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Luzern

HSLU-Professorin zur Gleichstellung seit Corona: «Es braucht gerade jetzt den Fokus auf Ungleichbehandlungen»

Eine aktuelle Studie an der Hochschule Luzern geht der Frage nach, welche Auswirkungen der Lockdown im letztjährigen Frühling auf die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern hatte. Im Interview legt die Professorin Lucia Lanfranconi die Ergebnisse dar und erklärt, weshalb die Pandemie auch als Chance für die Geschlechtergleichheit gesehen werden kann.
Die 38-jährige Lucia Lanfranconi (links) arbeitet als Professorin an der Hochschule Luzern. (Bild: PD)

Zéline Odermatt

Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Studie?Lucia Lanfranconi: Die Studie will einen Beitrag zum Verständnis leisten, inwiefern in der Schweiz während des Lockdown im Frühling 2020 Geschlechterungleichheiten verstärkt oder verringert wurden. Dazu wurde der Frage nachgegangen, in welchem Ausmass Frauen oder Männer mit oder ohne Kinder im Lockdown in ihrem Leben eingeschränkt waren.

Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Die Studie zeigt, dass Frauen mit Kindern im Lockdown des Frühlings 2020 sehr stark eingeschränkt waren. Im Vergleich zu Männern mit Kindern haben sich Frauen in unserer Befragung rund doppelt so oft in ihrer Arbeitskapazität wegen zusätzlicher Betreuungsarbeiten eingeschränkt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine repräsentative Studie für die Schweiz des Forschungsinstitutes Sotomo sowie diverse internationale Studien. Meine Studie zeigt weiter; Frauen mit Kindern waren stärker von negativen Auswirkungen des Lockdown betroffen, so spürten sie am stärksten die Zunahme von Partnerschaftskonflikten und fühlten sich am wenigsten unterstützt vom privaten Umfeld.Welche Folgen kann eine solche ungleiche Arbeitsteilung während des Lockdown beziehungsweise während einer Homeofficepflicht haben?Sie führt zu einer Re-Traditionalisierung der Aufteilung von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Care-Arbeit (Betreuungs- und Hausarbeit) zwischen den Geschlechtern. Dies ist ein Rückschritt in der Gleichstellung der Geschlechter, da es etwa dazu führt, dass Frauen noch stärker in tieferen Pensen, mit weniger Aufstiegschancen und zu tieferen Löhnen arbeiten. Alles Tendenzen, die wir in der Schweiz sowieso schon haben, welche sich nun aber verschlimmern. Längerfristig bedeutet das auch eine Verstärkung der Frauenarmut und der Frauenarmut im Alter – Entwicklungen, welche es zu bekämpfen gilt.Gab es trotzdem auch positive Auswirkungen auf die Gleichstellung, welche Sie feststellen konnten?Ja, unsere Studie zeigt auch unerwartete Geschlechtermuster, welche längerfristig positive Effekte für die Gleichstellung haben könnten. Männer mit Kindern berichten auch von Verhaltenseinschränkungen im Lockdown und häufiger als Frauen von fehlender institutioneller Unterstützung. Zusammen mit dem Befund, dass offenbar rund ein Viertel der Männer mit Kindern im Homeoffice sein Pensum wegen Betreuungspflichten ebenfalls reduziert hat, deutet dies darauf hin, dass Väter im Lockdown ebenfalls mehr Care-Arbeit übernommen haben als vor dem Lockdown. Potenziell dürften sich Männer stärker als bisher für familienfreundliche Strukturen in Unternehmen und Politik einsetzen.Die Studie wird im Juli veröffentlicht, gehen Sie dem Zusammenhang zwischen Pandemie und Gleichstellung weiter nach?Zurzeit arbeiten wir von der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit gerade an einer gesamtschweizerischen und repräsentativen Umfrage zur Thematik der Aufteilung von unbezahlter Care-Arbeit und bezahlter Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern, wo wir die oben aufgeführten Ergebnisse vertieft nachzeichnen können.Ich habe auch gerade eine Umfrage bei Unternehmen und Organisationen in der Zentralschweiz durchgeführt, zur Frage, inwiefern die Veränderungen in den Unternehmen in der Coronapandemie in Richtung mehr Flexibilität einen positiven Effekt für Familien und Geschlechtergleichstellung hat.Gibt es schon erste Ergebnisse?Tendenziell zeigt sich: Flexible Arbeitsformen und Homeoffice werden dann einen positiven Effekt auf die Geschlechtergleichstellung haben, wenn gleichzeitig bestehende Vorstellungen vom allzeit verfügbaren Arbeitnehmenden abgeschafft werden. Also beispielsweise nicht von den Arbeitnehmenden erwartet wird, dass sie jederzeit per E-Mail und Telefon erreichbar sind. Da Frauen mehr als Männer in Bereichen arbeiten, wo kein Homeoffice möglich ist, ist es zudem wichtig, dass nun nicht neue Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in Betrieben entstehen. Es braucht gerade jetzt den Fokus auf Ungleichbehandlungen von Frauen und Männern in Betrieben. Es braucht familienfreundliche Strukturen, ein familienfreundliches Arbeitsklima und Arbeitnehmende sollen in Entscheidungen zu ihren Arbeitsbedingungen involviert werden.

Ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass Behörden Gleichstellungsstrategien verfolgen?

Ja, unbedingt. Wir sind in einer Zeit von grossen gesellschaftlichen Umbrüchen mit grossen Risiken aber auch Potenzialen für mehr Geschlechtergleichstellung. Es braucht nun tatsächlich eine aktive Gestaltung von Gleichstellung, damit die Potenziale sich entfalten; und zwar auf der Ebene von Unternehmen, Behörden, aber auch auf der politischen Ebene. An der Hochschule Luzern haben wir zudem ein Modell entwickelt, mit welchem sich gleichstellungs- und familienfreundliche Betriebe für ihr Engagement zertifizieren lassen können.Am 14. Juni wird wieder gestreikt, was halten Sie davon?Solche Veranstaltungen sind wichtig, um Missstände sichtbar zu machen und ins mediale und gesellschaftliche Bewusstsein zu bringen. Natürlich reicht das aber nicht aus, um die Geschlechtergleichstellung zu erreichen – hierzu braucht es Unternehmen und Organisationen, welche Verantwortung für Ihre Mitarbeitenden übernehmen sowie eine Familien-, Arbeitsmarkt- und Gleichstellungspolitik, welche ebenfalls Arbeitnehmende und ihre Familien schützt und unterstützt.
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