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Leichtathletik-Meeting Zürich

Jason Joseph läuft im Letzigrund Schweizer Rekord und Mujinga Kambundji überraschend zweimal

Die Stars bei Weltklasse Zürich begeisterten nicht nur die 25 000 Zuschauer im ausverkauften Letzigrund. Auch Roger Federer schaute sich das  traditionelle Meeting an - und auch vier Klimakleber. Aber nicht lange.
Jason Josephs Höhepunkt der Saison kommt eine Woche nach der WM mit Sieg bei Weltklasse Zürich und neuem Schweizer Rekord über 110 m Hürden.
Bild: Keystone

Eine Attraktion bei Weltklasse Zürich war Sebastian Coe immer schon. Ab 1979 stellte der Brite im Letzigrund dreimal einen Weltrekord auf und begeisterte als Gentleman auf der Rundbahn. Heute dirigiert er die Pace als Präsident von World Athletics von der Tribüne aus. Der smarte und volksnahe Topfunktionär, dem intakte Chancen zur Übernahme des IOC-Präsidentenamtes 2025 eingeräumt werden, schilderte vor dem Meeting, wie er sich die Zukunft der Leichtathletik vorstellt.

Coe denkt, dass die Saison länger als bisher dauern sollte. Er will damit mehr Duelle der Weltbesten erwirken. Coe sympathisiert mit der Idee, die WM jeweils am Schluss der Saison als Höhepunkt laufen zu lassen. «Wir müssen mit der Leichtathletik mehr spezielle Momente kreieren und Wege finden, um die junge Generation anzusprechen. Unser Geschäft ist die Unterhaltung und diese muss zu 100 Prozent den Wünschen des Publikums entsprechen», sagte Coe. Derzeit eruiert man diese Wünsche auf Basis von Datenanalysen.

Ein Meeting wie Weltklasse Zürich, wo es innert 90 Minuten Schlag auf Schlag Action auf höchstem Niveau zu bestaunen gibt, ist ganz im Sinne von Sebastian Coe. Und das waren die Höhepunkte beim Letzigrund-Kultanlass aus sportlicher und aus Schweizer Sicht:

Weltmeisterin Sha'Carri Richardson feiert einen klaren Sieg und freut sich entsprechend.
Bild: Keystone

100 m: Charismatische Weltmeisterin und bejubelte Kambundji

Wie unglaublich breit die Weltspitze der Sprinterinnen ist, zeigt die Liste der Abwesenden. Meeting-Direktor Andreas Hediger verriet, dass er selten derart viele Absagen fürs Meeting erhalten habe wie in diesem Jahr. Besonders schlimm war es über 100 m der Frauen, wo insgesamt neun vorgesehene Athletinnen letztlich nicht antraten. Und trotzdem standen Weltmeisterin Sha’Carri Richardson, Olympiasiegerin Elaine Thompson-Herah und der Schweizer Publikumsliebling Mujinga Kambundji am Start.

Die charismatische und schrille US-Sprinterin Richardson bestätigte ihren WM-Titel mit dem Sieg im Letzigrund (10,88), Kambundji lief als Vierte in 11,08 ins Ziel. Die grösste Überraschung lieferte sie nach dem Lauf: Sie werde 50 Minuten später auch über 200 m antreten – zum allerersten Mal in diesem Jahr. Der frenetische Applaus des Publikums hat sie ihre Worte des Vortags offenbar vergessen lassen: «Mein Körper freut sich auf das Saisonende. Ich spüre, dass ich jetzt eine Pause brauche», sagte sie 30 Stunden vor ihrem völlig überraschenden Doppelstart.

Hochsprung: Wenn selbst der Weltmeister mitfiebert

Ein letztes Mal fliegen, davon träumte der Waadtländer Loïc Gasch im Letzigrund. Der 29-Jährige hat der Schweizer Leichtathletik einige unvergessliche Momente beschert. 2021 schaffte der diplomierte Buchhalter Lausanne mit einem Sprung über 2,33 m einen neuen Rekord, im März 2022 gewann er an der Hallen-WM sensationell Silber.

Weltmeister Tamberi fiebert beim Abschied von Loïc Gasch mit dem Schweizer mit.
Bild: Keystone

Und jetzt? Seit mehr als einem Jahr sei er nie mehr richtig gesund gewesen, begründete Gasch seinen Entscheid, mit dem Auftritt bei Weltklasse Zürich seine sportliche Karriere zu beenden. Und tatsächlich flog Gasch nochmals: 2,24 m in seinem letzten Versuch. Saisonbestwert und würdiger Abschluss. Sein grösster Fan: Weltmeister Gianmarco Tamberi. Der Italiener fieberte derart mit Gasch mit, dass er selbst ein wenig den Fokus verlor und auch für ihn bereits bei 2,28 m Schluss war. In seinem Fall aber nur für diesen Abend.

110 m Hürden: Bühne frei für Josephs Rekordlauf

Man muss die Feste feiern, wenn sie fallen. Im Beispiel von Weltklasse Zürich galt es, einem der grössten Schweizer Talente eine Bühne zu bieten, auch wenn seine Disziplin nicht zum vorgesehenen Diamond-League-Programm gehörte. Und WM-Finalist Jason Joseph sagte artig danke. Der 24-jährige Baselbieter lief Schweizer Rekord und gewann mit einem technisch blitzsauberen Lauf in der Weltklassezeit von 13,08 Sekunden. Das hätte in Budapest zu WM-Bronze gereicht. «Toll, habe ich es mit einer anständigen Zeit ins Ziel geschafft», sagte Joseph.

