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Luzern

Krienser Preisträger Alexander Wili: «Ich bin bis heute ein Ungestümer geblieben»

Der Anerkennungspreis des Luzerner Regierungsrats geht dieses Jahr an Alexander Wili. Der «Ur-Krienser und Vollblutliberale» feiert bald seinen 90. Geburtstag. Ein Porträt in sieben Leitsätzen.
Preisträger Alexander Wili bei sich zu Hause in Kriens.
(Bild: Nadia Schärli, Kriens 27. Februar 2020)

Larissa Haas

Ein Besuch in der Attikawohnung von Alexander «Alex» Wili ist auch ein Besuch in seinem Leben. Es ist ein sonniger Vormittag in Kriens. Hier wohnt Wili im Attikageschoss eines Mehrfamilienhauses, beste Panoramaaussicht auf die Schlossliegenschaft Schauensee, es grünt der Hergiswald und vis à vis ist der Sonnenberg in Licht getunkt. Ein Lift führt direkt in die Wohnung, in der Wili lebt, arbeitet und schläft. Er lädt für das Interview in sein Büro an einen runden Holztisch, rings herum Regale, auf denen er mit sämtliche Dokumente seiner politischen und beruflichen Karriere aufbewahrt: Briefe, Statuten, Infobroschüren, Einladungsschreiben, Fotos, Zeitungsberichte. Aber Wilis Leben gehört in weit mehr als in feinsäuberlich angeordnete Registermappen, merkt man gleich, wenn man bei ihm Platz nimmt. Denn selbst nach längerem Nachdenken fällt einem niemanden ein, der sich in seinem Leben so für seine Heimatgemeinde eingesetzt hat, wie er.

Das, was der 89-Jährige erreicht hat, wofür er eingestanden ist und noch immer einsteht, habe «in besonderer Weise» zum «allgemeinen Wohl» der Gesamtbevölkerung beigetragen, davon ist der Regierungsrat überzeugt: «Sein Lebenswerk hat den gesellschaftlichen Zusammenhalt gestärkt und gefördert.» Deshalb verleiht er ihm am 25. Mai im Luzerner Theater den diesjährigen Anerkennungspreis. Doch wie sind dem «liberalen Vollblutdemokraten» seine aussergewöhnlichen Errungenschaften gelungen? Und wie ging er mit Rückschlägen um?

1. Lass dich nicht einschüchtern.

Alex Wili wurde am 30. August 1930 geboren, als Einzelkind von Laura Spaar und Werner Wili, technischer Leiter der Schappe-Spinnerei in Kriens. Als 12-Jähriger besuchte Wili das Klosterinternat in Engelberg. Dort lehrte er das asketische Leben, das die christliche Umgebung, aber auch die damalige Kriegssituation forderte: «Wir Kinder lebten wie die Klosterbewohner in kleinen Zellen mit schmaler Kost.» Er «studierte» schon als junger Bub die Bibel. Und ihm fiel auf, dass das, was die Priester predigten, nicht einer christlichen Lebensweise entsprach: «Ich las, man solle sich nicht absondern, unter die Leute gehen. Man solle überall dabei sein, überall mitmachen.» Heute erinnert er sich:

«Ich konnte meine ganze Klasse dazu bringen, nicht in die konservative Verbindung in Engelberg beizutreten.»

Mit 16 Jahren wechselte Wili an die Kantonsschule in Luzern, und auch dort eckte er mit seiner anti-konservativen Haltung an: In diesem Fall war es sein Religionslehrer, der während des Unterrichts postulierte, man könne nicht liberal und gleichzeitig katholisch sein. «Ich streckte sofort auf und sagte, dass das unchristlich sei, was er da erzählt.» Sein Einwand habe schliesslich in einem 60-minütigen Streitgespräch geendet; und dabei konnte der junge Gymnasiast seinem Lehrer «problemlos» das Wasser reichen. «Du bist ja noch päpstlicher als der Papst», hätten seine Schulkameraden nach der Schulstunde gesagt. Von da an war er in der Klasse und der Studentenverbindung, die er später dann präsidierte, unter dem Übernahmen «Papst» bekannt.

