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Skispringen Engelberg

Kleine Schritte und kleine Schnitte: Das tapfere Schneiderlein im Schweizer Team

Ein 25. Platz von Gregor Deschwanden im zweiten Weltcupspringen von der Titlisschanze war das höchste der Gefühle vor Heimpublikum. Derweil sucht Cheftrainer Ronny Hornschuh Fortschritte auch an der Nähmaschine.

Der Schweizer Cheftrainer Ronny Hornschuh muss auch mit seinen Fertigkeiten an der Nähmaschine überzeugen.
Bild: Urs Flueeler / KEYSTONE

Die Messlatte liegt derzeit nicht allzu hoch. Als die Speakerin an der Titlisschanze beim zweiten Weltcupspringen verkündet, dass Gregor Deschwanden den Cut für den Finaldurchgang geschafft hat, brandet unter den gut 5000 Zuschauern im Stadion Jubel auf.

Letztlich schaut für den Zentralschweizer mit Platz 25 das beste Saisonergebnis heraus. Es sind die einzigen Schweizer Weltcuppunkte an diesem Wochenende. Simon Ammann versucht gar nicht erst, sich fürs zweite Springen zu qualifizieren. Killian Peier und Dominik Peter machen auf tiefem Niveau Babyschritte vorwärts. Peier fehlen nach Verletzungssorgen 200 Trainingssprünge, Peter Selbstvertrauen und Lockerheit.

Und Gregor Deschwanden sucht weiterhin die Unbeschwertheit des Sommers, als er mit den Besten der Szene mithalten konnte. Aktuell findet sich in praktisch jedem seiner Sprünge ein Fehler. «Und es macht die Herausforderung nicht kleiner, wenn man sich auf vier, fünf verschiedene Details fokussieren muss, anstatt einfach frei zu springen», sagt der 31-Jährige.

Der Anzug als grosser Faktor im Skispringen

Neben der fehlenden Form der Athleten hinkt die Schweiz im Vergleich zu den Weltbesten bei Saisonbeginn traditionell auch beim Material hinterher. Mit Abstand grösster Faktor ist seit Einführung des V-Stils der Sprunganzug. Je grösser die Tragfläche, desto mehr Luftpolster und letztlich Weite.

Nichts ist deshalb im Skispringen derart streng reglementiert wie der Anzug. Die Dicke, die Luftdurchlässigkeit, die Art des Materials und die Elastizität des Stoffs sind vorgeschrieben. Ja sogar die Länge des Reissverschlusses wird kontrolliert. Am genausten hingeschaut wird bei der Reserve im Umfang und bei der Spannung im Schritt.

Immer wieder werden deswegen bei der Materialkontrolle vor und nach dem Sprung Disqualifikationen ausgesprochen. In Engelberg erwischte es den Finnen Antti Aalto und den Polen Pawel Wasek, früher in der Saison wurde auch der grosse Kamil Stoch von der Schanze geholt.

Vier Teams bei Olympia disqualifiziert

Die grössten Schlagzeilen machten die Kontrolleure allerdings ausgerechnet bei Olympia in Peking, als während des Mixed-Teamspringens die vier Titelkandidaten Deutschland, Österreich, Norwegen und Japan disqualifiziert wurden. Als Konsequenz wurden die Regeln auf diese Saison hin wieder etwas grosszügiger ausgelegt. Neu darf zwischen Anzug und Körper maximal 4 Zentimeter spatzig sein.

Allerdings erlebten die Springer am Freitagmorgen, wenige Stunden vor dem Quali-Springen, eine kurzfristige Regelanpassung. Neu wird auch das Herumzupfen am Anzug unmittelbar vor dem Sprung – mit dem Ziel, die Spannung im Schritt zu verbessern – genau kontrolliert und untersagt. Offenbar litten zu viele Athleten vor dem Sprung an «Juckreiz».

So oder so ist die Materialschlacht rund um den Anzug so gross wie noch nie. Die führenden Nationen haben längst spezielle Schrittentwickler und Näherinnen permanent im Weltcup mit dabei. «Es wird in extremer Weise am Anzug getüftelt», sagt der Schweizer Ronny Hornschuh. Bei den Österreichern ist seit dieser Saison jene Frau Mitglied des Weltcuptrosses, die zuvor für die Schweiz als Näherin im Teileinsatz stand.

Der Chef persönlich setzt sich am Abend an die Nähmaschine

Das Schweizer Team muss auch hier kleinere Brötchen backen. Professionelle Korrekturen am Anzug, von dem ein Springer im Verlauf des Winters bis zu 25 Stück benötigt, sind nur zwischen den Events beim exklusiven Ausrüster Wams in Buchs möglich. Trotzdem ist die Nähmaschine steter Begleiter im Teambus. Und sie wird praktisch jeden Abend benötigt. Dabei ist jener Mann als Näher im Einsatz, welcher diese Technik als einziger im Weltcupteam beherrscht – der Chef persönlich.

Ronny Hornschuh greift nach Videostudium und Teambesprechung abends regelmässig zu Schere und Nadel. Er sagt, diese Tätigkeit habe er vor vielen Jahren als Trainer des deutschen B-Teams gelernt. Doch so entscheidend ein halber Zentimeter Stoff am richtigen Ort in dieser komplexen Sportart sein kann, Hornschuh gibt zu bedenken: «Auch in einem perfekt sitzenden Anzug braucht es noch den richtigen Athleten dazu.»

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