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Luzern

Luzerner Regierungspräsident Reto Wyss: «Möglich, dass wir noch mehr Geld brauchen»

Finanzdirektor und Regierungspräsident Reto Wyss spricht nach einem Jahr Corona über die Lehren aus der Pandemie, Drohungen gegenüber seinem Ratskollegen und Wünsche an die Wirtschaft.
Regierungspräsident und Finanzdirektor Reto Wyss. (Bild: Philipp Schmidli (Luzern, 8. Januar 2021))

Alexander von Däniken

Es hat vermeintlich harmlos begonnen: Am 5. März 2020 informierte der Luzerner Gesundheits- und Sozialdirektor Guido Graf über die ersten zwei Corona-Infektionen im Kanton. In den folgenden 365 Tagen werden über 21'000 Luzernerinnen und Luzerner positiv getestet und rund 300 Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 sterben. Bund und Kanton werden die Luzerner Wirtschaft und Kultur mit über einer Milliarde Franken unterstützen. Wir blicken mit Finanzdirektor Reto Wyss auf die vergangenen Monate zurück. Der CVP-Politiker aus Rothenburg präsidiert bis Ende Juni den Regierungsrat.

Die Drohungen gegenüber dem Bundesrat mehren sich. Wie erleben Sie die Stimmung als Regierungspräsident im Kanton Luzern? Reto Wyss: Die Stimmung ist aktuell angespannt, das spürt auch der Luzerner Regierungsrat. Einige Menschen sind müde und wollen verständlicherweise die Normalität zurück. Das merke ich persönlich auch im Kontakt mit Branchenverbänden und Unternehmern. Zum Glück ist der Ton gegenüber mir und meinen Angestellten zwar bestimmt, aber fast immer fair.Haben Sie oder Ihre Kollegen auch schon Drohungen erhalten?Leider wird mein Regierungskollege Guido Graf immer wieder beschimpft, beleidigt und bedroht. Im Visier sind auch exponierte Mitarbeiter des Gesundheitsdirektors. Das verurteilen wir aufs Schärfste, und wir gehen auch konsequent strafrechtlich dagegen vor. Das dürfte in vielen Fällen schwierig werden.Die meisten Drohungen werden zwar anonym vorgebracht; in einigen Fällen ist der Urheber aber durchaus zu eruieren. Wichtig ist, dass wir hier eine Nulltoleranz zeigen. Auch wenn manche Einträge in den sozialen Medien spontan aus einer Emotion heraus entstehen, entschuldigt das in keiner Weise die Art und den Inhalt. In Regierung und Verwaltung sind wir jederzeit offen für Kritik und jedem steht frei, eine anderslautende Meinung zu äussern. Aber bitte Respekt und Anstand!Der Ton ist auf eidgenössischer Ebene auch parteipolitisch rauer geworden. Die SVP wirft Alain Berset offiziell Diktatur vor. Im Kanton Luzern scheint dies anders zu sein. Die Planungs- und Finanzkommission, die PFK, unterstützt zum Beispiel alle aktuellen Vorschläge der Regierung bei der Härtefallregelung. Täuscht der Eindruck der Einigkeit?Ja, der Eindruck täuscht. Wir haben jeweils sehr engagierte Sitzungen mit der PFK, aber auch der Kommission für Wirtschaft und Abgaben. Die Meinungen gehen zum Teil weit auseinander. Und das ist wichtig: So können wir erfahren, ob wir als Regierung auf dem richtigen Weg sind, oder ob wir einen Aspekt zu wenig berücksichtigt haben.Wie haben Sie die Zeit seit Bekanntwerden der ersten Luzerner Coronafälle erlebt?Es war eine sehr intensive Zeit, in der wir viel gelernt haben. Den gesundheitspolitischen Aspekt lasse ich hier bewusst aus; das betrifft den Gesundheitsdirektor. Positiv ist, wie schnell sich die Unternehmen und Schulen an die neuen digitalen Herausforderungen angepasst haben. Seitens Kanton konnten wir sehr schnell von Null auf eine Härtefallregelung auf die Beine stellen. Dabei hat der Bund immer wieder die Rahmenbedingungen geändert, was bei uns eine hohe Flexibilität erfordert hat. Das klingt ja fast zu schön.Natürlich ist nicht alles perfekt gelaufen. Aber wir haben die Tendenz, rückblickend nur das Negative zu sehen. Dabei dürfen wir durchaus stolz sein auf das bisher Erreichte. Das Instrument der Kurzarbeit zum Beispiel hat sich extrem gut bewährt und wird auch im Ausland beachtet. Kommt hinzu, dass auch im Kanton Luzern in den letzten Jahren ein schlanker Staat erste Priorität gehabt hat. Das ist sicher richtig. Jetzt zeigt