2. Mache alles selbst, was du selbst machen kannst.

Nach der Matura begann Alex Wili sein Jura-Studium an den Hochschulen Zürich, Freiburg und Bern. «An der Universität wurde mir bewusst, wie viel Steuergelder das Volk für die Akademiker bezahlt. Daraus ergab sich automatisch die Pflicht, der Allgemeinheit eine Gegenleistung zu erteilen.» Hilfsbereitschaft ist die Türe zum Erfolg, davon war der damalige Student überzeugt und stieg in die Politik ein. Mit 24 Jahren war er der Jüngste im Grossrat, ein Jahr später wurde er Präsident der Jungliberalen Partei in Kriens. In dieser Position wollte er seine Ressourcen nutzen, Eigenes aufbauen, nicht abhängig sein: «Statt jammern, selbst machen.» Mit dieser Leitidee gründete er 1956 seine erste Baugenossenschaft, was zum vielleicht wichtigsten von Wilis Leitgedanken führt:

3. Das Wohl der Gemeinschaft steht über deinem persönlichen

Das erste Bauprojekt, das Wili mit seiner «liberalen Baugenossenschaft» initiierte, waren drei Mehrfamilienhäuser am Gärtnerweg. Heute leben hier 36 Familien, Wili erinnert sich: «Wir hatten zu wenig Geld für den zweiten und dritten Wohnblock, ich hatte den Gemeinderat deshalb um eine Bürgschaft gebeten. Dieser lehnte ab.» Und so kam es, dass Wili wieder auf seine alte Lebensweisheit zurückgriff: Nicht betteln, sondern aktiv werden! Er lancierte seine eigene Initiative, welche die Gemeinde zur Bürgschaft verpflichten sollte. Mit knapper Mehrheit wurde diese angenommen und Wili konnte so zu «unwahrscheinlich günstigen» Bedingungen für den Wohnungsbau bei der Bank Geld leihen. Aus derselben Idee entstand 1990 schliesslich die schweizerische Emissionszentrale, die heute auf nationaler Ebene eine günstige Finanzierung von Wohnungen gemeinnütziger Wohnbauträger ermöglicht.

Alexander Wili weiss alles über genossenschaftliches Bauen, er hat diesen Bereich als Pionier revolutioniert. Und sein Gespür für «gescheite Ideen» hat bis heute nicht nachgelassen. Dies zeigt sich etwa in seinem jüngsten Projekt, bei dem er mit dem Zusammenschluss der drei grössten Krienser Baugenossenschaften ein Angebot von Alterswohnungen initiierte: «Wohnen im Alter in Kriens» – kurz: GWAK. Das war 2013, und heute stehen auf dem alten Gemeindehausareal «Lindenpark» 32 Wohnungen, die ab Frühling bezugsbereit sind. Dieses Projekt sei «schampar gut» gekommen, sagt Wili.

4. Bleibe unabhängig von politischen Meinungsmachern.

Anecken, das konnte Alexander Wili immer gut. Nicht nur während seiner Schulzeit, auch in seiner nachfolgenden Politkarriere. Er stemmte sich immer wieder gegen die Meinungsmacher der Gemeinde und nicht selten war er auch mit der Geschäftsleitung seiner eigenen Partei nicht gleicher Meinung. War er mit einer Entscheidung nicht einverstanden, wehrte er sich. «Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, braucht es viel, um mir das Gegenteil zu beweisen.» So war es, als es um den Kauf der Schlossliegenschaft Schauensee ging oder fünf Jahre später, als es die Liquidation der Sonnenbergbahn zu verhindern galt. 1962 kämpfte er gegen des Willens der engeren Parteileitung für die Einführung eines Einwohnerrates. Er sagt:

«Der Gemeindeschreiber wehrte sich damals ebenfalls mit einem Gegenreferat, doch konnte ich die Parteiversammlung vom Sinn und Zweck des Gemeindeparlaments überzeugen.»

Seine liberale Einstellung zementierte sich auch bei der Einführung des Frauenstimmrechts: «Ich war überzeugt, dass wir Frauen im Vorstand brauchen.» Deshalb änderte er als Präsident der Jungliberalen die Statuten, um Frauen in die Partei zu integrieren. Er war auch oft der einzige, der seine Frau Heidi mit an die Parteiversammlungen mitnahm – lange bevor sie überhaupt wählen durfte.

