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Kolumne

«Ich meinti»: 30 ist das neue 20

Der Engelberger Kolumnist über seine Gedanken zu Franz Beckenbauer und das Älterwerden. 
Primus Ettlin, Student aus Engelberg, äussert sich an dieser Stelle abwechselnd mit anderen Autoren zu einem selbst gewählten Thema.
Bild: Bild: Florian Arnold

Die deutsche Fussballlegende Franz Beckenbauer ist am Sonntag gestorben. Zufälle gibt’s: Noch am Samstag stiess ich in der ARD-Mediathek auf eine Dokumentation über Beckenbauer. Ohne über seinen kritischen Zustand Bescheid zu wissen, habe ich die Doku wenige Stunden vor seinem Tod geschaut. Zwei Fakten über Beckenbauer haben sich dabei speziell in mein Gehirn eingebrannt. So wusste ich nicht, dass der «Kaiser» einst mit seiner Familie in Sarnen wohnte und dabei die Obwaldner Steuerverwaltung ausgedribbelt hat, wie er es mit seinen Gegnern auf dem Platz machte. Überraschender war für mich allerdings eine Aufnahme früheren Datums des jungen Beckenbauer zusammen mit seiner Familie. Ein 23-Jähriger mit Frau und drei (!) Kindern. «Spinnt der», habe ich leise für mich gedacht.

Wenn ich von solchen Biografien höre, komme ich ins Grübeln. Verheiratet, Kinder und scheinbar alles im Griff mit Anfang zwanzig. Da bin ich und sind viele meiner Generation ja grausam im Verzug. Vielleicht eignet sich der Kaiser nicht als Massstab. Aber es scheint mir doch, dass man früher früher erwachsen wurde. Charles Darwin zum Beispiel, der brach mit 22 Jahren auf, die Welt zu entdecken, und mit 25 machte er auf den Galapagosinseln Beobachtungen, die ihn später zu seiner Evolutionstheorie brachten. Napoleon kam mit 30 Jahren in Frankreich an die Macht und wurde bald darauf ebenfalls Kaiser. Und auch Jesus Christus war vermutlich nicht viel älter, als er zu predigen begann und zwölf Jünger ihm folgten.

Und heute? Wir legen uns immer später fest. Sei es bei der Berufs- oder bei der Partnerwahl. Wir machen Ausbildungen bis 30, frönen dem Nachtleben und denken gar nicht erst an die Familienplanung. Mit jedem Jahr, das verstreicht, wird’s aber ein wenig ungemütlicher. Mit 25 realisiert man dann plötzlich, dass der 50. Geburtstag weniger weit entfernt ist als die eigene Geburt. Dabei hat man noch immer kein Säule-3a-Konto eröffnet, beim Telefonieren mit Fremden ist man noch etwas nervös und Schneeketten montieren stellt ohne Hilfe eine grosse Herausforderung dar. Erwachsen wäre anders. Und auch jeder «Seich», den man im Ausgang begeht, wird mit den Jahren nur peinlicher. Wenn Beckenbauer mit 23 Jahren schon drei Kinder hatte, kann ich doch mit 25 nicht betrunken in ein Blumenbeet urinieren.

Andere Zeiten – 30 ist das neue 20 und «ich meinti», so schlimm ist das gar nicht. Wir haben noch genug Zeit für alles andere und sollten die unbeschwerten Jahre in vollen Zügen geniessen. Wer früh durchstartet, hat auch mehr Zeit für Blödsinn. Beckenbauers Zeit in Obwalden ist rückblickend kritisch zu betrachten. Wohnend in der Attikawohnung im Sarner Hochhaus, eine ganze Tennishalle spendierend, versteckte er Millionen vor dem Fiskus und sorgte dafür, dass Obwalden vom Bund in Steuerfragen bevormundet wurde. Bei aller Achtung vor dem Geleisteten stelle ich fest: Auch bei umjubelten Helden kommen die Probleme noch früh genug – die beiden Kaiser und Jesus könnten ein Lied davon singen.

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