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WM 2022

«Die Schweiz hat den Sieg verdient»

Kolumne von Jean-Michel Tchouga (43), ehemaliger Nationalspieler von Kamerun und FCL-Torschützenkönig.

Der ehemalige Profi Fussballer Jean-Michel Tchouga
Bild: Bild: Dominik Wunderli (Kriens, 24.11.2022)

Ich nehme es gleich vorweg: Ich hatte vor dem Spiel Schweiz – Kamerun auf ein Unentschieden gehofft. Einerseits schlägt mein Herz für mein Heimatland Kamerun, andererseits bin ich nun doch schon rund 25 Jahre in der Schweiz, davon 15 Jahre in Kriens wohnhaft.

Aber ich muss auch festhalten: Die Schweiz hat verdient gewonnen! Sind Sie mit mir einig, wenn ich sage, dass die Mannschaft von Trainer Murat Yakin kein ausserordentliches, kein grosses Spiel abgeliefert hat? Doch das Tor durch «unseren» Breel Embolo war einfach genial – in der Angriffsauslösung über Ruben Vargas und vor allem Granit Xhaka bis zur Vollendung ein Supertor.

Kamerun hat nach dem 0:1-Rückstand insgesamt doch zu wenig getan, um sich wenigstens noch einen Punkt zu verdienen. Ich bin ein bisschen enttäuscht, denn das Team von Rigobert Song hat in meinen Augen zu lange Zeit zu sehr «europäisch» gespielt. Damit meine ich: Kamerun war zu zurückhaltend, zu sehr auf disziplinierte Ballkontrolle bedacht, zu abwartend, zu wenig zielstrebig, zu wenig mit Tempo direkt nach vorne auf das gegnerische Tor agierend.

Ich habe auch nicht verstanden, dass in der zweiten Halbzeit beim Stande von 0:1 Stürmer Eric Maxim Choupo-Moting ausgewechselt wurde. Kamerun hat in diesem Moment ein Tor für das 1:1 gebraucht, und Bayern-München-Angreifer Choupo-Moting ist in absoluter Topform. Gut, ich weiss nicht, ob er angeschlagen oder müde war, aber seine Miene bei der Auswechslung hat mir anderes signalisiert. Trainer Song hat mit Vincent Aboubakar einen starken, verdienstvollen Stürmer gebracht, aber eben etwas mutlos Stürmer für Stürmer gewechselt. Choupo-Moting hat mir sehr gut gefallen, er hat immer etwas mit dem Ball anzufangen gewusst. Aber eigentlich möchte ich keinen kamerunischen Spieler hervorheben, denn ich bin insgesamt schon ein wenig enttäuscht.

Jean-Michel Tchouga schaut zu Hause in Kriens mit seinen Töchtern das WM-Spiel.
Bild: Dominik Wunderli (Kriens, 24.11.2022)

Auf Schweizer Seite hat mir Verteidiger Silvan Widmer ausserordentlich gut gefallen. Widmers Effektivität, sein Stellungsspiel, seine Übersicht, seine Intelligenz, Abwehrsituationen einzuschätzen, das imponiert mir sehr.

Am Schluss hatte Kamerun in der Statistik zwar mehr Ballbesitz als die Schweiz – aber eben, der Ball war oft hinten statt vorne im Angriff. Klar, das war natürlich auch dem Taktikfuchs Yakin, mit dem ich 2002 noch beim FC Basel zusammengespielt habe, geschuldet.

Geschaut habe ich das Spiel Schweiz – Kamerun am Donnerstagvormittag daheim in Kriens mit meinen Töchtern Mylène und Yaëlle, die vier- und dreijährig sind. Meine Frau Mirjam konnte leider nicht mitfiebern, sie ist Seklehrerin im Luzerner Hubelmatt-Schulhaus und musste arbeiten.

Wie soll es nun also weitergehen? Denn es war ja klar: Wer dieses Startduell verliert, für den wird es schon extrem schwierig, in die Achtelfinals vorzustossen. Meine Meinung vor dem WM-Start war sowieso: Brasilien und Serbien sind die Gruppenfavoriten. Die Schweiz, für mich eigentlich nur die Nummer drei in der Gruppe, hat nun gute Aussichten, die Achtelfinals zu erreichen. Für Kamerun aber wird es – selbst mit einem überraschenden Sieg gegen Serbien – schwierig.

Während ich Marokko als stärkstes, solidestes Team aus Afrika bezeichnen würde, ist es schwierig, einen Favoriten für den Weltmeistertitel zu benennen. Frankreich beklagt trotz Startsieg die Absenz von einigen verletzten Spielern; Deutschland und Argentinien sind schon gestolpert; Belgien hat trotz Minisieg gegen Kanada alles andere als überzeugt. Darum kehre ich jetzt zurück in die Schweiz-Kamerun-Gruppe: Vielleicht Brasilien? Macht am Schluss vielleicht die Kunst von Neymar, Richarlison und Co. den Weltmeister von Katar?

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