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Gastkolumne Stadtentwicklung

Kapellbrücke auf dem freien Feld? Ein Affront gegen die Baukultur!

Um dem Overtourism entgegenzutreten, sollen Kopien von Sehenswürdigkeiten erstellt werden, fordert eine These. Der Autor über Original und Kopie – Sein und Schein.

Bruno S. Frey ist Ökonom und Glücksforscher. Im Juli interviewte ihn die Luzerner Zeitung . Frey kam in diesem Interview auch auf das – wie jeden Juli – aktuelle Luzerner Sommerthema zu sprechen: Tourismus und im Speziellen Overtourism. Dabei vertrat er eine abenteuerliche These in Bezug auf die Rolle der Kopie: Er postulierte, dass dem Overtourism Abhilfe geschaffen werden könnte, in dem man auf freiem Feld, irgendwo gut erschlossen eine Kopie zum Beispiel von Luzern mit der Kapellbrücke hinstellen, oder eben gar per Hologramm projizieren könnte. Die weniger betuchten Reisenden könnten diese dann zu einem reduzierten Eintrittspreis besuchen.

Die Kapellbrücke ist ein Tourismusmagnet.
Bild: Bild: Manuela Jans-Koch (Luzern, 7. Februar 2020)

Eine interessante These. Und ein Affront gegen die Baukultur, die ihrer Anlage nach dem Originären verpflichtet ist. Das Interview mag ein lockeres Plauderstündchen gewesen sein und die Aussage von Herr Frey ist vielleicht im Artikel verkürzt wiedergegeben. Aber da zeigt sich dann doch auch eine neoliberale Verantwortungslosigkeit gegenüber der Kultur. Darum hier in Kürze der Versuch, die Bedeutung von Original und Kopie aus eben dieser baukulturellen Sicht zu beleuchten. Das ist mir ein besonderes Anliegen, weil aktuell das Herumdoktern am Original auch auf politischer Ebene grassiert. Oder gehören die geforderten PV-Anlagen im Alpenraum gar zum Original einer neuen Bergwelt?

Das Original weist eine zeitliche Entwicklung auf

Dem Original ist, anders als der Kopie, sein Werdensprozess, das Warum und das Wie etwas gebaut wurde, eingeschrieben. Im Warum sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abgebildet und diese zeigen sich beim Haus, als dem Bauwerk schlechthin, in seiner Raumdisposition: Ein Grundriss ist in der zeitlichen Entwicklung per se nicht eine freie Erfindung, sondern basiert auf gesellschaftlichen Konventionen. Darum ist ein guter Grundriss immer von einer Vielzahl von Personen benutzbar.

Und im Wie ist das Handwerk und mit ihm die Technik verankert, das heisst das Wissen, wie etwas gut gemacht werden kann. Gut nicht als hübsch oder möglichst effizient, sondern mit der Sorgfalt gegenüber dem Werk und dem Benutzer. Das heisst, jedes Bauwerk ist analog einem Buch letztlich ein fast unterschöpflicher Wissensträger, Siedlungen sind Bibliotheken, in denen die Auswahl der Bücher bereits ein Akt des Ordnens ausmacht. Dies leistet ein bauliches Original, das an einem spezifischen Ort geerdet ist.

Das Original ist also verortet und es ist darum eine grosse Herausforderung, ein Haus örtlich zu verpflanzen. Entweder gilt es dann, entweder den Ort oder das Bauwerk anzupassen. Das Original wird adaptiert, bleibt aber als solches originär, das heisst weiterhin einzigartig, Ballenberg lässt grüssen. Schwieriger wird es, wenn die Originale an einem anderen Ort neu nachgebaut werden. Dann nützt auch das möglichst gleiche Handwerk nichts mehr.

Der Kopie fehlen die Gebrauchsspuren

Das nachgebaute Haus wird zum Fake, weil es eine Realität vortäuscht, der die Substanz fehlt. Es fehlt – und da sind Bauwerke dann auch noch dynamische Originale – der Gebrauch, die Verwitterung, das Alter schlechthin. Dieses ist ja bei jedem Bauwerk innerhalb einer Siedlung ein anderes. Es stellt sozusagen die Lebenserfahrung des Bauwerkes, das heisst die eingeschriebenen Leben der Bewohner, dar. Die Wahrnehmung eines Betrachters lässt sich nicht täuschen, denn als Mensch versuche ich ja immer den Objekten, die vor meine Sinne gelangen, eine Bedeutung zuzuschreiben, ihr Wesen zu deuten, ob ich nun will oder nicht.

Das hat damals auch Walt Disney verstanden und deshalb eben in seinen Disneylands und -worlds keine exakte Kopie erstellt, sondern durch die massstäbliche Verfremdung eine neue Realität geschaffen, die zum neuen Original werden kann, die dem originalen Original Respekt zollt.

Also lieber Herr Frey, arbeiten wir an den Originalen und nicht an Kopien. Ihnen gilt es verantwortungsbewusst gegenüberzutreten und ihre Veränderung möglichst schonungsvoll zu antizipieren. In diesem Sinne gilt es auch das Originäre in unserer Landschaft vor unbedachten Veränderungen zu schützen, denn touristische Vermarktung wie auch Energieproduktion stehen in einem diffizilen Gleichgewicht mit diesem.

*Dieter Geissbühler ist Co-Leiter CAS Baukultur an der Hochschule Luzern

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