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Luzern

Professorin: «Der Lehrerberuf hat kein schlechtes Image»

Viele Junglehrer würden wenige Jahre nach dem Berufseinstieg das Schulzimmer wieder verlassen. Ein etwas differenzierter Blick zeigt jedoch, dass diese Annahme, beruhend auf nationalen Statistiken, nicht stimmt. Manuela Keller-Schneider, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Zürich, sagt, warum sich das Klischee des Aussteigerjobs in unserer Gesellschaft dennoch hartnäckig hält.
Manuela Keller-Schneider

Yasmin Kunz

Es gibt Annahmen, die falsch sind und sich dennoch hartnäckig halten. So etwa jene, dass rund jede fünfte Lehrperson ein Jahr nach dem Berufseinstieg den Job an den Nagel hängt. Nach fünf Jahren sollen gar fast 50 Prozent der neuen Lehrkräfte die Schule wieder verlassen haben. Diese Zahlen wurden vor wenigen Jahren vom Bundesamt für Statistik publiziert. Seither geistern sie in den Köpfen rum. Doch handelt es sich bei der Statistik des Bundesamts um Kündigungen und nicht um Berufsaustritte. «Das Problem ist nicht die Statistik, sondern die Interpretation davon», sagt Manuela Keller-Schneider, Professorin an der Pädagogischen Hochschule in Zürich.

Sie hat sich unter anderem intensiv mit dem Berufseinstieg auseinandergesetzt und vor wenigen Jahren auch untersucht, mit welchen Gründen und Zielen Lehrpersonen kündigen. Sie kommt aufgrund ihrer Daten zum Schluss, dass nur etwa sieben Prozent aller Kündigungen auf einen Berufswechsel zurückzuführen sind. Also deutlich weniger als allgemein angenommen.

Manuela Keller-Schneider, warum wird ständig fälschlicherweise von Aussteigerquote gesprochen, wenn die Lehrpersonen eigentlich nur die Arbeitsstelle wechseln?Mir scheint, dass dies in der Presse und in der Politik immer wieder undifferenziert kommuniziert wird. Eine Kündigung kann man nicht mit einem Berufswechsel gleichsetzen.Seit Jahren heisst es, Lehrpersonen – vor allem Berufseinsteiger – würden ihren Job wegen der zu hohen Belastung bald nach Beginn an den Nagel hängen. Stimmt das?Die Lehrpersonen sind während des gesamten Studiums immer wieder im Schuleinsatz und haben mit dem Abschluss der Ausbildung also praktische Erfahrung. Der Berufseinstieg stellt neue Anforderungen, weil die Aufgabe insgesamt und in voller Verantwortung übernommen werden muss. Dass viele von ihnen den Beruf kurz nach dem ersten Stellenantritt an den Nagel hängen, ist ein Klischee und aufgrund meiner Daten und Erfahrung falsch. Es ist ja auch irrational zu denken, dass man nach einem drei- oder fünfjährigen Studium einfach so den Beruf aufgibt.Also ist die Annahme falsch, dass junge Lehrerinnen und Lehrer der Belastung nicht standhalten ?Ja. Der Befund aus meiner Studie zeigt, dass sich berufseinsteigende Lehrpersonen in der wahrgenommenen Belastung nicht von erfahrenen unterscheiden. Was die Gründe betrifft, so kündigt rund ein Drittel systembedingt. Und etwa ein Drittel kündigt aufgrund der Situation an der Schule oder in der Klasse. Weitere ungefähr 30 Prozent lösen das Arbeitsverhältnis aus berufsbiografischen Gründen wie zum Beispiel einem Wohnortswechsel auf.

Es ist irrational zu denken, dass man nach einem drei- oder fünfjährigen Studium so einfach den Beruf aufgibt.

