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Flüeler Seeschüttung: Eine mehr als 500 Jahre alte Idee

Kolumnist Elias Bricker befasst sich mit dem Auffüllen des Sees – was Flüelen schon mehrmals zu mehr Platz verholfen hat.

Elias Bricker.
Bild: Bild: PD

Seit Anfang April wird in Flüelen wieder geschüttet. Wie bereits beim Bau der Neat-Basistunnels gelangt nun Ausbruchmaterial aus der zweiten Gotthard-Strassenröhre mit der Eisenbahn nach Flüelen. Dort wird das Material auf einen Nauen verladen und in der Nähe der Flüeler Vogelinseln in den See geschüttet. Dadurch entstehen im Urnersee neue Flachwasserzonen – also Gebiete, wo der See maximal zehn Meter tief ist, sodass Sonnenlicht auf den Seegrund gelangt. Diese Flachwasserzonen sind ein grosser Gewinn für Flora und Fauna.

Es gibt zu reden, dass nun mit dem Tunnelaushubmaterial «nur» alte Baggerlöcher gefüllt werden. Viele Flüelerinnnen und Flüeler hätten es gerne gesehen, wenn stattdessen eine Seeschüttung zwischen dem Bahnhof und dem ehemaligen Schiffsverleih Kaufmann realisiert worden wäre. Das hätte den Fussgängern und Velofahrern auf der schmalen Flaniermeile, die zwischen Bahnlinie und See eingeengt ist, mehr Platz verschaffen. Zudem hätte dadurch vielleicht ein schöner Badeplatz in Dorfnähe realisiert werden können.

Eine Seeschüttung zwischen Bahnhof und dem Kaufmann-Areal wurde in Flüelen schon vor rund 20 Jahren heiss diskutiert. 1999 gaben Gemeinde und Kanton nämlich eine entsprechende Machbarkeitsstudie in Auftrag. Die Geotechniker der ETH Zürich kamen damals zum Schluss, dass eine Seeschüttung technisch zwar möglich sei, es aber viele Fragezeichen gäbe. Unter anderem äusserten sie Bedenken, dass das Bahntrassee oder Häuser im Dorf Schaden nehmen könnten. Das Projekt wurde deshalb nicht mehr weiterverfolgt. Der Altdorfer Landrat Oskar Blöchlinger nahm 2005 zwar nochmals einen Anlauf und reichte einen von 49 Landratsmitgliedern unterzeichneten Vorstoss ein – jedoch ohne Erfolg.

Die Idee, dass Flüelen dank einer Seeschüttung mehr Platz erhält, ist sogar schon uralt: Vor fünf Jahren untersuchten Archäologen das Gebiet um die Ochsengasse und dem ehemaligen Hotel Weisses Kreuz akribisch. Sie fanden heraus, dass im Mittelalter zwischen der Felswand in der Ochsengasse – also der Fluh, der Flüelen ihren Namen verdankt – und dem See lediglich ein 35 Meter breiter Landstreifen existierte. Erst um 1500 begann der Ausbau der Hafenanlagen. Dazu wurde das Gelände im Bereich des ehemaligen Hotels Weisses Kreuz und des «Urnerhofs» im See aufgeschüttet. Die Seeschüttung kann sehr genau datiert werden, denn die Archäologen fanden Baumstämme, die 1498 geschlagen worden waren. Wie die damalige Baustelle ausgesehen hatte und dass sie sich über mehrere Jahre oder Etappen dahinzog, darüber können wir nur spekulieren.

Im 19. Jahrhundert veränderte sich Flüelen und erneut wurde geschüttet – und zwar in mehreren Etappen. In den 1830er-Jahren wurden wegen den aufkommenden Dampfschiffen neue Quaianlagen in den See hinein gebaut. Zwischen 1848 und 1855 wurden weitere Seeschüttungen realisiert – bei der Alten Kirche sowie in der «Unteren Bucht», also im Bereich zwischen dem ehemaligen «Hirschen» und dem Haus Sigrist.

Es wurde nämlich Platz benötigt, um das viele Holz, das der Dampfschiffbetrieb benötigte, zentral zu lagern. Beim Bau der Gotthardbahn landeten schliesslich grosse Mengen von Tunnelaushubmaterial im See. In Flüelen wurde die ganze Gleisanlage zwischen Bahnhof und Holzplatz in den See hineingeschüttet. In Sisikon wurden zur gleichen Zeit ebenfalls kleinere Buchten verfüllt – ganz zum Unmut der Einheimischen, die dadurch windgeschützte Anlegestellen für ihre Schiffchen verloren.

Der Blick zurück in die Geschichte zeigt: Boden war in Flüelen schon immer ein rares Gut. Dank visionären Seeschüttungen konnte das Hafenstädtchen aber immer wieder ein wenig wachsen. Ich bin deshalb überzeugt, dass die aktuelle Seeschüttung, die zwar «nur» alte Baggerlöcher füllt, bestimmt nicht die letzte ist. Die nächste Tunnelbaustelle kommt bestimmt.

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