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Fussball

Ist die WM ein Fluch oder ein Segen?

Mit dem Anpfiff des WM-Eröffnungsspiels Russland - Saudi-Arabien beginnen vier Wochen, in der sich alles um Fussball dreht. Für die einen ist es das Grösste, andere schalten aus. Auch auf der «Bote»-Redaktion scheiden sich die Geister.

Pro

Jawoll! Heute gehts los. Nach vier Jahren Wartezeit beginnt endlich wieder eine Weltmeisterschaft. Die nächsten Wochen sind für mich ein wahrer Genuss. Denn die WM ist nicht nur aus sportlicher Sicht höchst interessant, sondern sie ist auch so besonders, weil während diesem Monat alles einfach ein bisschen anders ist.

Der normale Alltag wird durchbrochen, der Tagesablauf wird dem Fussball angepasst. Meine Mittagspausen und die Schlafenszeit werden (noch) kürzer, nur damit ich möglichst viel von der WM schauen kann. Es herrscht ein Ausnahmezustand, der zwar streng ist, das Leben aber so richtig schön bereichert.

Im Optimalfall schaue ich mit Freunden mehrere Stunden Fussball am Tag, trinke ein paar Bierchen, wette, diskutiere und behaupte, esse Bratwürste und tauche – sofern die Schweiz gewinnt – in einen kollektiven Freudentaumel ein. Das ist doch Lebensqualität im höchsten Masse.

Ach, du lieber Fussball. Was haben wir schon gefeiert, was haben wir schon gelitten. Für Schweizer Verhältnisse durften wir in den letzten Jahren viel jubeln. Für mich persönlich überstrahlt die Party an der WM 2006 in Dortmund nach dem Sieg gegen Togo alles. 50000 Schweizer feierten friedlich in der Dortmunder Innenstadt. Diese Stimmung, diese Emotionen. Und alles nur dank dem Fussball.

Wir erlebten aber auch bittere Niederlagen. Das Penaltyschiessen gegen die Ukraine 2006 oder das Achtelfinale gegen Argentinien 2014 dürften allen Fans noch in schlechtester Erinnerung sein. Doch eben genau auch das gehört dazu. Das Bittere macht das Süsse erst süss.

Die WM ist grosses Spektakel, ein soziales Ereignis, gespickt mit Emotionen und purer Lebensfreude. Davon will und werde ich mir die nächsten Wochen so viel wies geht reinziehen.

Christoph Clavadetscher,
Redaktionsleiter
 

 

Contra

«Ich muss mir noch ein Fan-T-Shirt bestellen», sagte mein Redaktionskollege, der sich in den Spalten links seiner Fussballbegeisterung hingibt, vor zwei Tagen. Meine Frage darauf: Von welchem Land denn? Ojeee, wie dumm, diese Frage, ging es mir durch den Kopf. Ich völliger Banause. Er wird wohl kaum im Spanien- oder Brasilien-Shirt im Public Viewing mitfiebern. Schon sagte er: «Von der Schweiz natürlich.»

Das Phänomen Fussball geht an mir vorbei. Ich schlug eben extra in einem WM-Magazin nach, wer denn überhaupt in der Gruppe mit der Schweiz ist. Nur so als Hintergrund, um vielleicht einige Brocken zu verstehen, wenn über die WM gefachsimpelt wird. Ich persönlich halt mich da raus. 

Ich mag keine Ballspiele, schon in der Schule zogen sich die immer gleichen Völkerballturnstunden zäh wie Kaugummi dahin. Dasselbe in diesen zwei Dreiviertelstunden eines Fussballmatches. Ich sehe nicht, worauf es ankommt, ich kann das Spiel nicht lesen, schnalle die Fehlpässe nicht und nicht, wenn einer falsch steht. Fussball langweilt mich. Ich versteh nichts davon.

Da hat auch Nachhilfe nichts genutzt. Eine Zeit lang schaute ich mir nach dem Spiel – das ich bewusst nicht gesehen hatte – Analysen an. Die Weiterbildung mit dem Kommentatoren-Duo Gerhard Delling und Günter Netzer war beste Unterhaltung, die Begeisterung hat mich aber nie gepackt.

Darum lass ich es sein. Ich schau am TV lieber Skirennen, Kunstturnen, Eiskunstlauf und rhythmische Sportgymnastik. Ich werde im kommenden Monat also viel Zeit und Raum haben. Und antizyklisch dort sein, wo niemand ist. Vor den TV zurückholen könnte mich nur Netzer, wenn er quasi aus der Tiefe des Raumes daraus auftauchen würde. 

Silvia Camenzind, 
Redaktorin
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