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Altdorf

«Die Landschaftsgärtner» von 1969: Der Film schockiert und provoziert

Das Institut Kulturen der Alpen zeigte den Film «Die Landschaftsgärtner» im Kino. Der 1969 entstandene Thesenfilm stellt das Schächental als Entwicklungsgebiet dar. Entsprechend harsch waren die Reaktionen des Publikums.

Der Film gewährte unter anderem Einblick in den Alltag der Familie Arnold («Nidliger») aus Unterschächen.
Bild: Bild: PD

Das Publikum im Cinema Leuzinger in Altdorf erhielt am Mittwochabend schwere Kost vorgesetzt: Ein 34-minütiger Thesenfilm, entstanden 1969 in Unterschächen und auf dem Urnerboden. Der Zürcher Filmemacher Kurt Gloor hielt damals das Leben auf den Schächentaler Alpen mit der Kamera fest. Doch Gloor wollte mit dem Film «Die Landschaftsgärtner» keineswegs so idyllisch zeigen, wie Heimatfilm und Folklore das Landleben damals inszenierten. Stattdessen stellte er die Bergwelt als Entwicklungsgebiet dar. Eine Stimme aus dem Off bezeichnete die Alpentäler als «krank», die Bergbevölkerung als ungebildet und mangelernährt. Und überhaupt sei die Situation vielerorts schlicht aussichtslos, erbärmlich und beelendend.

Die Urner Berglerinnen und Bergler werden in diesem Film wahrlich nicht schmeichelhaft dargestellt. Doch warum macht jemand einen solchen Film? Was soll das? Und warum bringt nun ausgerechnet das Urner Institut Kulturen der Alpen an der Universität Luzern – in Zusammenarbeit mit dem Cinema Leuzinger – diesen mehr als fünfzig Jahre alten Film wieder auf die Leinwand? Das benötigte Klärungsbedarf.

Filme prägten das Image der Berggebiete

Im Anschluss an die Studiofilmvorführung fand ein Podiumsgespräch statt. Dabei diskutieren Kurt Schuler (Präsident Korporation Uri), Frieda Steffen (alt Landrätin Andermatt) mit Jon Mathieu (renommierter Alpenforscher, emeritierter Titularprofessor für Geschichte an der Universität Luzern). Romed Aschwanden (Geschäftsführer des Instituts Kulturen der Alpen) leitet das Podium.

Aschwanden erläuterte einleitend, dass sich das Institut Kulturen der Alpen unter anderem mit der Geschichte der Alpenregionen beschäftige. Dazu gehöre auch die Auseinandersetzung mit Bildern, die sich die Menschen vom Bergebiet machen würden. Der Film ist dabei ein Medium, das die Wahrnehmung der Welt stark präge. Deshalb zeige das Institut diesen Film.

Die Podiumsteilnehmer und die -teilnehmerin (von links): Kurt Schuler, Frieda Steffen, Jon Mathieu und Romed Aschwanden.
Bild: Bild: Elias Bricker (Altdorf, 16. November 2022)

«Heute sind die Alpen Sehnsuchtsort.»

Die Podiumsteilnehmenden zeigten sich leicht schockiert darüber, was sie zu sehen bekamen. «Bild und Ton stimmen in diesem Film nicht überein», sagte Frieda Steffen. «Die Off-Stimme will uns Elend vermitteln. Ich sehe aber glückliche Menschen.» Zudem verwies sie darauf, dass im Film kein einziger Bauer und keine Bäuerin zu Wort kommt. Stattdessen rezipiere der Sprecher Zitate von Soziologen, Politikern, Wissenschaftlern und Schriftstellern. Sogar Zitate von Che Guevara werden herbeigezerrt, um die Situation in den Schweizer Bergen zu analysieren.

«Der Film ist eine einzige Provokation», sagte Alpenforscher Jon Mathieu. Er lehne sich auf gegen die damaligen Alpenklischees der vorderen Réduit-Generation. Deshalb habe Kurt Gloor sein Werk dem Regisseur Franz Schnider gewidmet, der mit seinen Gotthelf-Verfilmungen die ländliche Schweiz als heile Welt dargestellt hatte. «Der Film sagt wenig aus über die Gezeigten, dafür umso mehr über Kurt Gloor selber und die damalige Zeit.» «Die Landschaftsgärtner» sei ein Kind der 1968er-Bewegung.

«Was wollte Kurt Gloor mit diesem Film der Gesellschaft mitteilen?», fragte sich Kurt Schuler. «Wollte er die Politik zum Handeln auffordern? Gut möglich.» Handlungsbedarf habe es damals im Berggebiet schon gegeben. Auf dem Podium diskutierten die Teilnehmenden deshalb auch darüber, dass die Subventionspolitik des Bundes in den Bergregionen erst in den 1970er-Jahren stärker zum Tragen kam. Diese Geldflüsse hätten letztlich Innovation gebracht. «Es freut mich zu sehen, dass sich vieles auch zum Besseren entwickelt hat», sagte Schuler. «Heute würde niemand mehr die Alpen als Entwicklungsland darstellen, heute sind die Alpen Sehnsuchtsort.» Frieda Steffen pflichtete bei: «Viele Leute möchten heute gerne wieder so einfach leben wie im Film.»

Protagonisten meldet sich zu Wort

Im Publikum sassen auch mehrere Schächentaler, die im Film zu sehen sind – einige von ihnen sahen «Die Landschaftsgärtner» zum ersten Mal. Stellvertretend für die Protagonisten redete Fridolin Arnold. Er versicherte, dass der Film keineswegs die damalige Realität zeige. Sicher hätten er und seine Geschwister in der Grossfamilie einfach gelebt. Mangelernährung und Elend seien aber definitiv keine Themen gewesen. «Wir fühlten uns damals pudelwohl.» Und ein weiterer Sprecher aus dem Publikum ergänzte: «Vielleicht müssten wir den Film einfach mal ohne Ton schauen. Die Bilder wären nämlich wunderschön.»

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