigung ein gutes Leben leben.»

Was heisst schon «psychisch gesund»?

Zu den Voraussetzungen für die Peer-Ausbildung sagt Huppenbauer: «Man braucht Kraft und die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren.» Auch sind Gesprächs- und Beratungskompetenzen gefragt und keine Scheu vor Öffentlichkeitsarbeit. Auch zu seiner eigenen Geschichte und der des Betroffenen Distanz zu gewinnen, sei wie in jedem Gesundheitsberuf wichtig.

Was man als Peer aber nicht sein müsse: «psychisch gesund im klassischen Sinne». Gesundheit sei nämlich nach der gesellschaftlich herkömmlichen Definition für manche gar nicht möglich: «Es gibt – vereinfacht gesagt – zwei Gruppen von Menschen mit psychischen Krankheiten: Die, die in der normalen Gesellschaft leben, eine Krise haben, geheilt werden und wieder zur Normalität zurückkehren. Und dann die Gruppe, die die gesellschaftliche Normalität so gar nicht kennt. Sie lebt quasi immer oder immer wieder in der Krise. Dazu gehöre ich.»

Es geht nicht um Heilung

Seit letztem Jahr arbeitet Lukas Huppenbauer bis zu 60 Prozent als Peer-Berater. Neben Organisationen wie der IG Arbeit Luzern ist er hauptsächlich bei Traversa tätig. Für den Luzerner Verein gibt er Vorträge, betreut Workshops, nimmt an Fallbesprechungen von Fachpersonen teil. Einzelberatungen seien nur ein Teil der Aufgabe, sagt Huppenbauer. Dann stehe aber klar im Vordergrund, dass der Betroffene lerne, eigenverantwortlich sein Leben zu führen. Der Peer sagt: «Die Person muss nicht darauf warten, dass sie wieder wie alle anderen wird.» In der traditionellen Psychiatrie fokussiert man gemäss Huppenbauer häufig auf Defizite und das Ausmerzen des «Krankhaften». Die Peer-Begleitung setze jedoch auf den Recovery-Ansatz: dass Gesundheit auch bei schweren psychischen Erschütterungen möglich sei und die vorhandenen Ressourcen gefördert werden müssten.

Sein Wissen finde guten Anklang, denn: «Wir Peers sitzen im gleichen Boot wie die Betroffenen und leben die Fähigkeit vor, mit den Belastungen umgehen zu können.» Seine Erfahrungen will der Peer auch bei der Beratung von Fachpersonen wie Ärzten einbringen. «Die Diagnose ist bei den Betroffenen der gemeinsame Nenner. Jedoch ist die Erfahrung der Diagnose sehr unterschiedlich», sagt er.

Im Rahmen seiner Peer-Arbeit gibt der 57-Jährige viel preis. Gleichzeitig komme man anderen sehr nahe, gerade beim Thema Suizid: «Es ist wichtig, die Distanz zu halten und nur Erfahrungen zu teilen, über die ich mir selbst im Klaren bin.»

Keine Lebensversicherung nach Suizidversuch

Dabei mache er auch auf die Stigmatisierungen rund um psychische Krankheiten aufmerksam. «Früher als Jugendlicher galt ich bei den Eltern meiner Freunde als schlechter Umgang, weil ich mit Drogen und Psychi­atrie in Berührung kam. Bis heute werden Süchtige in unserer Gesellschaft schlecht dargestellt.» Häufig werde Sucht nicht ernst genommen.

«Mit etwas Willen würde man es doch schon schaffen, denken viele.»

Zudem käme es bei psychisch Kranken oft zu Diskriminierung. Lukas Huppenbauer sagt: «Mein letzter Suizidversuch ist 35 Jahre her. Trotzdem kann ich bis heute keine Lebensversicherung abschliessen.» Weiter gebe es beim Reisen Länder, bei denen die Angabe von psychiatrischen Diagnosen im Visa-Antrag zwingend sei. Trotz Pandemie konnte Huppenbauer seiner Arbeit nachgehen. Für ihn selbst sei die «Krise sowieso ein gewohnter Zustand». Krisenerfahrung sei in diesen Zeiten ein Vorteil und eine Kompetenz.

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