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Dürfen wir trotz all der Krisen feiern?

Die vielen aktuellen Krisen und schlechten Nachrichten erfordern von uns mehr Zuversicht, Weitsicht und Disziplin. Doch sie haben auch etwas Gutes. Denn meist bringen sie etwas ins Rollen, das zuvor lange stillstand.

Das Letzte, worüber man sich um die Festtage Gedanken machen will, sind Krisen. Doch beherrschen sie unsere Aufmerksamkeit und dominieren die Nachrichtenflut. Es braucht nicht mal einen Krieg. Es reicht manchmal schon, dass ein Kindergarten niederbrennt, mit dem man emotional eng verbunden ist – wie jüngst in Winterthur. Schlechte Nachrichten bedrücken. Sie hemmen uns in der Entfaltung einer positiven Grundhaltung, die uns letztlich die beste Lebensnahrung gibt.

Darf man trotz all der Krisen feiern? Ja. Krisen gehören zum Leben, im Kleinen wie im Grossen. Permanente Krisen sind normal. Wirtschaftshistorisch ist eine Phase ohne Krisen atypisch. Zugleich bleibt festzuhalten, dass Krisen häufig transformative Katalysatoren für Fortschritt sind. Denken Sie mal an die Beschleunigung der Digitalisierung während der Coronakrise – in der Schule, in der öffentlichen Verwaltung und in zahlreichen Unternehmen. Oder die Energiekrise von 2022: Stehen wir nicht inmitten einer wohltuenden Beschleunigung von Projekten, die jahrelang blockiert waren?

Das Wissen ist häufig vorhanden, nur zur konsequenten Handlung fehlt oftmals der Mut. Die mRNA-Technologie lag als Erfindung jahrzehntelang brach. Es brauchte die Pandemie, um daraus innert weniger Wochen einen wirksamen Coronaimpfstoff zu entwickeln. Insgesamt fünfzig lange Jahre hielten die Deutschen ihre Pläne für Flüssiggas- und Wasserstoff-Anlegestellen schubladisiert und die Amerikaner wiederholt für schlechte Verkäufer mit ihrer prophetischen Mahnung, diese Projekte endlich zu realisieren. Stattdessen faltete man mit Angela Merkel gemeinsam die Hände und klammerte sich an die Hoffnung ans «ewige» Gas aus Russland zu Discountpreisen. Letztlich erwies sich dies als verlorene Illusion.

Unter Krisendruck zeigte die Bundesrepublik, dass sie sich bewegen kann. Innert 194 Tagen konnte jüngst ein grossartiges Bauwerk in Wilhelmshaven mit dem Eintreffen des norwegischen Flüssiggasschiffs Höegh Esparanza eröffnet werden. Bald folgen noch jene in Brunsbüttel und Lubmin, und so erweist sich der russische Angriffskrieg, wie Bundeskanzler Olaf Scholz konstatiert, «als Katalysator bei all dem, was ohnehin getan werden muss». Ich wünschte mir, dass als Lehre daraus entschlossener über den Abbau von Bürokratie nachgedacht und schnellere Genehmigungsverfahren verwirklicht werden. Über dreissig Jahre lang wurde in der Schweiz die Erhöhung der Staumauer am Grimsel blockiert, und plötzlich kommt unter dem Druck der Energiekrise doch etwas ins Rollen.

Die Oberaarsee Staumauer und der Oberaarsee auf der Grimsel bei Guttannen.
Bild: Bild: Gaetan Bally / Keystone (18. Juni 2021)

Krisen haben gerade deshalb immer wieder eine gute Seite. Sich den globalen Widrigkeiten zu stellen, fördert die Grundhaltung, die eigenen Stärken zu stärken. Je grösser die Krise, desto rascher kommen die Agilität und Anpassungsfähigkeit westlicher Unternehmen und Länder zum Tragen. Jammern, das in Selbstmitleid mündet, hilft nicht weiter. Vielmehr zeigen starke Staaten, wie resilient eine gesunde Gesellschaft und eine robuste Wirtschaft sind. Darauf basiert mein Optimismus auch heute.

Aus anlegerischer Betrachtung gilt es noch zu ergänzen, dass die Nachrichtenflut gewiss kein guter Anlageratgeber ist. Nachrichten sind nie ausgewogen zwischen positiv und negativ; wirklich verkaufen lassen sich nur schlechte Nachrichten. Der Niedergang der «Glücks-Post» zeigt dies anschaulich. Der grösste Performancefeind ist übrigens der Anleger selbst und dessen kurzfristiges Denken bei einer negativen Nachrichtenlage. Die Permakrisen erfordern vielmehr Zuversicht, Weitsicht und Disziplin, langfristig investiert bleiben. Sie erwiesen sich stets als die herausragenden Eigenschaften, welche jeder Generation immer wieder zu Reichtum verholfen hat.

Maurice Pedergnana ist Professor für Banking und Finance an der Hochschule Luzern und Studienleiter am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ).

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