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Luzerner Maturitätsarbeit

«Das erste Ziel muss es sein, Morde an Frauen zu verhindern»

«Fokus Maturaarbeit» zeichnet jährlich die fünf besten Maturaarbeiten aus der Zentralschweiz aus. Eine davon befasst sich mit der Bestrafung tödlicher Gewalt gegen Frauen durch ihren Partner.

«Intime Femizide sind keine Einzelfälle, sondern gründen in struktureller Gewalt, deren Ausgangspunkt patriarchalische Machtverhältnisse sind», schreibt Jaëlle Ineichen in ihrer Maturitätsarbeit. Diese wurde vergangenen Dienstag vom Projekt «Fokus Maturaarbeit» in der Kategorie Sozialwissenschaften ausgezeichnet. Alljährlich werden 40 ausgewählte Maturaarbeiten im Foyer des Uni/PH-Gebäudes in Luzern ausgestellt. Organisiert wird dies von Zentralschweizer Gymnasien in Zusammenarbeit mit der Universität Luzern und Schweizer Jugend forscht. Die fünf besten Arbeiten, darunter jene von Ineichen, werden dann von einer Jury ausgewählt und ausgezeichnet.

Titelbild der Maturitätsarbeit: Bestrafung von intimen Femiziden von Jaëlle Ineichen.
Bild: Bild: zvg

«Braucht es in der Schweiz einen eigenen Straftatbestand für intime Femizide?» So lautet die Fragestellung in Ineichens Maturaarbeit. «Für mich war schon von Beginn an klar, eine juristische Arbeit zu schreiben», sagt die 18-jährige Rothenburgerin von der Kantonsschule Musegg. «Ich interessiere mich sehr für das Strafrecht und beginne im kommenden Herbst das Jurastudium an der Universität Luzern. Aus jetziger Sicht würde ich gerne mal in diesem Bereich tätig sein.»

Intimer Femizid und rechtliche Grundlage

Gemäss der Stiftung Terre des Femmes handelt es sich bei einem intimen Femizid um die Tötung einer Frau durch den aktuellen oder ehemaligen Intimpartner wie den Ehemann, Ex-Mann oder Lebensgefährten. Im schweizerischen Strafrecht gibt es keinen eigenen Straftatbestand, der den intimen Femizid unter Strafe stellt. Tötungen an Frauen innerhalb einer bestehenden oder ehemaligen Partnerschaft werden unter den Tatbeständen vorsätzliche Tötung, Mord oder Totschlag subsumiert.
Es gibt in der Schweiz keine offizielle Kriminalstatistik, welche Femizide oder intime Femizide systematisch erfasst. Seit Beginn dieses Jahres zählt das Rechercheprojekt «Stop Femizid» 5 Femizide in der Schweiz. Es ist dabei anzunehmen, dass die Dunkelziffer hoch ausfällt.

Ausgezeichnet wurde die Arbeit unter anderem wegen ihrer Aktualität und weil die Auseinandersetzung mit dieser Thematik einen Mehrwert für die Gesellschaft leiste, wurde Ineichen an der Preisverleihung mitgeteilt. «Ich habe gemischte Gefühle. Einerseits freue ich mich natürlich darüber, andererseits ist es ein Armutszeugnis, eine Maturaarbeit überhaupt einem so traurigen Thema widmen zu müssen», so Ineichen.

Oft hört man die Frage, wieso sich die Frau nicht einfach getrennt hat

«Intimer Femizid ist für viele Personen ein unbekannter Begriff», verdeutlicht Ineichen. Denn tödliche Gewalt an Frauen durch ihren Intimpartner werde von Polizei, Regierung und Medien oft als Beziehungsdelikt oder Trennungstragödie bezeichnet. Das eigentliche Verbrechen werde so in die Privatsphäre verschoben und verharmlost, zitiert Ineichen in ihrer Arbeit. «Auch suggeriert es eine gewisse Mitschuld des Opfers. Nicht selten hört man die Frage, wieso sich die Frau nicht einfach getrennt hat.» Dieses zugrunde liegende falsche strukturelle Denken sei schlussendlich ein Mitauslöser für intime Femizide.

Jaëlle Ineichen, 18, Maturandin an der Kantonsschule Musegg.
Bild: Bild: zvg

Die Schülerin las sich durch Bücher und Artikel, studierte Statistiken von Tötungsdelikten und Bundesgerichtsentscheiden und führte Interviews mit einem Richter und einer ehemaligen Richterin. Nach vertiefter Auseinandersetzung mit der Thematik schlussfolgert sie: Sie befürworte die Schaffung eines Strafschärfungsgrundes im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches. Was es aber vor allem brauche, sei Prävention.

«Das erste Ziel muss es sein, Morde an Frauen zu verhindern und nicht die Diskussion darüber, wie Tötungsdelikte an Frauen angemessen bestraft werden», schreibt Ineichen im Fazit der Arbeit. «Es braucht mehr gesellschaftspolitische Aufklärung und Sensibilisierung, und dies in allen Kreisen der Gesellschaft», betont die Schülerin.

Denn juristisch sei nicht das Fehlen eines Straftatbestands das Problem, sondern die Rechtsanwendung. Es hapere beispielsweise in der Schweiz immer noch mit der Umsetzung der Istanbuler Konventionen, betont Ineichen. Ganz pragmatisch: «Es braucht beispielsweise auch einfach mehr freie Plätze in Frauenhäusern.»

Die 40 ausgewählten Maturaarbeiten sind noch bis am 28. März im Foyer des Uni/PH-Gebäudes in Luzern ausgestellt und für die Öffentlichkeit zugänglich.

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