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Kolumne

Warum ich Zeitung lese

Unsere Kolumnistin über die vielen Vorteile, die das Lesen von bedrucktem Papier für sie hat.
Weniger Ablenkung durchs Zeitunglesen. Hier eine Leserin des «Tagblatt» in Altenrhein SG.
Bild: Benjamin Manser

Vermutlich lesen Sie diesen Text auf Papier in der Zeitung. Die Kolumnen, die ich für diesen Verlag schriebe, werden zwar auch online ausgespielt. Doch die Rückmeldungen, die ich bekomme, zeigen, dass die meisten Leute die Texte auf Papier lesen. Das freut mich, denn ich mag Zeitungen sehr.

Sich hinsetzen, ein bisschen Blättern, dazu Kaffee oder Tee, zu Hause oder in der Beiz. Eine einfache und gleichzeitig sinnliche Aktivität, eine Art Rezept für Entschleunigung. Und gleichzeitig ist man informiert, darüber, was so passiert in der Welt.

Aus verschiedenen Gründen ist Zeitunglesen die ideale Form, sich zu informieren. Auch wenn es etwas aus der Zeit gefallen scheint. Oder vielleicht gerade deshalb.

Längst kann man Nachrichten digital konsumieren. Teilweise auch ohne dafür zu bezahlen, zum Beispiel in den sozialen Netzwerken. Ein grosser Vorteil, wichtige Nachrichten sollten zugänglich sein für alle. Auch für Menschen, die keine Abos zahlen können.

Dennoch plädiere ich für eine Zeitung. Denn bei Medienkonsum geht es nicht nur um die Inhalte. Sondern auch die Art und Weise, wie sie konsumiert werden. Das Medium formt den Konsum. Etwas plakativer: Das Medium ist die Botschaft. So hat es Medienwissenschaftler Marshall McLuhan bereits in den Sechzigerjahren formuliert. Die These hat mit der Digitalisierung neue Relevanz bekommen.

So kann man am Smartphone längere Texte lesen. Allerdings wird man dabei ständig unterbrochen oder abgelenkt, sei es durch Werbung, SMS oder Benachrichtigungen. Oder man will kurz etwas nachschauen und schon wird man eingesaugt in die Untiefen des Internets. Plötzlich ist man wieder auf Social Media, eine halbe Stunde ist vergangen und man weiss gar nicht mehr, was man gesehen hat.

In der Zeitung passiert einem das nicht, dieses Abgelenktwerden. Es steht drin, was drinsteht. Und wenn man aufhört zu lesen, ist man fertig. Die sozialen Netzwerke hingegen sind ein niemals versiegender Strom von Nachrichten. Meistens sind es schlechte Nachrichten. Man kommt nicht zur Ruhe und erfährt dennoch oft nicht so viel Neues. Deshalb bin ich Fan von linearen Formaten. Man informiert sich einmal gebündelt, dann hat man wieder Ruhe für die nächsten 24 Stunden. Unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt. Wir tun gut daran, sie bewusst einzusetzen und uns nicht ununterbrochen Inhalten auszusetzen.

Zumal sich diese Inhalte in letzter Zeit stark verändert haben. Inzwischen sind auf sozialen Medien, aber auch in Suchmaschinen und auf Streaming-Plattformen viele KI-generierte Inhalte anzutreffen. Diese Bilder, Texte, Videos oder sogar Songs fühlen sich oft leer oder hölzern an. Vieles, was uns online umgibt, vermischt sich zu einer beliebigen und undefinierbaren Masse. Auf Englisch gibt es den Begriff Slop, was sich vielleicht mit Geschlabber oder Schleim übersetzen lässt. Es gibt zwar Inhalte, man kann etwas lesen oder sehen, aber so richtig überrascht wird man selten.

Dabei bin ich überzeugt, dass es für Menschen wichtig ist, gelegentlich überrascht zu werden. Dass man etwas liest, was man nicht versteht. Wir fassen uns an den Kopf und denken, wie um Himmels willen kann es sein, dass jemand so etwas schreibt und es auch meint, Moment, lass mich nachschauen, ob es ein Witz ist, ah nein, ich glaub, das ist wirklich ernst. Ich glaube, solche Erlebnisse sind wichtig, um einen wach und beweglich im Kopf zu halten. Darum lese ich zum Beispiel die NZZ.

Der Witz auf Kosten der alten Tante sei mir vergönnt. Manchmal kann ich nicht fassen, was ich eben gelesen habe. Gleichzeitig sind viele Ressorts der Zeitung sehr gut. Auch diese Dissonanz gilt es auszuhalten. Sich mit unterschiedlichen Haltungen zu konfrontieren, ist wertvoll. Deshalb ist es am besten, verschiedene Zeitungen zu lesen.

Ich fasse also zusammen. Zeitunglesen bringt Überraschungen, wir haben die Kontrolle über unseren Nachrichtenkonsum, und wir können uns lustvoll über gewisse Ansichten aufregen. Dazu kommt ein weiterer unterschätzter Vorzug der Zeitung: Sie hilft auch im Haushalt. Manchmal muss man Schuhe putzen, ein Geschenk einpacken oder eine Zimmerpflanze umtopfen. Auch da ist es sehr nützlich, eine Zeitung im Haus zu haben.

* Samantha Zaugg ist freischaffende Autorin und Künstlerin.

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