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Interview

«Es braucht mehr Medienbildung in unserer Gesellschaft»

Marlis Prinzing war diese Woche am Medienbildungstag der Kantonsschule Reussbühl. Im Interview erklärt sie, was die Jugendlichen derzeit beschäftigt und warum ein verantwortungsbewusster Umgang mit Medien wichtig ist.

Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing.
Bild: Bild: Martin Jepp

Wie haben Sie den Medienbildungstag erlebt?

Marlis Prinzing: Ich finde es hervorragend, dass es einen solchen Anlass gibt. Grundsätzlich braucht es mehr Medienbildung in unserer Gesellschaft. Studien zeigen, dass viele Menschen keine präzise Vorstellung davon haben, was Journalismus ist und warum er gerade in einer digitalen Gesellschaft für jeden von uns so wichtig ist. Viele wissen nicht, wie man solide gemachte Nachrichten von sogenannten Fake News, die uns manipulieren sollen, unterscheiden kann. Durch den Medienbildungstag konnten sich einerseits die Lehrpersonen mit solchen Fragen auseinandersetzen und sie können diese künftig im Unterricht einbringen. Und andererseits wurde mit den Fünftklässlern eine Altersgruppe angesprochen, die bald ihre demokratische Aufgabe, nämlich das Wählen, wahrnehmen kann.

Was beschäftigt diese Altersgruppe derzeit im Medienbereich besonders?

Das ist vor allem die künstliche Intelligenz. In den Diskussionen ging es darum, wie man sie einsetzen und wie sie im Alltag helfen kann. Ich habe aber auch gespürt, dass manche Medien Ängste in Bezug auf KI schüren und eine düstere Zukunft darstellen. Die Jugendlichen fragen sich, ob künstliche Intelligenz uns einmal ersetzen wird.

Und wird sie?

Nein. Dahinter steckt keine «starke KI-Technik», die mit Menschen vergleichbar wäre. So etwas gibt es bislang in der Wirklichkeit gar nicht. Es gibt lediglich Instrumente, die auf «schwacher KI-Technik» beruhen, also Menschen unterstützen und etwa bestimmte Routineaufgaben ausführen können. Es ist wichtig, dass man sich dessen bewusst ist. KI ist ein Werkzeug, und man muss lernen, damit umzugehen und die Risiken und Chancen zu erkennen. Es ist wie ein Hammer – man muss auch zuerst wissen, wie man ihn benutzen kann. So kann man die Angst vor dem Werkzeug nehmen.

Die Fähigkeit, verantwortungsbewusst mit Medien umzugehen , heisst auch Medienkompetenz. Wie geübt sind Schülerinnen und Schüler darin?

Das ist sehr unterschiedlich. Einige kennen sich sehr gut aus und andere konsumieren, ohne gross darüber nachzudenken. Es ist wichtig, dass Jugendliche verstehen, wie beispielsweise der Algorithmus bei sozialen Medien funktioniert. Also, dass emotionale oder empörende Inhalte nach oben gespült werden. Wenn man erkennt, dass man Teil eines Geschäftsmodells ist, kann man selbstbestimmter agieren.

So gehen Kantonsschulen mit Medienbildung um

Auch an den anderen Luzerner Kantonsschulen wird Medienbildung thematisiert. Bei den meisten ist es ein fester Bestandteil im Lehrplan. In Willisau werden zudem verschiedene Aspekte an Blocktagen oder Studienwochen thematisiert. In Beromünster widmen sie jährlich zwei ganze Sonderwochen dem Thema Medienbildung. An der Kanti Musegg und der Kanti Seetal wird Medienbildung auch an Elternveranstaltungen thematisiert. Bei Letzterer wird in einer Aktionswoche die Reflexion des eigenen Mediengebrauchs bei den Lernenden angestrebt. Und in Luzern gibt es nebst den bereits erwähnten Programmen das Freifach Medienpraxis. Die Kanti hat ausserdem ein Medienbildungscurriculum, in welchem Lehrpersonen die Medienkompetenzen der Lernenden für verschiedene Klassenstufen finden. Die Kantonsschulen weisen darauf hin, dass aktuelle Entwicklungen wie künstliche Intelligenz (beispielsweise ChatGPT) laufend in die erwähnten Gefässe eingebunden werden.

Welche weiteren Gründe gibt es, dass Medienkompetenz vermittelt werden soll?

Durch Social Media sind Jugendliche heute vielerlei Kriegs- und Krisenthemen unmittelbar ausgesetzt. Oder auf Instagram gibt es Filter, mit denen man sein Aussehen optimieren kann, sodass manche ihr echtes Bild im Spiegel nur noch schwer ertragen. Das alles kann negative Gefühle auslösen. Um dies zu verhindern, muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie die Medien wirken. Übrigens ist das Bild von «Digital Natives» die grösste Irreführung überhaupt.

Weshalb?

Frage zurück: Warum soll jemand, der in ein bestimmtes Zeitalter hineingeboren wird, automatisch in der Lage sein, die Regeln, die Risiken und Chancen verstehen zu können? So können beispielsweise jene, die ins Zeitalter des Autos geboren werden, auch nicht sofort Auto fahren. Die jüngere Generation wird abgestempelt als «Digital Natives», obwohl auch sie Medienkompetenz erst erlernen muss.

Welche Rolle nehmen die Schulen bei der Vermittlung von Medienkompetenz wahr?

Eine sehr grosse, da die Lehrpersonen viel Zeit mit den Lernenden verbringen. Es ist wichtig, dass die Jugendlichen in der realen Welt abgeholt werden. Das Medienverhalten sollte thematisiert werden, und Fähigkeiten, wie man Faktenchecks und Quellenüberprüfungen macht, sollten vermittelt werden.

Die Medienwelt wird immer komplexer. Welche Herausforderungen sehen Sie künftig auf die Jugendlichen zukommen?

Es gibt Gruppen, insbesondere jüngere Menschen, die Nachrichten bewusst aus dem Weg gehen, weil sie entweder schlechte Laune verursachen oder überfordernd wirken. Doch sie dürfen sich nicht der Realität verschliessen. Die Aufgabe des Journalismus ist es daher, die Menschen grundsätzlich zu befähigen, mit Krisen umzugehen und sie resistenter zu machen. Denn auch negative Nachrichten gehören zur Realität.

Die Medienwissenschaftlerin, Dozentin und Journalistin Marlis Prinzing forscht seit Jahrzehnten im Bereich der Medienethik. Sie stammt aus Süddeutschland und studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Mathematik.

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