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Nidwalden

15 Personen sind auf die Zingelbahn angewiesen

In horrendem Tempo und in schwindelerregender Höhe mit bis zu 150 Prozent Steigung kommt die Zingelbahn in nur 90 Sekunden ins Ziel. Das alles ohne Strom: Es braucht nur Wasser und eine Backenbremse.
Das Bähnli erreicht die Bergstation Unter Zingel. (Bild: Ruedi Wechsler (Wolfenschiessen, 19. Juli 2018))
Anni Bünter füllt den Wasserbehälter der Wasserbahn. (Bild: Ruedi Wechsler (Wolfenschiessen, 19. Juli 2018))
Das Laufwerk in der Bergstation Unter Zingel. (Bild: Ruedi Wechsler (Wolfenschiessen, 19. Juli 2018))

Ruedi Wechsler

Ruedi Wechsler

Ruedi Wechsler

Für mich beginnt die Reise auf die Alp Zingel mit der Autofahrt via Engelberg nach Untertrübsee bis zur Alp Arni Stalden. Dort kreuzen sich die Wanderwege. Links zeigt die Wandertafel zum Widderfeld und rechts zum Storeggpass. Ich wähle den historischen Säumerweg von Engelberg ins Melchtal zur Alp Zingel auf 1500 Metern über Meer. Dort habe ich mit der Besitzerin von Alp und Seilbahn, Anna Bünter, abgemacht. Zu Besuch sind ihre Tochter Anita, die Enkel Tanja und Tom sowie Cousine Irma.

Soeben wird das Transportbähnli mit diversen Utensilien beladen. Dieses fährt parallel zur Zingelbahn in 15 Minuten ins Engelbergertal. Sie wurde 1999 von der Schweizer Armee der Familie Bünter verkauft und installiert. Anni Bünter startet nun den Dieselmotor und schickt die Fracht ins Tal zur Obermatt.

Das ist erst der Vorgeschmack auf die unvergesslichen Stunden auf der Zingelalp. Im kleinen Geländewagen, über eine steile, holprige Strasse, gelangen wir zum Wendeplatz Chrämergädili. Ein halbstündiger Fussmarsch bringt uns zur Alp Unter Zingel. Wir machen es uns im schmucken und rustikalen Wohnhaus gemütlich. Anni Bünter ist in Kerns aufgewachsen und hat sechs erwachsene Kinder. Ein Sohn führt den Hof in Kerns und Tochter Cony unterstützt ihre Mutter normalerweise während des Sommers auf der Alp. Momentan sei sie noch in der Reha.

Alpen sind nicht ungefährlich

Genau vor einem Jahr ereignete sich auf der Alp Zingel während eines heftigen Unwetters ein Drama. Die leidenschaftliche Bäuerin berichtet, wie gefährlich es auf den Alpen sein kann: «Cony suchte während des Gewitters mit dem Geländewagen drei Schafe und verfrachtete sie hinten in den Pickup. Gleichzeitig schlug ein Blitz in den oberen Felsen ein. Vor und hinter ihr donnerten Felsbrocken ins Tal. Tom, ihr Neffe, der neben ihr sass, schrie, dass Steine in ihr Auto einschlugen. Einer davon traf Cony an der Hand am Steuer und trennte ihr den Daumen ab.»

Dann begann die dramatische Rettung: «Der Arzt vom Spital in Luzern empfahl, den Daumen sofort in Hagelkörner zu wickeln. Die Rega konnte wegen des Unwetters nicht nach Luzern fliegen, sondern nur zur Mettlen. Die Sanität fuhr die Schwerverletzte nach Luzern, wo der Daumen leider nicht mehr gerettet werden konnte».

Bahn ersetzt langen Schulweg

Familie Bünter kaufte die Bahn von Unter Zingel nach Obermatt und die verlotterte Alp vor 25 Jahren von den Gebrüdern Mathis aus Wolfenschiessen. Die Zingelbahn wurde 1923 vom bekannten Seilbahnbauer Remigi Niederberger gebaut. Für die Bewohner war es damals eine grosse Erleichterung. Die Kinder hätten sonst den weiten Schulweg zu Fuss nach Engelberg wählen müssen. Der Weg ist im Winter unpassierbar.

Heute sind etwa 15 Personen auf die Bahn angewiesen. Sie dient ebenfalls Hans Utzinger, der die Alp Unter Zingel gepachtet hat. Mit einer Steigung von bis zu 150 Prozent führt die Bahn in nur 90 Sekunden ins Tal – und das ganz ohne Strom, wie mir die Gastgeberin bei der Bergstation Unter Zingel demonstriert. «Will ich nach unten fahren, muss ein ‹Maschinist› die Backenbremse bedienen. Es gibt nur wenige Personen, dich mich seilen dürfen».

Anders ist es mit der Bergfahrt: «Möchte ich hoch zur Bergstation, erfolgt die Kommunikation durch mehrmaliges Klopfen mit einer Holzstange an das Tragseil.» Im Haus auf der Alp Unterzingel ertönt dann das «Telefon». Es ist ein Draht, der von der Bergstation zum Wohnhaus gespannt ist und die Schwingungen des Tragseils in die Stube überträgt. Daran hängen drei Holzlöffel, die zusätzliche Geräusche auslösen. Bevor die Zweiseilpendelbahn gestartet werden kann, füllt Anni Bünter den Wassertank, der 100 Liter fasst. Das Wasser bezieht sie vom Reservoir. Zwei Gabeln mit Rädchen berühren bei der Ankunft der Bahn in der Talstation den Boden und entleeren den Tank automatisch.

Gefrorenes Wasser blockierte die Bahn

«An einem kalten Wintertag war das Wasser nicht ganz ausgelaufen und es bildeten sich Eisbrocken», weiss Anni Bünter zu berichten. «Das Bähnli war somit überladen und nur durch mühsame Handarbeit am Seil und Rad konnte mich der ‹Seiler› langsam runter lassen». Bei Wind, Blitz und Donner darf die Bahn auf gar keinen Fall benutzt werden. Die Wartung und die Kontrolle unterliegen einem jungen Holländer. Der Seilbahntechniker hat als regelmässiger Skifahrer in Engelberg die Bahn entdeckt und sich bei Familie Bünter gemeldet. Er hat das Seil gründlich geröntgt und es sei in einem einwandfreien Zustand.

Nach der halbstündigen Wanderung zurück zum Chrämergädili, das früher den Säumern und Älplern als Käse- und Fleischdepot diente, trennt sich unser Weg. Anni Bünter fährt mit dem Jeep hoch zum Zingel und ich wandere tief beeindruckt zurück zur Alp Arni Stalden.

Alle bisher erschienenen Beiträge der Sommerserie «Die kleine Bahn» finden Sie hier.

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