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WM 2022

Katar - ein Gastgeber in der Kritik

Der WM-Gastgeber Katar steht seit Monaten fast permanent in der Kritik. Das kleine, reiche Land am persischen Golf bietet viel Angriffsfläche.
Bild: KEYSTONE/AP/KAMRAN JEBREILI

Die Boykott-Aufrufe kamen in den letzten Jahren in immer kleineren Abständen. Dafür gibt es nachvollziehbare Gründe: Da ist die Vergabe des Turniers mit den Korruptionsvorwürfen im Dezember 2010, die unmenschliche Behandlung der Arbeiter während dem Bau der vielen Infrastruktur, die Gesetze gegen Homosexuelle, die Benachteiligung der Frauen, die fragile Pressefreiheit oder das für viele unzureichende ökologische Verantwortungsbewusstsein.

Kritik an die Adresse von Katar kam aus dem Sport, aus der Politik und von Menschenrechts- oder Umweltschutzorganisationen. Die Machthaber im Emirat sind teilweise darauf eingegangen: Die Situation der Migranten wurde gesetzlich verbessert, die Stadien wurden ökologisch verträglicher ausgerichtet als zunächst vorgesehen und zumindest für die Zeit während der WM heisst es: "Jeder ist willkommen", allerdings mit dem schwer zu definierenden Zusatz, man habe sich an die lokalen Gepflogenheiten zu richten.

Das grosse Vermögen

Katar zählt knapp 2,5 Millionen Einwohner, wovon nur etwa zehn Prozent den katarischen Pass besitzt. Das Land ist abhängig von Expats und von weniger privilegierten Migranten, um seine Entwicklung voranzutreiben. 1970 lebten bloss 100'000 Menschen im kleinen Emirat, das erst vor 50 Jahren von Grossbritannien unabhängig wurde und dank den Ölvorkommen in den letzten Jahrzehnten zu grossem Reichtum gekommen ist.

Seit Anfang der Neunzigerjahren sucht Katar gezielt den Kontakt zum Westen, er erlaubte auf eigenem Boden den Aufbau der grössten amerikanischen Militärbasis im Nahen Osten und investiert massiv in grosse Firmen und Immobilien. Der katarische Fonds, der wie das ganze Land von einer kleinen privilegierten Elite kontrolliert wird, verwaltet heute ein Vermögen von fast 500 Milliarden Dollar.

Investitionen in Sport und Kultur

Zu den Firmen, die sich im katarischen Portfolio befinden, gehören die Credit Suisse oder Glencore und - eher aussergewöhnlich - Paris Saint-Germain. Der französische Klub wurde vor gut zehn Jahren für 70 Millionen Franken gekauft, heute dürfte er mehr als 2,5 Milliarden Wert sein. Mit grossen Investitionen wurden die Stars angelockt: Zlatan Ibrahimovic, David Beckham, Kylian Mbappé, Neymar und zuletzt Lionel Messi gehören zu den wichtigsten Akquisitionen.

Die grossen Namen sorgen für den Erfolg auf dem Fussballfeld, aber wichtiger noch: Sie generieren Publizität. In den 48 Stunden nach der Verpflichtung von Messi gewann der Instagram-Account von PSG vier Millionen neue Follower. Paris Saint-Germain ist ein Mittel, um das Image von Katar zu beeinflussen. Aber auch die Austragung der Leichtathletik-WM und anderer Titelkämpfe sind Teil der Strategie. Kritiker nennen es "Sportwashing", Schönfärberei durch Sport-Marketing.

Der furchterregende Nachbar

Der Sport ist nicht nur für Katar, sondern auch für dessen härteste Konkurrenten im Nahen Osten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, ein Mittel, um sich in einem anderen, besseren Licht zu präsentierten. Die Emirate besitzen Manchester City, Saudi-Arabien seit kurzem Newcastle United. Zudem investieren alle drei Länder viel Geld, um Veranstaltungen zu organisieren, zum Teil auch für Sportarten, zu denen sie nur wenig Bezug haben. 2029 finden in Saudi-Arabien etwa die Asien-Winterspiele statt.