diese Krisensituation, dass es auch einen leistungsfähigen und starken Staat braucht. Was können Sie konkret besser machen?Die Regierung wird noch einen Planungsbericht erstellen, wo jeder Bereich detailliert durchleuchtet wird. Vorerst kann ich daher für das Finanzdepartement sprechen. Aus den Rückmeldungen der Unternehmen bei der Härtefallregelung haben wir bereits erste Beschlüsse gefasst. Die wichtigsten: Wir werden die Unternehmen noch besser über den Stand ihrer Gesuche und den Zeithorizont der Auszahlung informieren und unsere Abläufe professionalisieren, sodass die Unternehmen noch schneller zu Geld kommen.Wie sieht die Unterstützung in Zahlen im Moment aus?Wir können zwischen 50 und 100 Gesuche pro Woche bearbeiten, je nach Aufwand. Die Härtefallhilfe für behördlich geschlossene und umsatzgeschwächte Unternehmen zusammengezählt, haben wir bereits 23,4 Millionen Franken bewilligt und davon 19,3 Millionen Franken ausbezahlt. Wichtig ist zu wissen, dass wir keine Umsatzausfälle decken, sondern den Liquiditätsabfluss für vier Monate. Unser Ziel als Staat ist, möglichst viele Unternehmen vor dem Konkurs zu bewahren und damit nachhaltig Arbeitsplätze zu erhalten. Und bei den Unternehmen mit einer Umsatzeinbusse von mindestens 40 Prozent decken wir den Liquiditätsabfluss jeweils für vier Monate. Danach kann eine Firma jederzeit wieder ein Gesuch einreichen.Bei rund 300 Gesuchen braucht es zusätzliche Abklärungen, weil die Gesuchseingabe unvollständig oder die Angaben nicht plausibel
waren ...
... wobei wir nur in fünf Prozent der Fälle ein Gesuch tatsächlich zurückweisen mussten. Hier gab es letzte Woche ein Missverständnis. Die 300 Fälle betreffen Gesuche, die nochmals bearbeitet werden mussten, weil zum Beispiel Unterlagen gefehlt haben. Wir können mit Gesuchen nichts anfangen, wenn wir keinen Betreibungsregisterauszug haben und die Firma stattdessen schreibt, er könne bei Bedarf angefordert werden. Aber eben, in den meisten Fällen können wir ein Gesuch bewilligen. Das klappt nur schnell, wenn die Unterlagen von Anfang an vollständig sind. Hier appelliere ich an die Unternehmen, auf eine sorgfältige Eingabe zu achten oder bei Bedarf Hilfe beizuziehen.40 Millionen Franken stehen aktuell behördlich geschlossenen Betrieben bereit, 25 Millionen Franken für Unternehmen mit starkem Umsatzrückgang. In etwa zwei Wochen soll der Kantonsrat weitere knapp 22 Millionen Franken bewilligen und den A-fonds-perdu-Anteil flexibilisieren. Reicht das?Das ist noch unklar und hängt stark von der weiteren epidemiologischen Entwicklung respektive den erforderlichen Massnahmen ab. Ich halte es allerdings für möglich, dass wir noch mehr Geld brauchen werden. Einzelne Branchen wie der Veranstaltungs- und Eventbereich werden wohl bis Ende dieses Jahres Unterstützung brauchen. Auch der Bundesrat rechnet mit einem längeren Zeitraum, warum er den Härtefallfonds von 2,5 auf 10 Milliarden Franken vervierfachen will.Apropos Bund: Sie haben immer neuen Rahmenbedingungen erwähnt. Fordern Sie hier mehr Verlässlichkeit?Wie für die Luzerner Regierung und Verwaltung ist auch für den Bundesrat und die Bundesverwaltung die Bewältigung der Pandemie neu. Es gab keine fixfertigen Konzepte, die in der Schublade lagen. Das ist eine riesige Herausforderung, weshalb es mir fern ist, Forderungen aufzustellen oder Kritik zu äussern. Zumal grundsätzlich praktisch alles gut funktioniert und die Kantone bei Entscheiden auch miteinbezogen werden.Bei allem Geld, das der Kanton ausgibt: War darum die Nachricht, dass die Nationalbank Luzern 128 Millionen Franken ausschüttet, wie ein Lottosechser?Das kann man so sagen: Diese hohe Ausschüttung kommt für Bund und Kantone zum richtigen Zeitpunkt.

Reto Wyss (55) ist seit dem 1. Juli 2011 in der Luzerner Regierung, wo er bis 2019 das Bildungs- und Kulturdepartement leitete. Seit eineinhalb Jahren führt der CVP-Politiker und diplomierte Bauingenieur das Finanzdepartement. Aktuell amtet er als Regierungspräsident. Wyss ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und wohnt in Rothenburg.