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Ein Votum für die «demokratische Langweiligkeit»

Eine Erklärung, weshalb die «demokratische Langweiligkeit» mehr geschätzt werden sollte.
Bild: AHERGER

Der Schwyzer Ratssaal strahlt antiken Charme aus. Der Ablauf der Debatte kommt streckenweise wie ein altertümliches Ritual daher. So beginnt jede Rede mit der Standardeinleitung: «Herr Präsident, meine Damen und Herren …» Zudem habe ich als Kantonsratspräsident laut Geschäftsordnung unter anderem dafür zu sorgen, dass die Mitglieder von Kantons- und Regierungsrat der Würde des Rats entsprechend gekleidet erscheinen. Doch damit nicht genug. Während der Rede siezen sich selbst engste Fraktionskolleginnen und -kollegen. Während die Welt mit Tiktok und Instagram immer schneller wird, scheint im Ratssaal die Zeit stehen zu bleiben.

Form und Inhalt trennen. Trotz oder gerade wegen dieser alten Strukturen soll das Parlament aktuelle Herausforderungen bearbeiten. Themen sind ausreichend vorhanden: Altersarmut, Klimawandel oder steigende Krankenkassenprämien, um nur einige wenige zu nennen. Die mediale Berichterstattung und die Kommunikation der Parteien sind dabei wesentliche Bestandteile des politischen Diskurses. Mit Medienmitteilungen und Social-Media-Kanälen streuen die Parteien ihre Inhalte, und die Medienschaffenden fassen die Ereignisse zusammen. Dabei ist nicht jedes einzelne Traktandum ein kommunikatives Feuerwerk. Wussten Sie beispielsweise, dass die Verteilung der Kommissionssitze im Schwyzer Kantonsrat in aller Regel stillschweigend und daher ohne Gegenstimme vorgenommen wird? Oder dass sich das Parlament jährlich mit den Prüfberichten der interkantonalen Geschäftsprüfungskommissionen des Laboratoriums der Urkantone, der interkantonalen Polizeischule oder der Zentralschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht befasst? Solche Geschäfte sind keine parlamentarischen Thriller, zeigen aber einen wichtigen und meist im Verborgenen stattfindenden Teil der Arbeit unserer Parlamente. In solchen Situationen kommt die «demokratische Langweiligkeit» zum Tragen.

Mit dem Begriff «demokratische Langweiligkeit» meine ich einen Zustand, der sich in der Kommissions- und Parlamentsarbeit ergeben kann, wenn unspektakulär und faktenbasiert debattiert wird. Dieser Zustand resultiert in der Regel durch gewissenhafte Vorarbeit. Durch die «demokratische Langweiligkeit» erreicht man nicht viele Klicks auf Youtube oder ein schönes Bild auf Seite eins einer Zeitung. In unbestrittenen Geschäften entfaltet die «demokratische Langweiligkeit» jedoch ihre ganze Pracht. Wie eingangs erwähnt, trägt auch das dramaturgische Konzept seinen Teil dazu bei. So zum Beispiel das bereits erwähnte parlamentarische Siezen. Diese Verhaltensregeln haben ihre Richtigkeit. Eine Ratsdebatte ist kein Austausch am Stammtisch oder ein Gespräch in privater Runde. Wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben die Aufgabe, uns mit den Problemen und Herausforderungen der heutigen Zeit zu beschäftigen. Eine nicht ganz alltägliche Kommunikation hilft dabei, sich dieser Tatsache immer wieder bewusst zu werden.

Begeistert? Selbstverständlich braucht es auch die grossen, epochalen Politdebatten und flammenden Reden. Auch da kann man faktenbasiert debattieren. Aber während sich Diktaturen und andere unmögliche Staatsformen lieber mit grossen Gesten und pompösen Paraden beschäftigen, erfreuen sich Parlamente auch an ihrer stillen Arbeit für die Bevölkerung. Nicht immer, aber doch in wohltuender Regelmässigkeit. Wenn Sie diesen Teil der parlamentarischen Arbeit unterstützen möchten, gebe ich folgende zwei Empfehlungen. Erstens sind die Wortprotokolle des Kantonsrats auf der Homepage des Kantons Schwyz aufgeschaltet. Hier können Sie in die Debatte eintauchen und nebenbei die Abstimmungsverhalten der Parlamentsmitglieder konsultieren. Zweitens können Sie die Kantonsratssessionen vor Ort besuchen. Lassen Sie sich hier von der «demokratischen Langweiligkeit» begeistern.

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