Manuela Keller-Schneider, Professorin PH Zürich

Belastung ist also kein Thema?Doch. Aber nicht nur bei Berufseinsteigern, sondern bei allen Lehrerinnen und Lehrern. Viele Befragte in der Studie legen dar, dass sie sich schlecht abgrenzen können und Probleme mit nach Hause nehmen. Das spricht grundsätzlich für eine ausgeprägte Empathie der Lehrpersonen. Eine Eigenschaft, welche diese Berufsgruppe sicher mitbringen muss, aber die auch zur Belastung werden kann. Der Lehrerberuf ist einer der Berufe, in welchem viele mit Erschöpfung kämpfen; die Burnout-Rate ist daher eher hoch. Ältere, erfahrene Berufsleute empfinden den Reformdruck als belastend, was jüngere weniger beschäftigt, weil sie es nicht anders kennen.Dennoch: Auch im Bericht zu Ihrer Studie wird erwähnt, dass «der Anteil kündigender Lehrpersonen mit weniger als drei Dienstjahren in vielen Kantonen anteilsmässig höher ist als jener der Lehrer mit mehr Dienstjahren». Warum?Der Prozentsatz ist wahrscheinlich grösser bei dieser Gruppe, ja. Aber nicht weil sie den Schuldienst quittieren. Viele jüngere Lehrpersonen gehen nach einem ersten Klassenzug auf Reisen und kommen nachher zurück. Einige wechseln den Schulort oder sie reduzieren das Pensum. Erfahrene Lehrpersonen machen eher eine Weiterbildung, etwa zum Schulleiter. In anderen Berufen ist es gang und gäbe, dass man die Arbeitsstelle und damit das Aufgabenfeld mal wechselt. Warum soll es bei den Lehrern anders sein?
Können Sie sich erklären, warum sich Klischees wie jenes des Aussteigerberufs in unserer Gesellschaft hartnäckig halten?Darauf habe ich keine wirklich schlaue Antwort. Wenn die Medien immer wieder über die vermeintliche Aussteigerquote berichten, dann wird das Klischee gestützt. Hinzu kommt, dass alle beim Thema Schule mitreden wollen. So prallen viele unterschiedliche Vorstellungen aufeinander und politische Spannungsverhältnisse werden auf dem Rücken der Schule ausgetragen.Der Lehrerberuf ist also besser als sein Image.Der Lehrerberuf hat kein schlechtes Image. Die Zahl der Studierenden, die sich an Pädagogischen Hochschulen in der Schweiz einschreiben, nimmt jedes Jahr zu. Es ist ein angesehener Beruf, das belegen meines Erachtens auch die vielen Quereinsteiger, die vorher einen anderen Beruf ausgeübt haben und vieles aufgeben und auf sich nehmen, um die Lehrerausbildung zu absolvieren und in diesen Beruf einzusteigen.

Man sollte sich bewusst vor Augen führen, dass Bildung der wichtigste «Rohstoff »ist, den wir in der Schweiz haben.

Manuela Keller-Schneider, Professorin PH Zürich

Das erstaunt, zumal die Lehrer immer irgendetwas zu nörgeln haben.Von «nörgeln» zu sprechen, finde ich falsch. Die Lehrerverbände bemühen sich um die Arbeitsbedingungen, mit welchen die hohen und komplexen Anforderungen bewältigt werden können. Zudem gibt es kein Kollektiv, man kann nicht alle in den gleichen Topf werfen. Sicher gibt es Einzelne, die unter der vom Spardruck geprägten Arbeitssituation leiden. Es gibt auch viele sehr engagierte Lehrer, deren Stimmen in den teilweise polemisch geführten Diskussionen untergehen.Was muss sich künftig ändern, um die Klischees zu brechen?Unsere Schulen und unsere Lehrerinnen und Lehrer wertschätzten. Man sollte sich auch bewusst vor Augen führen, dass Bildung der wichtigste «Rohstoff» ist, den wir in der Schweiz haben.

Zur Person: Manuela Keller-Schneider (58) ist seit 2008 Professorin an der Pädagogischen Hochschule Zürich in der Aus- und Weiterbildung sowie in der Beratung und Forschung tätig. Sie ist zudem Autorin mehrerer Dutzend Publikationen im Bildungsbereich.

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