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Fussball-WM 2022

Während die Europäer auf die Binde verzichten, setzen die Iraner ihr Zeichen – und singen die Nationalhymne nicht

Weil in der Heimat die Menschen gegen das religiöse Regime auf die Strasse gehen, steht das iranische Nationalteam an der WM unter besonderer Beobachtung. Zum Auftakt sind die Iraner gegen England chancenlos – doch sie setzen ein politisches Zeichen.

Schweigen bei der Nationalhymne: die iranischen Fussballer.
Bild: Bild: Keystone

Und als sie dann da stehen, auf dem Rasen des Khalifa International Stadiums, nach all diesen Wochen, in denen jede Geste von ihnen gedeutet worden war und jedes Wort, da bleiben die iranischen Fussballer einfach stumm. Die Arme haben sie sich über die Schultern gelegt, den Blick richten sie starr geradeaus.

Und die Lippen bleiben versiegelt, die ganze Nationalhymne lang.

Viele iranische Zuschauer im Stadion feiern das, einmal zeigen die Fernsehkameras eine Frau, der Tränen über das Gesicht laufen. Es ist das Zeichen, das sich die Regimegegner erhofft haben. Schweigen statt singen. Volk statt Regime. So lautet die Gleichung in diesen Zeiten des Protests im Iran. Dort unterbricht das Staatsfernsehen, das wird später bekannt, die Übertragung, als die Fussballer nicht mitsingen.

Dort gehen die Menschen seit September auf die Strassen. Eine junge Frau, Mahsa Amini, war damals von der Religionspolizei in Gewahrsam genommen worden – und von dort nie mehr zurückgekehrt. Ihr Vergehen: Sie hatte das Haar nicht angemessen verhüllt.

Team Melli – oder Team Mullah?

Seither kämpfen Regime-Kritiker im Iran für Freiheit, dafür, dass Frauen mehr Rechte erhalten. Die Regierung reagiert mit Härte, um die 400 Iranerinnen und Iraner sind laut Nichtregierungsorganisationen bei den Protesten schon gestorben, mindestens, und Tausende verhaftet worden. Ein Riss geht durch die iranische Gesellschaft. Jeder muss in diesen Tagen Farbe bekennen. Und das gilt im sportbegeisterten Iran gerade auch für die Fussballer.

Das Nationalteam nennen sie dort eigentlich Team Melli, doch in der Vorbereitung auf die WM war auch mal vom Team Mullah die Rede, weil den Demonstranten die Unterstützung ihrer Fussballer fehlte, sie ihnen gar Nähe zum Regime unterstellten.

Team Melli – oder Team Mullah? Diese Frage hat die iranischen Fussballer durch die Vorbereitung auf die WM begleitet, sogar ihr Ausschluss wurde gefordert. Einfach kann das für sie nicht gewesen sein, auch wenn viele im Ausland unter Vertrag stehen. Doch natürlich haben alle ihre Verbindungen in die Heimat, Familie, Freunde.

Die klare Kante der Legenden Daei und Karimi

Wie es Sportlern ergehen kann, die sich gegen das Mullah-Regime stellen, haben die letzten Wochen im Iran gezeigt. Hossein Mahini, der 2014 noch für den Iran an der WM in Brasilien gespielt hatte, wurde festgenommen. Soroush Rafiei vom iranischen Klub Persepolis erging es gleich. Vier seiner Teamkollegen stehen im WM-Aufgebot von Carlos Queiroz, dem portugiesischen Trainer der iranischen Nationalmannschaft.

Mit Ali Daei und Ali Karimi haben sich zwei Grössen des iranischen Fussballs, die einst beide für Bayern München spielten, auf die Seite der Demonstranten gestellt. Daei hat eine Einladung der Fifa nach Doha abgelehnt. Die aktuellen Nationalspieler aber gaben vor der WM ein widersprüchliches Bild ab.

Iranische Fussballer zu Besuch bei Staatspräsident Ebrahim Raisi.
Bild: Bild: Keystone

Da war ein Besuch bei Staatspräsident Ebrahim Raisi, bei dem sich Spieler verbeugten und ein gemeinsames Foto entstand, das im Iran viel Aufregung verursachte. Da war ein umstrittener Torjubel von Stürmer Mehdi Taremi im Freundschaftsspiel gegen Uruguay, weil es mit dem Jubeln ist wie mit dem Singen in den Zeiten des Protests: Wer jubelt, setzt ein Zeichen. Wer es nicht tut auch, nämlich gegen das Regime.

Da waren aber auch die Worte von Spielern wie Stürmer Serdar Azmoun, der die Mullahs auf Instagram kritisierte – und schliesslich jene von Captain Ehsan Hajsafi, der am Tag vor dem Spiel gegen England sagte, dass die Spieler die Protestierenden unterstützen und mit ihnen sympathisieren.

Die iranischen Fussballer wirken, als sei das alles zu viel gewesen

Und dann kam das Spiel. Und die Spieler schwiegen, so, wie das vor ihnen schon andere iranische Sportler getan hatten. Team Melli statt Team Mullah. Vor dem Anpfiff klatschte der iranische Captain Hajsafi mit Harry Kane ab, dem englischen Anführer. Der hatte eigentlich die One-Love-Armbinde tragen wollen. So wollten sich verschiedene europäische Verbände für Frauen- und Menschenrechte und gegen Homophobie und Rassismus einsetzen.

So lautete zumindest der Plan. Bis dann die Fifa einschritt, mit gelben Karten und anderen Sanktionen – laut Medienberichten bis hin zu Punktabzügen – drohte. Das reichte, um die europäischen Verbände zum Einknicken zu bringen, den englischen, auch den deutschen, den dänischen, den schweizerischen, sieben insgesamt.

Die einen verzichten auf ein politisches Zeichen, weil die Fifa mit Sanktionen droht. Die anderen setzen ein Zeichen, obwohl sie nicht wissen, wie das autoritäre Regime in der Heimat darauf reagiert. Das ist die Geschichte, die von diesem Tag bleibt.

Doppeltorschütze Mehdi Taremi.
Bild: Bild: Keystone

Auf dem Platz wirken die Iraner dann so, als wäre das alles zu viel für sie gewesen, der Druck, die Aufmerksamkeit. Sie treten gegen England als Aussenseiter an, klar, aber wie sie dann auftreten, ist eine Enttäuschung. Am Ende verlieren sie mit 2:6, es hilft ihnen auch nicht, dass Taremi doppelt trifft. Und der Stürmer hat das Glück, dass sich die Frage nach dem Torjubel diesmal gar nicht stellt, weil er seine Tore beim Stand von 0:4 und 1:6 erzielt.

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