Das 200 Mal grössere und mit gut 220'000 Soldaten bedrohlich stark ausgerüstete Saudi-Arabien befindet sich seit Jahren im Wettkampf mit dem kleinen Nachbarn. Zwischen 2017 und 2021 führten die Saudis einen Boykott gegen Katar an, der aber fruchtlos endete. Gern hätte Saudi-Arabien etwa die Schliessung des katarischen Nachrichtensenders Al Jazeera erzwungen, der über die ganze Region sehr kritisch berichtet. Eine Ausnahme macht der Sender nur, wenn es um die Innenpolitik im eigenen Land geht.

Katarisches Unverständnis

Katar ist ein Land der Gegensätze. Es will alles kontrollieren und gleichzeitig offen sein. Es muss in seiner konservativen, streng religiösen Region akzeptiert sein und gleichzeitig im Westen nicht anekeln. Vieles wurde unternommen, um diesen Spagat zu schaffen. Dabei wurden auch fragwürdige Methoden angewendet, um sich die Gunst der Öffentlichkeit zu sichern oder Gegner zu diskreditieren.

Die Kritik verstummte aber nicht. Sie wurde von Woche zu Woche sogar immer lauter. In Katar stossen die Vorbehalte gegen den WM-Gastgeber auf Unverständnis. Scheich Tamim Hamad Al-Thani sprach Ende Oktober von einer "beispiellosen Kampagne", die gegen sein Land geführt werde. Erfundenes und Doppelmoral seien unter anderem Antreiber der Kampagne.

Die Menschenrechte in Katar. Ein Überblick:

Die Behandlung der Migranten: Etwa 90 Prozent der Bevölkerung sind Ausländer und ein grosser Teil davon arbeitet in Bereichen mit niedrigen Löhnen. Die Behandlung dieser Migranten wird von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Im Fokus standen in den letzten Jahren insbesondere die Arbeitsbedingungen der oft aus dem Fernen Osten kommenden Wanderarbeiter, die an den Stadien und anderen Infrastrukturen für die WM gearbeitet haben.

Die Migranten stehen in grosser Abhängigkeit von ihrem Arbeitgeber und müssen in schwierigen Verhältnissen leben. Die Todesrate soll unter katarischen Bauarbeitern übermässig hoch sein. Mit einem Mindestlohn und gesetzlichen Anpassungen zugunsten der Arbeiter, hat Katar die Situation auf dem Papier zuletzt verbessert.

Die Frauenrechte: Frauen werden in Katar gegenüber Männer benachteiligt. Sie sind schlecht gegen häusliche Gewalt geschützt und können für ausserehelichen Sex bestraft werden. Es gibt strenge Kleidervorschriften. Die Frauen sind stark abhängig von ihrem männlichen Vormund oder Ehemann. Diese können etwa eine Frau mit einem Reiseverbot belegen.

Meinungsfreiheit: Das Recht auf Meinungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Für Aussagen, die als Beleidigung gegenüber der politischen Führung angesehen werden, oder auch für Blasphemie können drakonische Strafen ausgesprochen werden. Zum katarischen Strafenkatalog gehören Peitschenhiebe.

Religionsfreiheit: Es gibt in Katar auch andere Religionen als der Islam. Die anderen Religionen werden aber klar benachteiligt, insbesondere der Hinduismus oder Buddhismus, der im Gegensatz zum Christentum in Katar nicht offiziell anerkannt ist. Das Missionieren ist auf Androhung einer Strafe für alle anderen Religionen als der Islam verboten.

LGBTQ-Rechte: Homosexualität ist in Katar gesetzlich verboten. Menschenrechtsorganisationen machten zuletzt Fälle von Polizeigewalt gegen LGBTQ-Angehörige publik. Im Emirat wehrte man sich gegen die Vorwürfe und hielt fest, dass während der WM alle Menschen willkommen sind. (sda)

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