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Uri

«Fragestellungen von grosser globaler Relevanz»: Wie im Kanton Uri die Auswirkungen der Zivilisation auf Bergpflanzen erforscht werden

Auf der Furka forschen Wissenschaftler in der alpinen Flora. Bereits wurden erhellende Erkenntnisse gewonnen. Ein Besuch vor Ort.
Die Forschungsstation Alpfor nahe dem Furkapass erforscht die alpine Flora. (Christian Tschümperlin / Urner Zeitung)
Die Biologin Dr. Erika Hiltbrunner von Alpfor am Furka untersucht die alpine Flora. Die Stickstoff-Messanlage, neben der sie steht, liefert Daten für die Zentralalpen. (Christian Tschümperlin / Urner Zeitung)
Der Biologe und emeritierte Professor Christian Körner untersucht die alpine Flora. (Christian Tschümperlin / Urner Zeitung)

Christian Tschümperlin

Christian Tschümperlin

Christian Tschümperlin

Christian Körner kniet ins krautige Gras und tastet den überwachsenen Boden ab. «Mit der Hand kann man spüren, dass es zwischen den Gräsern deutlich wärmer ist als in der Luft», sagt der Botaniker und emeritierte Professor. Er spricht das sogenannte Mikroklima an, das bei Sonnenschein um 10 bis 12 Grad über dem vom Menschen erlebten Makroklima liegt. «Das Mikroklima der alpinen Pflanzenwelt ist bei Sonne vom Makroklima entkoppelt. Unter anderem wegen der Sonneneinstrahlung und weil zwischen den Blättern Windstille herrscht.» Das Klima in dicht gedrängten alpinen Pflanzenbeständen kann durchaus tropisch sein. «Da fällt eine Temperaturerhöhung von 2 Grad für die Pflanzen kaum ins Gewicht.»

Fast etwas einsam steht die Forschungsstation Alpfor in der kargen Berglandschaft. Doch der erste Eindruck täuscht. Es ist eine vielfältige Pflanzenwelt, die hoch oben zwischen Galenstock und Pizzo Rotondo gedeiht. Dem vermeintlich harten Klima zum Trotz, sind über der Baumgrenze rund ein Viertel der heimischen Blütenpflanzenarten der Schweiz zu finden.

Professor packt bei der Restauration mit an

Nur der Infrastruktur des Menschen machen die Bedingungen im alpinen Raum bisweilen zu schaffen. Eine Anlage die seit 1885 den extremen Wetterumschwüngen trotzt, ist das ehemalige Truppenlager Furkablick nahe der Furka-Passhöhe. Eigentlich wollte die Armee das Militärareal abbrechen. Im August 2019 konnte Alpfor aber das ganze Ensemble an Gebäuden offiziell übernehmen. «Weil wir uns Handwerker nur begrenzt leisten können, sind einige von uns derzeit mit der Restauration beschäftigt», sagt Erika Hiltbrunner, Leiterin der Forschungs- und Ausbildungsstation. Christian Körner hilft bei der Restauration tatkräftig mit. Er sagt: «Wir haben eines der Häuser innen renoviert. Vor Wochen sah es noch aus wie auf einer archäologischen Fundstätte. Inzwischen sind die metertiefen Löcher mit Kies gefüllt. Die Wände wurden verputzt und mit Mineralfarben ausgemalt.» Dereinst soll aus der ehemaligen Baracke Nummer 8 ein Ausstellungspavillon werden, der für die Öffentlichkeit offen sein wird.

Die Freude über ihre neue Station merkt man den Forschern an. «Wir sind mit der Universität Basel assoziiert. Die Mittel für die Gebäuderestauration verdanken wir aber privaten Gönnern, die den Verein Alpfor unterstützen», verrät Hiltbrunner. Voraussetzung für die Forschungstätigkeit am Furkapass ist aber die Unterstützung durch den Kanton Uri. «Der Regierungsrat schaut sich die Leistungen von Alpfor sehr genau an», sagt Christian Mattli, Generalsekretär der Bildungs- und Kulturdirektion. Und weiter:

«Die Forschungsstation bearbeitet Fragestellungen von grosser globaler Relevanz und die Brisanz ist wegen des Klimawandels noch erhöht.»