Karsten Warholm (links) verliert die WM-Revanche gegen Kyron McMaster.
Bild: Keystone

400 m Hürden: Warholm hat kein Benzin mehr im Tank

Olympiasieger, Weltmeister und Weltrekordhalter Karsten Warholm hatte seine Niederlage quasi angekündigt. Der Norweger sagte einen Tag vor dem Meeting, er sei vor allem im Kopf ein wenig müde. Und tatsächlich gelang dem WM-Zweiten Kyron McMaster von den Britischen Jungferninseln die Revanche für Budapest. In 47,27 liess er Warholm um drei Hundertstel hinter sich und feierte seinen bereits dritten Sieg im Letzigrund.

200 m Frauen: Überlegene Weltmeisterin und Kambundji-Premiere

Die Jamaikanerin Shericka Jackson sagte, dass sie in Zürich vor allem Spass haben wolle, aber nicht mit einer superschnellen Zeit rechne. Beide Voraussagen erfüllten sich, die Weltmeisterin gewann wie in Budapest hochüberlegen in 21,82 Sekunden. Und Mujinga Kambundji versüsste sich ihre Saisonpremiere über 200 m entgegen jeglicher Ankündigungen mit Rang 4 und einer Saisonbestleistung von 22,46.

Simon Ehammer springt in Zürich auf 7,97 m. Der Zehnkämpfer hatte sich mehr ausgerechnet.
Bild: Keystone

Weitsprung: Ein Grieche kommt zum Dessert

Zwölf aktuelle Weltmeisterinnen und Weltmeister gaben sich in Zürich die Ehre. Besonders beeindruckend war die Dichte an Weltklasse-Athleten in den fünf technischen Disziplinen, wo geschlossen alle Medaillengewinner von Budapest antraten. Keine Revanche glückte dabei Simon Ehammer beim Weitsprung. Erneut blieb er knapp unter acht Metern (7,97 m) und beendete den Wettkampf als Sechster. Ein anderer zeigte dagegen seine Nervenstärke. Wie bereits an der WM überflügelte der griechische Olympiasieger Miltiadis Tentoglou mit seinem letzten Satz auf 8,20 m alle Gegner.

Zeit hin oder her: Ditaji Kambundji wird wie ihre Schwester im Letzigrund besonders gefeiert.
Bild: Keystone

100 m Hürden: Eine Bestätigung und Ditaji Kambundji mit Rückstand

Viele sahen die Jamaikanerin Danielle Williams in Budapest als Überraschungs-Weltmeisterin. Doch mit dem Sieg bei Weltklasse Zürich bestätigte die 30-Jährige diese Leistung. Ditaji Kambundji konnte es ihrem Trainingskollegen Jason Joseph nicht gleichtun und ihren Schweizer Rekord (12,47) angreifen. Mit 12,73 und Platz 6 mischte sie nicht ganz vorne mit. Wobei die Besetzung in kaum einer Disziplin besser war als im Hürdensprint der Frauen.

200 m Männer: Noah Lyles muss um seine Position als Nummer 1 kämpfen

Dreimal Gold gewann US-Sprinter Noah Lyles an der WM. Gepaart mit seiner extrovertierten Art und seiner Lebensgeschichte taugt der 26-Jährige zurecht als Superstar der Leichtathletik. Doch so leicht überlassen ihm seine Gegner den Platz an der Sonne nicht. In Zürich musste er bis auf die letzten Meter um den Sieg kämpfen. Die Zeit von 19,81 ist für ihn durchschnittlich, mit vier Sprintern unter 20 Sekunden die Dichte umso beeindruckender.

So eng war es ganz vorne. Ein Trio machte Weltmeister Noah Lyles (links)  ziemlich Dampf.
Bild: Keystone

5000 m Männer Keine Rekorde und kein präsidialer Support

Der äthiopische Express wollte im Letzigrund den Weltrekord attackieren. Letztlich scheiterte Sieger Yomif Kejelcha um elf Sekunden. Noch klarer blieb Jonas Raess hinter dem Schweizer Rekord von Markus Ryffel aus dem Jahr 1984 (13:07,54) zurück. Er lag letztlich 20 Sekunden über seinem Ziel. Ganz knapp hätte Dominic Lobalu (13:07,02), der Flüchtling aus dem Südsudan, Ryffels unendliche Marke geknackt. Wenn er denn Schweizer wäre.

Ob er in naher Zukunft für die Schweiz bei Grossanlässen an den Start gehen kann, bleibt ungeklärt. Weltpräsident Sebastian Coe sagte in Zürich zum Fall Lobalu: «Der Fall liegt bei der Kommission. Diese ist komplett unabhängig. Ich habe also kein Wissen über den aktuellen Stand, aber vollstes Vertrauen in deren Kompetenz. Ich werde entsprechen hinter jedem Entscheid stehen. Dass wir noch immer auf den Entscheid warten, zeigt mir vor allem etwas: Das sie ihre Arbeit mit grösster Sorgfalt erledigen.»

Roger Federer verfolgt das Meeting gemeinsam mit einer seiner Töchtern.
Bild: Keystone

Gäste: Mehr oder weniger beliebt – Roger Federer und die Klimakleber

Der berühmteste Leichtathletik-Fan des Abends war ein Tennisspieler. Roger Federer liess es sich nicht nehmen, Weltklasse Zürich gemeinsam mit Ehefrau Mirka und einer Tochter im Stadion zu verfolgen. Zur Freude nicht nur seiner Sitznachbarn. Keinen Applaus, sondern ein gellendes Pfeifkonzert gab es für jene vier Klimaaktivisten, die sich just zum Start des 1500-m-Rennens auf der Laufbahn festmachen wollten. Ob es die schlechte Qualität des Leims oder die Wachsamkeit der Sicherheitsleute war, welches das Gelingen des Unterfangens verhinderte, bleibt unklar. Sympathien für das Anliegen fand das Quartett definitiv nicht.

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