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Zug

Filmdoku: Überleben in der Hölle Accras

In Ghana landet Elektromüll aus der Ersten Welt. Er ist Lebensgrundlage der Menschen am untersten Ende der globalen Wertschöpfungskette. «Welcome to Sodom» lässt tief in diese Welt blicken. Der Film läuft in Zug.
Lodernde Feuer und giftiger Qualm: Die Menschen, die auf Accras Schrotthalde arbeiten, werden nicht alt. (Bild: PD)

Andreas Faessler

Noch vor knapp zwei Jahrzehnten war Agbogbloshie eine reizende Gegend mit blühender Vegetation und einem beliebten Bauernmarkt am Rande der ghanaischen Hauptstadt Accra. Heute ist es eine brennende Hölle, einer der dreckigsten Orte der Welt. Agbogbloshie ist Endstation von jährlich einer Viertelmillion Tonnen Elektroschrott geworden – aus aller Welt hierhin verfrachtet, illegal. Für Tausende Menschen ist die Schrotthalde täglicher Arbeits- und Wohnort. Sie holen verwertbares Metall aus dem Elektroabfall. Um den Vorgang zu vereinfachen, verbrennen sie die Geräte, bis das rezyklierbare Metall übrig bleibt. Meist kriegen die Arbeiter für ihre Ausbeute gerade mal so viel Geld, dass es für eine Mahlzeit reicht. Es sind apokalyptische Bilder: Ganz Agbogbloshie ist dauerhaft in giftigen schwarzen Rauch gehüllt, der Boden kontaminiert mit Dioxinen, Chlor und anderen Stoffen, die für Mensch und Tier brandgefährlich sind und in den Nahrungskreislauf gelangen. «Sodom» nennen die Menschen die Müllhalde, welche ihnen Schicksal und Heimat zugleich ist.

Mit ihrer bewegenden Doku «Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier» von 2018 gewähren die beiden österreichischen Filmemacher Florian Weigensamer und Christian Krönes schonungslose Einblicke in den Alltag von Accras Schrottarbeitern. Sie wollen die Wegwerfgesellschaft sehen lassen, wo ein grosser Teil ihrer Altgeräte potenziell landet und was sie damit dem Drittweltland indirekt zumuten. Mit kräftigen Bildern dokumentieren sie die für uns unvorstellbaren Zustände von Agbogbloshie. Die beiden Regisseure haben Menschen auf der Schrotthalde mit der Kamera begleitet und zeichnen damit rührende kleine Porträts inmitten einer lodernden Gifthölle. Es gibt solche, die haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden und hoffen auf ein besseres Leben nach dem Tod. Und es gibt die Entschlossenen, welche nach dem gesegneten Norden streben, denn für sie ist klar: «In diesem Afrika gibt es nichts mehr für uns.» Und dann gibt es noch solche, die in «Sodom» eine Art Refugium gefunden haben, etwa ein homosexueller studierter Mediziner aus Gambia, der sich vor den menschenunwürdigen Gesetzen seiner Heimat auf Accras Schrotthalde gerettet hat, wo «niemand Fragen stellt». Beeindruckend ist, wie viele der vitalen jungen Männer und Frauen sich trotz ihres unerträglichen Alltags in kleine Freuden flüchten, indem sie tanzen, musizieren oder sich schlicht in ihren Träumen verlieren.

Und doch wird Agbogbloshie zum Symbol von vielerlei Elend in der Dritten Welt. Elend, das die Menschen zuhauf in den Norden treibt in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Denn eines ist so sicher wie das Amen im Gebet: In «Sodom» wird niemand alt.

Reflexion auf die globalisierte Gesellschaft

Weigensamer und Krönes setzen die Hölle Accras authentisch in Szene mit kräftigem, zuweilen verstörendem Bildmaterial. Die Stimmen der Porträtierten erklingen ausschliesslich aus dem Off, was die Eindrücke verstärkt. Intensivierende Soundkulissen überzeichnen die Dramatik jedoch wiederholt allzu sehr. Auch in einer akustisch reduzierten Form würde das knapp 90-minütige Filmdokument seinen vollen Effekt entfalten.

Im vergangenen August hat «Welcome to Sodom» den Schweizerischen Wirtschaftsverband der Informations-, Kommunikations- und Organisationstechnik (Swico) auf den Plan gerufen, nachdem «10 vor 10» einen Beitrag über den Film ausgestrahlt hatte, in dem der Eindruck erweckt worden ist, dass auch die Schweiz Elektroschrott illegal nach Ghana verfrachtet. Swico als Betreiberin des nationalen Rücknahmesystems für ausrangierte Elektrogeräte reichte eine Beschwerde ein. Ob in Westafrika auch unsere Handys, Computer, Kühlschränke ... unter unmenschlichen Bedingungen ausgeweidet werden, bleibt offen, und auch der Film beantwortet diese Frage nicht. Aber er rüttelt auf und appelliert die Wohlstandsgesellschaft zum Überdenken des eigenen Konsumverhaltens. Denn vielleicht ist es mit dem Entrichten der obligatorischen Recyclinggebühr beim Kauf eines neuen Elektrogerätes nicht getan, um unser Gewissen zu beruhigen.

Die Filmemacher sehen ihre Doku als Reflexion auf die globalisierte Gesellschaft. Anklagen wollen sie damit nicht, wie sie selber betonen, sondern fassen es in einem Satz zusammen: «Wir wollen den Zuschauern mit diesem Dokumentarfilm die Elektromüllproblematik der Ersten Welt und ihre Auswirkungen in der Dritten Welt vor Augen zu führen.» Das ist ihnen gelungen.

Der Fliz Filmclub Zug zeigt «Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier» am Montag, 11. Februar, im Kino Gotthard, Zug. Saalgast ist an diesem Abend Amanortey Kisseih, Line Producer vor Ort in Accra.

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