Ein Sieg in Ehren, aber so wirklich taugte das 1:0 des FC Bayern in der Champions League nicht, um Wiedergutmachung für das 1:5-Debakel in Frankfurt zu betreiben. Gegner Manchester United war zwar namhaft, in der gegenwärtigen Verfassung aber viel zu harmlos, um als Prüfstein zu dienen. Die wahre Herausforderung, da sind sich die Beobachter weitestgehend einig, die stellt sich am Sonntag. Wenn in der Allianz Arena der VfB Stuttgart zu Gast ist.
Das Südderby der Bundesliga, es wird erstmals seit langem als Spitzenspiel ausgetragen. Zweiter gegen Dritter, diese Konstellation gab es zuletzt in der Saison 2008/2009. In den vergangenen Jahren reiste der VfB meist eher pflichtschuldig denn hoffnungsfroh nach München, ohne reelle Aussicht darauf, den Bayern «die Lederhosen auszuziehen», wie in Fankurven so gerne gefrotzelt wird. Doch nun ist das anders. Jetzt lacht keiner mehr, wenn ein Stuttgarter verkündet, den grossen Rivalen schlagen zu wollen.
Sogar gegen den Spitzenreiter dominant
Mit einer anregenden, hochoffensiven Spielweise hat sich das Team aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt in die vordersten Tabellenregionen geschoben. Es ist ein Vorgang, den man in den ersten Wochen der Saison noch als Anomalie zur Kenntnis nahm. Inzwischen aber besteht kein Zweifel, dass die Stuttgarter Mannschaft ganz oben hingehört.
Den jüngsten Nachweis erbrachte sie am letzten Wochenende, als sie Spitzenreiter Bayer Leverkusen in einer mitreissenden Partie ein 1:1 abrang und zumindest in der ersten Halbzeit klar besser war, mit einem deutlichen Chancenplus. Die Stuttgarter zeigten «alle Farben und Formen des modernen Fussballs», lobte die gemeinhin nicht zu Schwärmereien neigende «Süddeutsche Zeitung» einige Tage zuvor. Kurz nachdem der VfB mit Borussia Dortmund Katz und Maus gespielt hatte beim 2:0-Sieg im Cup.
Viel mehr als nur Guirassy
Erfolgreich haben sich die Schwaben auch von der Debatte emanzipiert, allzu abhängig von ihrem Torjäger Serhou Guirassy zu sein. Der Nationalspieler Guineas hat mit 16 Toren zwar knapp die Hälfte aller bisherigen Stuttgarter Bundesliga-Treffer (34) erzielt, doch sind es neben dem formidablen Guirassy auch Akteure wie der weitgereiste Stürmer Deniz Undav oder der umtriebige Flügelspieler Chris Führich, die merklich zum drittbesten Angriff der Liga beitragen.
Führich debütierte diesen Frühherbst für die deutsche Nationalmannschaft, Undav (der sich wohl gegen die Türkei entschieden hat) dürfte ihm in Kürze nachfolgen. Auch Rollenspieler wie der Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt oder Abwehrkraft Waldemar Anton können sich Chancen ausrechnen, vom Bundestrainer Julian Nagelsmann an die Europameistermeisterschaft im kommenden Jahr mitgenommen zu werden.
Das ist insofern bemerkenswert, als dass Mittelstädt oder Anton nie im Verdacht standen, herausragende Bundesliga-Könner zu sein. Was den Schluss nahe legt, dass am Höhenflug am allermeisten der Trainer Sebastian Hoeness trägt und dessen Fähigkeit, aus seinen Schützlingen das Optimum zu destillieren. Hoeness übernahm die Mannschaft im April als Tabellenletzter, den Klassenerhalt bewerkstelligte er erst in der Relegation. Der 41-Jährige ist kein Blender, kein Überverkäufer, keine schillernde Persönlichkeit, vielmehr ein Typ der Sorte jedermann. Die Selbstinszenierung ist nicht seins. An Spieltagen trägt er am liebsten eine Basecap mit Klub-Logo und Funktionskleidung.
Bleibt Hoeness dem VfB erhalten?
Wie lange Hoeness dem VfB erhalten bleiben wird, ist indes fraglich. Längst soll er dank seiner Arbeit in Stuttgart bei anderen Vereinen unter Beobachtung stehen, vielleicht auch beim FC Bayern, für den Fall, dass das mit Thomas Tuchel doch nichts wird. Abwegig wäre es keineswegs: Vor dem Einstieg in den Erwachsenenfussball wirkte Hoeness in München als Juniorentrainer, sein Onkel Uli ist bekanntermassen Ehrenpräsident.
Ein elfter Stuttgarter Saisonsieg beim Familientreffen am Sonntag wäre zweifellos das beste Bewerbungsschreiben.
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