Während der Saison sind zwischen 6 und 10 Personen auf der Station tätig. Sie haben einen dicht gedrängten Zeitplan. Die Sommer im Gebirge sind kurz. Hiltbrunner zeigt auf eine unscheinbare weisse Röhre, die versetzt zur Station auf einem Hügel steht. «Diese Einrichtung erfasst den Stickstoffeintrag, der aus Schadgasen und dem Regen stammt und liefert einzigartige Daten für die Zentralalpen», sagt sie. Beim Stickstoff handelt es sich um eine Art unerwünschtem «Dünger aus der Luft». Im Tiefland gibt es Hunderte solcher Stickstoff-Messpunkte», sagt die Forscherin. Damit die Daten auch im Winter erhoben werden können, macht sich die promovierte Biologin in der kalten Jahreszeit mit Skiern auf den Weg zum hohen Punkt der Dauerbeobachtung.

Saurer Regen bedroht alpine Vielfalt

Eine halbe Gehstunde von der Forschungsstation entfernt, bietet Erika Hiltbrunner den Pflanzen auf zahlreichen Testflächen zusätzlichen Stickstoff an: 5, 10 und schliesslich 15 und 20Kilogramm pro Hektare und Jahr. Die Mengen sind klein. «Die höheren Werte übersteigen aber das, was heute in Städten mit dem Regenwasser auf die Pflanzenwelt herniederprasselt», so Hiltbrunner. In einer komplett unberührten Natur wären es aber nur etwa 0,5 Kilogramm an Stickstoff-Niederschlägen pro Jahr. Das beobachtete Resultat dieser unerwünschten, einseitigen Stickstoffdüngung ist eine «Trivialisierung der Flora», wie die Forscher sagen, also eine Verarmung der Vielfalt in der Pflanzenwelt. «Stickstoff fördert einige wenige, wüchsige Arten, die andere Pflanzen verdrängen. Die Biodiversität nimmt also ab.» Körner meint, dass der Mensch den Alpenpflanzen keinen Gefallen tut, wenn er ihnen zusätzlichen Stickstoffdünger anbietet.

Bei Alpfor wird dem Stickstoff grosse Aufmerksamkeit geschenkt und das hat Gründe. Christian Körner sagt:

«Der Begriff des globalen Wandels geistert durch alle Journale. Für die meisten ist der Begriff synonym mit der Klimaerwärmung. Für uns zwei bedeutet er viel mehr.»

Es sei die chemische Zusammensetzung der gesamten Atmosphäre, die sich weltweit verändere. Die hochkarätigen Forscher sind davon überzeugt, dass dabei dem Stickstoff eine noch bedeutendere Rolle zukommt als dem CO2.

CO2 ist für die Pflanzen kein Geschenk

CO2 hat wegen des Klimawandels einen schlechten Ruf. Zuweilen wird dem Treibhausgas aber auch eine förderliche Wirkung auf das Pflanzenwachstum zugeschrieben. Doch Hiltbrunner verneint. «Die Ergebnisse unserer achtjährigen Feldforschung zeigen, dass eine erhöhte CO2-Konzentration in der Luft keinen Einfluss auf das Pflanzenwachstum hat und sich sogar negativ auswirken kann.»

Kurzfristig sorgt mehr CO2 für mehr Mikroben, die den Pflanzen Nährstoffe entziehen. Von Gewächshausstudien, die einen gegenteiligen Effekt vermuten lassen, halten die beiden Forscher nichts: «Im Gewächshaus lässt sich fast alles simulieren», sagt Körner. Gäbe man beispielsweise zusätzlichen Dünger hinzu, könne das CO2 durchaus aktivierend wirken. «Fehlen aber die anderen chemischen Elemente, werden die Pflanzen das CO2 nicht verwerten.»

Wolken ziehen auf. «Wenn der Südföhn geht, trägt dieser die stickstoffhaltige Luft aus Mailand in nur sechs Stunden zu uns», sagt die Forscherin. Seit der Einführung des Katalysators hat sich die Stickstoff-Situation für die Pflanzen zwar verbessert. Dafür nahm die Freisetzung von Ammoniakstickstoff durch die Landwirtschaft zu. «Eine biologische Landwirtschaft ohne zusätzlichen Kunstdünger kann da eine Verbesserung bewirken», sagt Hiltbrunner. Die Forscher hoffen, dass die alpine Pflanzenwelt in ihrer Vielfalt weitere Millionen Jahre besteht.

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