5. Hinfallen. Und wieder aufstehen.

Wer sich wundert, wieso Wili mit dieser glänzenden Politkarriere nie Richtung Bundesbern zog, der dürfte in diesem Leitsatz eine mögliche Antwort finden: War er schlicht abgestossen vom Gedanken, zu sehr von der Politik eingenommen zu sein? Ja und Nein. Wili erklärt: «Ich bezeichnete mich immer als Anwalt – durch und durch. Ich wollte unabhängig sein, alles andere würde nur zu Missständen führen, davon bin ich übrigens bis heute überzeugt.» Der Gedanke, einmal in Bern zu politisieren, hat ihn aber dennoch nicht losgelassen. Weil es ihn «schon sehr gluschtete», sei er bei der Ständeratswahl 1987 schliesslich als Gegenkandidat zum damaligen Nationalrat Kaspar Villiger angetreten. Villiger machte damals das Rennen, und Wili ging als fairer Verlierer vom Platz: «Ich freute mich für meinen damaligen Kollegen, den ich noch heute sehr schätze.» Generell hat Wili nie einen grossen Hehl aus seinen politischen Rückschlägen gemacht: «Niederlagen konnte ich immer gut Wegstecken», sagt er. So war es auch bei seiner «grössten politischen Niederlage» im Jahr 1973, als er nach seiner Kandidatur für den Gemeinderat nicht mehr zum zweiten Wahlgang antrat. «Die Meinungsmacher in der Gemeinde sahen mich damals als Konkurrenten», sagt Wili und lacht:

«Denen habe ich es in den nächsten Jahren schon wieder zurückgegeben.»

6. Chrüpple. Und zwar richtig.

Wilis (gesellschafts-)politische Kunststücke sind ihm nicht zuletzt wegen seiner überdurchschnittlichen Leistungsbereitschaft gelungen. Noch im selben Jahr, als er sich als Anwalt selbständig machte, wurde er Parteipräsident der liberalen Partei von Kriens, ein Jahr später nahm er das Amt des Kriminalrichters an. «Ich arbeitete Tag und Nacht – wie ein Verrückter!»: Um fünf aufstehen, Gerichtsakten lesen, ab acht seiner Arbeit als Anwalt nachgehen. Am Abend mit den Kindern spielen. Gegessen wurde um sechs, damit er um acht seine Sitzungen und Referate halten konnte. «Man hätte mich damals nicht zurückhalten können», sagt er – doch sein Körper war da anderer Meinung. Er war gerade einmal 31, als er seinen ersten, zwei Jahre später dann den zweiten Herzinfarkt erlitt – drei Tage nach seiner erfolgreichen Abstimmung zum Einwohnerrat. Dann wurde es ruhig um Alex Wili, dem unermüdlichen Energiebündel. «Wenn du noch länger leben willst, musst du dich zurückziehen, an einen Ort, ohne Stress und ohne Lärm», habe ihm seinen Arzt damals geraten. Heute sagt Wili: «Ich glaube, es brauchte einen gesundheitlichen Chlapf um mir die Grenzen zu zeigen. Ich hatte daraus gelernt.»

7. Fordere dich immer selbst heraus.

Ganz stehen bleiben konnte Wili aber nicht – und daran hat sich bis heute nichts geändert: «Wenn ich keine Aufgabe habe», das sagt er, «dann werde er schwierig.» Ruhestand? Kommt für ihn nicht in Frage. «So lange ich noch zwäg bin, möchte ich was machen.» Mit 65 hat er seine Anwaltspraxis aufgegeben und sich auf die gesellschaftliche und politische Arbeit konzentriert. Heute präsidiert er den Verein «Gesellschaft und Kirche wohin?» sowie seine Stiftung «Freiheit und Verantwortung». Und bevor es ihm langweilig werde, lasse er sich «etwas gescheites» einfallen: Eine neue Stiftung gründen zum Beispiel, oder ein Buch schreiben. In eine seiner gemeinnützigen Institutionen soll nun auch das auf 5000 Franken dotierte Preisgeld des Anerkennungspreises gehen.

Den nötigen Antrieb für seine Arbeit nimmt er aus seinen täglichen Routinen: Jeden Morgen beim Erwachen sofort aufstehen und aktiv werden. Nie eine Pendenz stehen lassen. Post umgehend beantworten, den Tagesablauf planen. Und einhalten. Die Chronik nachführen. Ideen entwerfen und debattieren. Leserbriefe schreiben. Interessante Anlässe besuchen. Und: Freundschaften pflegen. Immer am ersten Montag im Monat trifft er sich mit seinen alten Freunden aus dem Männerchor in einer Krienser Beiz. Seine Sommertage verbringt er jeweils in seiner Liegenschaft «Chrämerhüsli» in Willisau, die seit seinem zweiten Herzinfarkt zu seinem liebsten Rückzugsort wurde. Und als neunfacher Grossvater und fünffacher Urgrossvater freut er sich, wenn «das junge Leben» bei ihm zu Besuch kommt:

«Ich bin nicht nur Politiker, sondern durch und durch ein Familienmensch.»

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