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Dieser Sportmoment bleibt Martin Elmiger immer in Erinnerung – wie der ehemalige Zuger Radprofi die «Hölle des Nordens» erlebte

Vor fünf Jahren fehlte dem Radprofi Martin Elmiger beim Klassiker Paris–Roubaix wenig für den grossen Coup. Der heute 41-Jährige erinnert sich.
Martin Elmiger (rechts) kann sich auf den Pavés trotz Defekten an die Spitze des Feldes zurückkämpfen. (Bild: Dirk Waem/Keystone (Roubaix, 12. April 2015).)

Peter Gerber Plech

Logisch, in 17 Jahren als Rad-Profi bleiben mehrere Sportmomente in bester Erinnerung. Aber auch Martin Elmiger, Rekordhalter mit 16 zu Ende gefahrenen Schweizer Landesrundfahrten (Tour de Suisse), musste sich entscheiden. Er, der seine Karriere 2017 beendet hat, tat dies und wählte den 12. April 2015, einen Sonntag. «Es war ein unglaubliches Gefühl, mit der Spitzengruppe ins Stade Vélodrome einfahren zu dürfen und zu wissen: jetzt geht es für mich um den Sieg in einem der grössten Klassiker des Radsports», erinnert sich der heute 41 Jahre alte Zuger.

Das war in Roubaix, nach 5 Stunden und 49 Minuten auf dem Rennvelo. Über 253,5 Kilometer führte die Fahrt und Elmiger wurde während knapp 53 Kilometern auf den Pavés, dem gefürchteten Kopfsteinpflaster, durchgeschüttelt und -gerüttelt. «Das Schwierigste ist, dass du zu Beginn der Kopfsteinpflaster-Strecken bei den Positionskämpfen nicht in Stürze involviert wirst, und du dabei nicht zu viele Körner liegen lässt. Wenn du dich auf die Pavés und deine Linie hast konzentrieren können, war das schon anstrengend genug, um im Sattel bleiben zu können.»

Vor dem Rennen fühlt er sich wie ein Gladiator

Vieles hätte eigentlich gestimmt, um an diesem Tag den ganz grossen Coup landen zu können. «In der Woche davor habe ich in Flandern ein gutes Resultat erreicht und dadurch die Gewissheit erlangt, dass ich gute Beine habe. Zudem durfte ich im Trikot des Schweizer Meisters antreten – eine zusätzliche Motivation.» Er habe sich in den Stunden vor dem Rennen wie ein Gladiator gefühlt (siehe auch Video). «Wie einer, der nicht genau weiss, was jetzt auf ihn zu kommt. Sicher war nur, dass alle mit dem Messer zwischen den Zähnen kämpfen werden.»

Und dann passte im Rennen einiges zusammen – bis die letzten Meter gegen Elmiger entscheiden sollten. Aber auch wenn nach nur einer Runde im Vélodrome von Roubaix alles sehr schnell vorbei gewesen ist und der Sieger John Degenkolb und nicht Martin Elmiger geheissen hat, so war es dieser Sportmoment, der dem Zuger in Erinnerung bleiben wird. Elmiger, dem im entscheidenden Moment kein guter Sprint gelungen ist, blieben letztlich nach einem Rennen mit einer unglaublichen Geschichte ein fünfter Platz und vieles für seinen schon reichhaltigen Erfahrungsschatz. «Ich hatte mehrere Defekte und dadurch auch Velo-Wechsel in diesem Rennen. Aber ich habe mich dank der Hilfe von Roger Kluge immer wieder zurückkämpfen können. Auf dem letzten Pavé-Stück in Roubaix ist mir dann gemeinsam mit Lars Boom und Jens Keukeleire der Anschluss ans Spitzentrio gelungen.»

Vor 2013 gedanklich nahe am Rücktritt

Elmiger, in seiner Karriere meistens als Edelhelfer für den Mannschaftscaptain im Einsatz, konnte als «alter Hase» den Frühjahrsklassiker, der auch als «Hölle des Nordens» bekannt ist, als einer der Leader des Schweizer IAM-Teams in Angriff nehmen. «Bevor ich 2013 zum Team IAM gewechselt habe war ich gedanklich schon nahe an einem Rücktritt. Dann aber durfte ich in und mit diesem Team meine besten vier Jahre als Radprofi erleben», erinnert sich Elmiger, der seine Karriere im Post Swiss Team und später bei Phonak, Ag2r und nach IAM noch bei BMC verbracht hat.

Es sollte 2015 zwischen einem Vorort von Paris und Roubaix ein «gemässigter Höllenritt» werden, da es trocken blieb. Statt gegen Schlamm und rutschige Pavés hatten der Zuger und seine Berufskollegen gegen den Staub zu kämpfen. Und trotzdem war diese anstrengende Fahrt für Martin Elmiger eine Art Genuss. «Ich war am Ende meiner Karriere. Beweisen musste ich niemandem mehr etwas, aber ich habe vieles dürfen. Und als einer der Teamcaptains hatte ich vom sportlichen Leiter auch die entsprechenden Freiheiten bekommen.»

Die Karriere hat er quasi vor der Haustür beendet

Der Radsport sei seine Leidenschaft gewesen, sagt Elmiger. Dennoch habe er diesem Beruf nicht sein komplettes Leben untergeordnet. Neben Training und Renneinsätzen seien seine Familie und die sozialen Kontakte auch ausserhalb der Radsportfamilie stets ein wichtiger Teil gewesen. «Vielleicht habe ich deswegen mein Talent oder mein Potenzial nicht zu 100 Prozent ausgeschöpft», sagt der Zuger. Verpassten Siegen aber trauert er nicht nach. «Ich habe während vieler Jahre mein Hobby beruflich ausüben und durch die Welt reisen dürfen. Das war ein Privileg.» Dann kommt doch noch ein kleines Aber über Elmigers Lippen. «Aber klar, so ein Sieg an einer Tour-de-France-Etappe wäre schon toll gewesen. Das bleibt ein Leben lang. Als Zweitplatzierter kennt dich schon zwei, drei Tage später keiner mehr – obwohl im Jahr 2008 nur 10 Millimeter zum Sieg gefehlt haben.»

Die Zusammenfassung des Rennens im Video:

Im Oktober 2017 beendete Elmiger, der Mitglied des RMV Cham-Hagendorn war, seine Karriere als Radprofi auf eine ganz besondere Art. Sein Verein organisierte das erste Wochenende der Tour de Suisse auf einer Strecke durch seinen Wohnort. «Dort habe ich als Elfjähriger meine ersten Rennen bestritten, dort wollte ich auch aufhören.» Und in Erinnerung bleiben dem Zuger eben auch die Momente, als er der «Hölle des Nordens» entkommen und fast im Himmel hatte landen können. Fast.

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