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Luzern

«Gewisse Zahnärzte versprechen ihren Patienten das Blaue vom Himmel»

Der pensionierter Zahnarzt Peter Frei (69) aus Sursee packt aus: So schlimm steht es um seinen Berufsstand und darum sind gewisse Patienten daran mitschuldig.
Die Zahnarztdichte ist in den letzten Jahren angestiegen. (Symbolbild: Keystone/Gaetan Bally)
Peter Frei. (Bild: PD)
Ein Implantat. (Bild: PD)

Raphael Zemp

Was ist am Vorwurf der Überbehandlung mit Zahnimplantaten dran? Und warum fühlt sich der Zahnarzt zuweilen als Coiffeur? Das verrät uns Peter Frei. Der pensionierte Fachzahnarzt für Oralchirurgie mit Weiterbildungsausweis für Implantologie war fast ein halbes Jahrhundert in der Zahnmedizin tätigt und hat so die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte hautnah miterlebt. Vor einem Jahr hat er seine Praxis in Sursee abgegeben und arbeitet nun noch einen halben Tag pro Woche ehrenamtlich als externer Instruktor an der Universität Basel.

Peter Frei, Patientenschützer sagen: Zahnärzte drehen ihren Patienten oft unnötige aber finanziell lukrative Zahnimplantate an, wie wir kürzlich berichtet haben. Teilen Sie diese Kritik?

Ja, ich teile diese Beobachtung. Es gibt viele Zahnärzte, die übereilt und ohne sorgfältige Vorabklärung Zahnimplantate einsetzen. Der Eingriff mag sich für sie finanziell lohnen, ist aber oft nicht im Interesse des Patienten und verstösst deshalb in vielen Fällen gegen die Regeln der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft (SSO). Die Mundgesundheit der Patientinnen und Patienten ist oberstes Gebot. Deshalb bin auch ich der Meinung: Ein Implantat soll fehlende Zähne und nicht einfach Zähne ersetzen. Erst gilt es alle anderen zahnerhaltenden Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen.

Heute aber ist diese Haltung nicht mehr so stark vertreten.

Das stimmt. Hauptgrund mag die hohe Dichte an praktizierenden Zahnärzten in gewissen Regionen sein. Um in einem solchen Umfeld überleben zu können, werden Behandlungen favorisiert, die sich rechnen. Dabei muss es nicht immer eine Luxuslösung mit Implantaten sein. Es ist wie im Wirtshaus: da gibt es ja auch nicht nur das teuerste Entrecôte auf der Karte.

Ecken sie damit nicht an bei Arbeitskollegen?

Die Kolleginnen und Kollegen, die mich lange und gut kennen, kennen auch meine Einstellung zum Beruf. Hersteller von Implantaten haben mich auch schon kritisiert: Ich würde zu wenige Implantate einsetzen! Für mich ist das, wie bereits erwähnt, eine Frage der Ethik. Im Zentrum unseres Handelns müssen das Wohl und die Wünsche des Patienten stehen – und nicht die Gewinnmaximierung. Glück und Zufriedenheit im Beruf waren für mich immer wichtig. Es ist wunderbar, wenn ich heute noch schöne Komplimente von meinen ehemaligen Patienten bekomme.

Gibt es noch andere Gründe, warum aus der Zahngesundheit mehr und mehr ein Zahngeschäft geworden ist?

Nun, der gesellschaftliche Wandel hat auch in unserer Branche seine Spuren hinterlassen und der Patient ist in den letzten Jahren immer mehr zum Kunden geworden. Statt zu heilen verkaufen Zahnärzte Produkte wie Implantate oder ein makelloses Lächeln. Diese Werteverschiebung zusammen mit der gestiegenen Zahnärztedichte hat letztlich dazu geführt, dass die Werbung für zahnmedizinische Behandlungen massiv zugenommen hat – mit verheerenden Auswirkungen für unseren Berufsstand.

Inwiefern?

Patienten prägen sich Werbebilder ein, die wenig mit der Realität zu tun haben, und kommen mit solchen Vorstellungen in die Praxis. Vergleichbar mit jenen Leuten, die mit einem Foto von einem berühmten Star in der Hand zum Coiffeur gehen, in der Meinung, sie würden nach dem Schnitt genau gleich aussehen wie ihr Idol auf dem Bild. Nach einem klärenden Gespräch bleibt in beiden Fällen oft Ernüchterung übrig. Gewisse Zahnärzte wiederum wissen diese übertriebene Anspruchshaltung auszunützen, versprechen ihren Patienten das Blaue vom Himmel. Sie verkaufen ihren Kunden so sehr teure wie auch unnötige Eingriffe und können ihre Versprechungen meistens nicht einhalten.

Worin liegen denn die grössten Gefahren für Patienten?

Bei unvollständigen Vorabklärungen und/oder unsachgemässer Behandlung drohen ernsthafte Schäden. Entsprechend wichtig ist deshalb eine fundierte theoretische sowie auch praktisch-chirurgische Ausbildung. Während in der Schweiz darauf grossen Wert gelegt wird, lässt die Ausbildung in vielen anderen Länder jedoch zu wünschen übrig. Das Einbringen eines Implantates ist kein Bagatelleingriff!

Was schlagen Sie vor, wie kann man dieser Entwicklung entgegenwirken?

So bedenklich diese Entwicklung ist: Das Rad der Zeit kann niemand zurückdrehen. Allerdings wird auch dieser Trend eine gewisse Selbstkorrektur nach sich ziehen. Bis es soweit ist, kann es aber noch dauern. Umso wichtiger ist es deshalb, dass Patienten richtig informiert werden über mögliche gesundheitliche Folgen von Eingriffen und über kostengünstigere Alternativen. Sie haben ein Recht darauf verständlich aufgeklärt zu werden!

Und wie so oft hat sich der Wandel der Zeit wohl nicht nur negativ ausgewirkt.

Sie haben recht. Trotz des teilweise unangebrachten, ja gar missbräuchlichen Einsatzes von Zahnimplantaten, muss hier klar festgehalten werden: Zahnimplantate sind heute ganz klar ein Segen für die Zahnmedizin. Aber nur, wenn sie sorgfältig angewendet werden und vom Patienten oder der Patientin ebenso gepflegt werden.

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