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Luzern

In Luzerner Schulhaus streikt die Schulglocke – und alle kommen pünktlich

Im Oberstufenzentrum Utenberg in der Stadt Luzern ist durch einen Zufall die Schulglocke ausgefallen. Nach ein paar Tagen zeigt sich, dass der Unterricht auch ohne funktioniert – vielleicht sogar besser als mit.
Im Utenberg Schulhaus gibt es neu keinen Schulgong mehr. Im Bild vorne von links Matti, Aurita und Louka. (Bild: Corinne Glanzmann; Luzern, 31. August 2018)
Uwe Volkwein, Schulleiter des Oberstufenzentrums Utenberg: «Die gesamte Atmosphäre hat sich hin zu mehr Ruhe und Gelassenheit entwickelt.»                                    Bild Corinne Glanzmann

Hugo Bischof

Hugo Bischof

Es gibt ganz verschiedene Klingelzeichen, die den Beginn und das Ende des Schulunterrichts markieren – schrille, kurze, lange, harmonische, eintönige, zweiklangige. Eines haben alle gemeinsam: Sie können ganz schön nerven, vor allem wenn man gerade in ein wichtiges Gespräch mit einem Gschpänli vertieft ist.

Im Stadtluzerner Oberstufenschulhaus Utenberg ist es damit nun vorbei. Die Schulglocke ist verstummt. Wie kam es dazu? «Es war eine Zufallsentwicklung mit positiven Folgen», sagt Utenberg-Schulleiter Uwe Volkwein. «Durch einen Wechsel in der Hauswartung war der Gong zum Beginn des Schuljahrs nicht aktiviert.» Mit anderen Worten: Dem neuen Abwart fehlte noch die Routine, am ersten Schultag die Schulglocke einzuschalten. Volkwein schmunzelt darüber, denn die Erfahrungen damit waren so gut, dass man gleich dabei blieb. Die Aktion war von der Schulleitung also nicht geplant.

Schüler kommen nicht zu spät

Die erste bis zur dritten Sekundarstufe wird im Utenberg unterrichtet. Dazu kommen drei Primarklassen vom Felsbergschulhaus. Wie haben die Schüler auf das Verstummen der Schulglocke reagiert? «Zunächst etwas irritiert», sagt Volkwein. «Die ganz Kleinen meinten sofort, die Glocke sei kaputt. Mittlerweile läuft es erstaunlich gut ohne Glocke .»

Auch bei den Lehrerinnen und Lehrer stosse die glockenlose Schule auf positive Reaktionen, sagt Volkwein: «Sie finden es gut, weil das Ergebnis so unerwartet ist: Die Schüler kommen nämlich trotzdem pünktlich in den Unterricht.» Zudem: «Alle berichten von einer viel ruhigeren Stimmung im Gebäude. Nicht der künstliche Takt beendet das Lernen, sondern die Lehrer und Schüler selber.» Das führe zu mehr Eigenverantwortung: «Das wollen wir ja ohnehin erreichen und ist eines unserer Ziele im Bereich der Selbstkompetenz.» Wie reagierten die Eltern, denen Änderungen im Schulbetrieb oft suspekt sind? «Ich erzählte am letzten Dienstag beim ersten Elternabend von diesem Zufallsprojekt», sagt Volkwein. «Die Reaktionen bewegten sich zwischen Zustimmung und Faszination darüber, dass es klappt.» Ablehnung habe er keine erfahren. Ihm sei es wichtig, die Eltern hier aktiv miteinzubeziehen.

Das hektische Zusammenpacken bleibt aus

Man sei «selber überrascht, wie gut es klappt», sagt der Utenberg-Schulleiter, «und welche positiven Effekte so eine kleine Veränderung hat». Am meisten überrasche die gelassene Atmosphäre zum Beginn und Ende des Unterrichts: «Es gibt kein hektisches Zusammenpacken mehr aufgrund eines akustischen Signals.»

Und wenn es im Unterricht mal richtig interessant sei, komme es schon mal vor, «dass die Schüler plötzlich merken, dass ja eigentlich schon Pause ist». Eine weitere Erkenntnis: «Die gesamte Atmosphäre hat sich hin zu mehr Ruhe und Gelassenheit entwickelt.» Aber wie merken die Schüler, wann der Unterricht beginnt? «Die meisten haben die Zeit im Griff, und wenn ein paar aufbrechen, folgen ihnen die anderen», sagt Volkwein. Ein bisschen nachgeholfen hat er aber schon: «Ich habe billig zwei grosse Uhren gekauft, die wir im Schulfoyer aufgehängt haben.»

Wir konnten auch mit einer 3. Sek-Klasse im Utenberg reden. Den Schülerinnen und Schülern gefällt die neue Situation mehrheitlich. «Der Unterricht ist entspannter und ruhiger», sagt Manuel (15). «Natürlich gibt es das Risiko, dass ein Lehrer überzieht, aber das ist selten.» Wenn man nicht ständig auf den Gong warte, «stresst man sich selber viel weniger», betont Nina (14). «Früher dachte man immer, ‹sobald die Glocke läutet, muss ich auf den Bus hetzen›; das ist jetzt vorbei», fügt Matti (14) an. «Man kann sich besser auf den Unterricht konzentrieren; es ist nicht mehr so wichtig, wie lange eine Stunde dauert», so Aylen (14).


Testphase bis zu den Herbstferien

Wie geht es nun weiter? «Wir schauen uns dieses Projekt jetzt mal bis zu den Herbstferien an und tauschen dann unsere Erfahrungen aus», sagt Uwe Volkwein. «Ich hoffe, dass wir so weitermachen können, da aus meiner Sicht die Vorteile auf der Hand liegen. Wir sind ja weder eine Fabrik noch beim Militär. Wenn die Kinder und Jugendlichen sich in den Stoff vertiefen und darin ‹stecken bleiben›, weil sie keine Glocke herausreisst, ist das ein total spannender Ansatz für die Schulentwicklung, der wirklich unseren Lernenden dient.»

Vreni Völkle, Rektorin der Volksschule der Stadt Luzern, findet Gefallen am Experiment im Utenberg-Schulhaus: «Es ist schön, wenn man die Unterrichtszeiten einhalten kann, ohne dass man das mit grossem Aufwand ankündigen muss.» Dass die Schüler einen eigenen Lernrhythmus finden, sei unterstützenswert. Übrigens: In der Villa Krämerstein, die in Horw provisorisch als Schulhaus dient, läutet eine Kuhglocke den Unterricht ein. Auch ein spannender Ansatz.

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