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Obwalden

Es braucht eine Debatte über die Ausrichtung des Tourismus in Engelberg

Mit dem Millionenprojekt auf dem Titlis wollen die Bergbahnen den Individualtourismus fördern. Davon kann das ganze Dorf profitieren, wie der Coronasommer zeigt. Doch geht die Strategie weit genug oder soll Engelberg auf den Massentourismus verzichten? Darüber braucht es eine öffentliche Debatte.
Titlis Rotair. (Pd / Obwaldner Zeitung)

Christian Glaus

Christian Glaus

Am 27. September werden die Engelberger der Sondernutzungszone für das Grossprojekt Titlis 3020 zustimmen. Alles andere wäre eine faustdicke Überraschung. Zu wichtig sind der Tourismus und die Titlisbahnen mit bis zu 300 Angestellten für das Klosterdorf. Die Möglichkeit der Mitwirkung bei der Ausgestaltung der Sondernutzungszone haben die Engelberger ungenutzt verstreichen lassen. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Entweder ist ihnen egal, was auf dem Titlis gebaut wird, oder sie finden das Projekt derart überzeugend, dass sie eine Mitwirkung für unnötig halten. Zu hoffen ist, dass immerhin die Stimmbeteiligung am Abstimmungssonntag hoch ist. Nicht nur als positives Signal für die Titlisbahnen, welche auf dem Berg rund 110 Millionen Franken investieren wollen. Sondern auch, weil es die letzte Chance der Engelberger ist, in einem demokratischen Verfahren Stellung zu nehmen.

Nach der Volksabstimmung liegt der Ball bei den Titlisbahnen, den Behörden und den Umweltverbänden. Die Bevölkerung hat wohl keine Möglichkeit mehr mitzureden, auch nicht mittels Einsprachen. Weil es auf dem Berg keine Nachbarn gibt, ist ausser Verbänden mit grösster Wahrscheinlichkeit niemand einspracheberechtigt, wobei diese Frage noch nicht restlos geklärt ist. Es liegt an WWF, Pro Natura & Co., zusammen mit den Titlisbahnen für ein ausgewogenes Projekt zu sorgen, unter dem Landschaft und Umwelt so wenig wie möglich leiden.

Anteil der Reisegruppen soll sinken

Langfristiges Ziel der Titlisbahnen ist es gemäss Projektunterlagen, die Gästezahlen gegenüber der Saison 2017/18 um fast 10 Prozent auf 1,35 Millionen pro Jahr zu steigern. Mit dem von den Stararchitekten Herzog & de Meuron entworfenen Projekt wollen sie auch den Individualtourismus fördern. Künftig sollen Wintersportler, Einzelreisende und Gruppentouristen je einen Drittel ausmachen. In der Saison 2017/18 betrug der Anteil der internationalen Reisegruppen mit 517'000 Gästen fast 42 Prozent.

Diese Neuausrichtung geht in die richtige Richtung. Ob sie weit genug geht – darüber muss eine öffentliche Debatte stattfinden. Die aktuelle Krise zeigt, dass Engelberg – und vor allem die Titlisbahnen – mit dem Fokus auf Gruppenreisende besonders verletzlich sind. Die Übernachtungszahlen sind dramatisch eingebrochen, das Bahnunternehmen muss Kosten senken und Mitarbeiter entlassen. Gleichzeitig, und das ist das Paradoxe im Coronasommer, war das Dorf selber so belebt wie noch selten zuvor, wie sogar der Tourismusdirektor eingesteht. Das Geschäft bei kleineren Hotels und beim lokalen Gewerbe laufe gut.

Familien entdecken Engelberg

Gäste aus der Schweiz und dem nahen Ausland haben diesen Sommer die Obwaldner Exklave entdeckt. Kinder tobten sich auf den Spielplätzen aus, wanderten mit ihren Eltern durch die Berglandschaft oder erlebten auf den Klettersteigen den einen oder anderen Adrenalinschub. Familien erkundeten eine ihnen zuvor unbekannte Region. Westschweizer besuchten das Klosterdorf – und waren erstaunt, weshalb so wenige ihre Sprache sprechen. Engelberg, das wurde vielen Gästen bewusst, ist nicht den Touristengruppen vorbehalten, sondern eine gute Familiendestination.

Klar, ganz ohne Gruppentourismus kommen Engelberg und die Titlisbahnen auch in Zukunft nicht aus. Die Reisegruppen sorgen für eine solide Grundauslastung und sind vor allem während Schlechtwetterphasen willkommen, weil die Schweizer dann zu Hause bleiben. Trotzdem zeigt der Coronasommer, dass die Region von einer Neuausrichtung profitieren könnte. Glückliche Gäste aus der Schweiz und dem nahen Ausland, die regelmässig zurückkehren, sind nachhaltiger als ausländische Reisegruppen mit dem eigenen Catering im Schlepptau. Das Grossprojekt Titlis 3020 kann Engelberg zu einem nachhaltigeren Tourismus verhelfen. Zum Erfolg wird es aber nur, wenn die ganze Region dahinter steht – und wenn es einher geht mit der Aufwertung der Landschaft.

Die Geschichte der Titlis-Bergbahnen in Bildern:

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